Insofern stellt sich die Frage folgendermaßen: Wie sehen eigentlich Wendepunkte aus? Dabei muß man unterscheiden zwischen dem Aussehen von Wendepunkten, von denen heutige Marktteilnehmer meinen, daß Wendepunkte so aussähen, und solchen, die sich in der Vergangenheit als wirkliche Marktwenden herausgestellt haben.
Zu kompliziert? Ist es auch. Es sei an Keynes Beauty Contest erinnert. Demnach sollte man sich nicht diejenigen Aktien kaufen, die man für gut hält, sondern vielmehr diejenigen, von denen man meint, daß sie die Masse der Anleger für gut hält. In der Mathematik würde man sagen: Bilden Sie die erste Ableitung der Funktion und überprüfen Sie anhand der zweiten Ableitung die Art der Extremstelle.
Anleger hüben und drüben warten ganz offensichtlich auf das gigantische, mit Ansage daherkommende Mega-Intraday-Reversal als Boden des Marktes und Wende zum Besseren. Und da alle derart erpicht darauf sind, kann es sich nur um einen Fake handeln – der klassische Kontraindikator eben. Volatilitätsspitzen, wie wir sie derzeit auch gerade wieder mal haben, deuten mit hinreichender Richtigkeit auf kurzfristige Wendepunkte hin. Man mag sie technische Reaktion nennen oder Dead Cat Bounce. Langfristige Wenden sehen aber vielleicht ganz anders aus.
Der letzte zyklische Tiefpunkt war Anfang der 80er Jahre, als die Märkte nach Ölpreisschock Nr. II in Schutt und Asche lagen, sich niemand mehr für Aktien interessierte und ein Schauspieler plötzlich das Präsidentenamt der USA innehatte („Liebenswerter Trottel“). Die Umsätze waren niedrig, die Volatilität mithin auch, das KGV lag bei 7 bis 8. Notfalls geht man eben noch weiter zurück: Auch Anfang der 30er drehte der Markt erst – trotz zwischenzeitlicher exorbitanter Bear Market Rallyes –, als niemand mehr Lust, Interesse oder Geld für Wertpapiere hatte. Von Bewertungen wollen wir an dieser Stelle gar nicht sprechen. Erkennt irgend jemand hier Parallelen zum derzeitigen Status? Der Autor dieser Zeilen jedenfalls nicht.
Wie groß die aktuelle Unsicherheit mal wieder ist, kann man daran ablesen, daß zukünftige Ex-Gurus wie etwa Ralph A. (und der Kürze halber weitere namentlich nicht näher gelistete Markttechniker, die dem Geschehen pseudowissenschaftlich beizukommen versuchen) ihre Fahne jede Woche in eine andere Richtung drehen (müssen). Fakt ist, daß praktisch niemand mehr den Durchblick hat, weil jede Börsensituation doch irgendwie bekannt und gleichzeitig auch wieder neu ist. Und selbst, Durchblick? Der Autor dieser Zeilen hat ihn ebenfalls nicht.
Könnte man auf die andere Seite des Spiegels schauen, würde man wohl sehen, wie der Markt über uns lacht.
Die GoingPublic Kolumne erscheint jeweils montags, mittwochs und freitags in Zusammenarbeit mit dpa-AFX.