Diese positive Stimmungslage an den Sekundärmärkten führte auch dazu, dass das Stimmungsbarometer an den Primärmärkten (IPO-Markt) wieder auf ein Niveau gestiegen ist, wie wir es in den Jahren 2004 bzw. 2005 zuletzt gesehen haben. Ein erstes Anzeichen für die Erholung waren die 16 Neuemissionen des vergangenen Jahres, die immerhin 2,7 Mrd. EUR platzieren und damit den nahezu zweijährigen Stillstand beenden konnten. Aus unseren Gesprächen mit Investoren, Banken, aber auch potenziellen Emittenten erwarten wir für das Jahr 2011 einen kleinen „IPO-Boom“, der im Gegensatz zum letzten Jahr vor allem mittelständischen Emittenten zugute kommen sollte.

Allerdings hat sich die IPO-Landschaft im Vergleich zum letzten Boom der Jahre 2005 bis 2007 merklich verändert. Zum einen hat sich der Kreis der potenziellen Konsortialführer deutlich reduziert. Emissionsbanken, die in den vergangenen Jahren noch eine dominierende Rolle in der Platzierung von Neuemissionen gespielt haben, sind verschwunden (Dresdner Bank sowie einige angelsächsische Institutionen) oder befinden sich in einer Restrukturierungsphase, die ein zurückhaltendes Engagement bei IPO-Lead-Mandaten erwarten lässt. Zum anderen treten kleinere, spezialisierte Investmentbanken auf, die sich gezielt auf entweder kleinere Emissionen oder auf ausländische Emittenten aus dem asiatischen Raum konzentrieren.

Auf der Investorenseite hat sich der seit Jahren zu beobachtende Trend der Dominanz ausländischer, institutioneller Investoren bei deutschen IPOs weiter verstärkt. Deutsche institutionelle Investoren verabschieden sich immer mehr aus dem Aktiengeschäft bzw. dem Investment in Neuemissionen. Bei den Börsengängen des Jahres 2010 nahmen sie im besten Fall noch eine Quote von 10% des Zeichnungsvolumens ein. Auf der anderen Seite ist weiter zu beobachten, dass der Privatanleger bei Neuemissionen im Aktienbereich kaum mehr eine Rolle spielt und weiterhin sehr stiefmütterlich seitens der Emittenten und vor allem der begleitenden Emissionsbanken behandelt wird. Eine auf Privatanleger ausgerichtete Finanzkommunikation ist gar nicht bzw. bisher nur rudimentär bei der Vermarktung zu finden, was sich natürlich im Zeichnungsergebnis entsprechend widerspiegelt.

Inwieweit beim Privatanleger dennoch Interesse an Neuemissionen besteht, zeigte jüngst der „Pre-IPO-Aktienhandel“ bei Facebook. Zudem kann hier auch ein neues Phänomen beobachtet werden, wonach neben dem Informationsaustausch innerhalb der sozialen Netzwerke auch eine Plattform für den „grauen Aktienmarkt“ entsteht. Kritische Kommentatoren hinterfragen, warum ein überzogener Anlegerschutz dazu führt, dass immer mehr unregulierte „Schattenvehikel“ zum Zuge kommen. Die Vernachlässigung der Privatinvestoren beim General-Motors-IPO hat hier wohl eine Diskussion angeheizt, die 2004 mit der „Dutch Auction“ von Google noch nicht denkbar war: Warum sollen Kleinanleger nicht mehr an den Chancen von Amerikas aussichtsreichsten Unternehmen teilnehmen und dieses Privileg nur den Goldman-Sachs-Kunden vorbehalten sein? Vielleicht bietet diese Diskussion neue Ansätze für Veränderungen des IPO-Marktes, wie wir es bei kapitalmarktfinanziertem Fremdkapital 2010 erleben konnten. Die Alternative eines „Non-underwritten IPO“ bzw. der Eigenemission von Aktien mit anschließender Notierungsaufnahme in einem börsenregulierten Marktsegment (wie dem Entry Standard) platziert bei Privatinvestoren könnte vor allem für Small-Cap- und Hightech-Emissionen ein interessantes Instrumentarium werden. Wie eine Eigenemission funktioniert, zeigt das neugeschaffene Segment „Bondm“ für Anleihen der Stuttgarter Börse. Diese Idee der Eigenemission von Aktien wäre eine konsequente Antwort in Bezug auf die immer weiter institutionalisierte Banken- und Investorenwelt, die vermehrt den Privatanleger außen vor lässt. Vielleicht bringt das Jahr 2011 hierfür die Initialzündung.

Von Prof. Dr. Wolfgang Blättchen

Ursprünglich erschienen im GoingPublic Magazin 02/2011.

 

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