Am letzten Sonntag habe ich am späten Nachmittag und frühen Abend einmal das Fernsehprogramm durchgeschaltet: Weltspiegel, Mona Lisa, aktuelle Reportagen. Überall wird von der „großen Finanzkrise“, der „Weltwirtschaftskrise“ und dem „Zusammenbruch der Finanzmärkte“ geredet. Würde man – wie weiland Peter Sellers als Chancey, der Gärtner – die Welt nur aus dem Fernsehen kennen, würde man sich mitten in einer epochalen Krise wähnen.

Ein Blick aus dem Fenster zeigt hingegen völlig anderes. Und ein Blick auf die Daten ebenfalls. Was für eine Krise wird da eigentlich gemeint? Ein Blick auf den deutschen Aktienmarkt zeigt, dass die Aktien derzeit auf dem Niveau von 2005 notieren. Das ist natürlich eine heftige Krise, zugegeben.

Ein Blick auf die Zinsentwicklung zeigt, dass das Zinsniveau in der Nachkriegszeit noch niemals so niedrig lag wie heute. Und selbst wenn man die Risikoaufschläge für Unternehmen hinzu addiert, liegt der Zins noch moderat im Mittelfeld der Nachkriegszeit. Das ist natürlich eine heftige Krise, zugegeben.

Ein Blick auf die Autoverkäufe und die Reisebuchungen zeigt, dass das Jahr 2009 ganz nah an den historischen Höchstmengen liegen wird. Das ist natürlich eine heftige Krise, zugegeben.

Ein Blick auf die Arbeitslosenstatistik zeigt, dass sowohl von der Quote als auch von den absoluten Zahlen her die Arbeitslosigkeit in den Jahren 1996 bis 1999 und 2003 bis 2006 weit höher lag als heute. Und das ist natürlich eine heftige Krise, zugegeben.

Ich will das jetzt alles nicht verharmlosen. Die Arbeitslosigkeit wird definitiv noch deutlich ansteigen, und das wird durchaus negative Auswirkungen auf die Wirtschaft zeigen, die jedoch nicht so gravierend einzuschätzen sind, da weit über 40 % der Bevölkerung heute von Transfereinkommen leben, an denen sich überhaupt nichts ändern wird. Und es ist auch nicht zu verleugnen, dass das Weltfinanzsystem nur haarscharf einem Kollaps entronnen ist.

Doch das, was wir derzeit machen – und mit uns machen lassen – erinnert an den alten Witz, den André Kostolany immer über die Inflationsfurcht erzählt hat, die sich aber auf unser Suhlen im Krisengefühl ebenso gut übertragen lässt: Auf einer Zugfahrt klagt ein Reisender immer wieder: „Ach, was habe ich für einen Durst.“ Das geht die halbe Fahrt so, dann bekommt er endlich etwas zu trinken. Doch das Klagen hat damit keinesfalls ein Ende, denn jetzt beschäftigt ihn ebenso intensiv etwas Anderes und durchaus Verwandtes: „Ach, was werde ich wieder für einen Durst haben.

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