Kompetenz bedeutet ja zunächst einmal, sich mit Sachverhalten bisweilen auch visionär auseinandersetzen zu können. In diesem Zusammenhang ist sicherlich der Steuerexperte und Vordenker der Merz’schen Bierdeckelsteuererklärung, Paul Kirchhof, zu nennen. Dessen Nominierung war genau das richtige Signal an die amtierende Regierung, an die Bevölkerung sowie das Ausland. Dort wurde der deutschen Wirtschaft ja kürzlich eine Art Wiedergeburt in Aussicht gestellt, die hierzulande noch für unmöglich gehalten wird. Das Signal „Kirchhof“ bedeutet indes nicht, das jetzt eine Art Automatismus in Gang kommt, der Investitionen anlockt wie das Licht die Fliegen. Kirchhof allein ist nur eine Person, mit einem dezidierten Entwurf zwar und der Vision von einem einfachen Steuersystem. Leider wird aber in der Union schon heftigst in groben Zügen an dem Steuermodell herumgefeilt, weil es so gar nicht zum einmal verabschiedeten Programm paßt.

Aber bedeutet Kompetenz nicht auch, seine vielleicht falsche Position auch einmal revidieren zu können? Ist es nicht genau diese Qualität, die den Deutschen in ihrem Kompromißstreben verloren gegangen ist, nur um möglichst alle mit einem Ergebnis zu beglücken? Die Union muß, wenn es ihr wirklich um die Sache geht, den Plan Kirchhofs zum Kernbestandteil ihrer Legislaturperiode machen. Andernfalls würde sie die ihr in den aktuellsten Wahlumfragen unterstellte Glaubwürdigkeit womöglich für immer verlieren. Mit einer Steuerreform, die ihren Namen nach auch wirklich etwas Neues mit sich bringt, könnte die Union ihre wahre Kompetenz auch tatsächlich unter Beweis stellen. Denn alles was man bisher unter anderem aus dem Bereich der Kopfprämie, Kopfpauschale oder Gesundheitsprämie vernommen hat, erscheint doch wenig visionär, überaus verkompliziert, dem Konsens untergeordnet und damit wieder nur Stückwerk zu sein.

Mit aber genau diesen Ansätzen haben sich die deutschen Regierungen in den letzten Jahrzehnten durchlaviert. Keinem ist der große Wurf gelungen, das Vertrauen in die Politik hat maßgeblich gelitten. Sollte die Union in zumindest einem Politikfeld ein großer Wurf gelingen, dann wäre dies staatspolitisch vielleicht wichtiger als überall mal die Stellschrauben nachzuziehen. In diesem Fall hätte die Union das ihr entgegen gebrachte Vertrauen gerechtfertigt. Zur Kompetenz gehört nämlich auch, sie nicht nur nach außen zu zeigen, sondern sie nach innen wirken zu lassen. Sicherlich werden Merkel und ihre Mannen vom Paradigmenwechsel Schröders hin zu „weniger Staat“ profitieren, aber Glaubwürdigkeit ist eben jene politische Qualität, an der es in der Bundesrepublik mangelt und die man nur durch einen Befreiungsschlag zurückgewinnt.

Vielleicht setzt die Union unter Angela Merkel wenigstens ein großes Reformvorhaben wie die Steuerreform in die Realität um. Zu wünschen wäre es uns. Immerhin leidet Deutschland nicht an einem Analysedefizit, hier wurden wirklich größte Anstrengungen unternommen, gerade in den inflationär auf allen Sendern anberaumten Ersatzparlamentsrunden. Nein, die Bundesrepublik leidet unter einem latenten Umsetzungsdefizit. Wer genau hier ansetzt, dem könnte man geneigt sein Kompetenz zu unterstellen. So denn: auf Kirchhofs Aufschwung.

Tobias Karow

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