Wenn man davon ausgeht, daß es durchaus Politiker gibt, die nach der Wahl das umsetzen, was sie vor dem Urnengang versprochen haben, können die betroffenen Ölkonzerne nicht wirklich überrascht gewesen sein: Morales hatte die Verstaatlichung des Energiebereichs lange angekündigt und zu einem zentralen Punkt seines Wahlkampfes gemacht. Konzerne und Börse hatten also eine Ahnung dessen, was auf sie zukommt.

Auch deshalb sind die Reaktionen auf den Kurszetteln weitgehend ausgefallen, zumal Bolivien faire Verhandlungen um neue Verträge versprochen hat. Etwas anderes kann sich das Land gar nicht leisten, da es mehr denn je auf ausländische Investoren angewiesen ist. Letztlich kommt hinzu, daß  das lateinamerikanische Land nicht zur ersten Garde der Öl- und Gasproduzenten gehört.

Gravierender wäre es, wenn man im Tun Morales einen Beispielfall sehen müßte, der viele Nachahmer auf den Plan ruft. Doch das ist derzeit nicht zu erkennen. Die Konstruktion, daß multinationale Konzerne gegen vergleichsweise geringe Konzessionsgebühren mehr oder weniger in Eigenregie Öl- oder Gasfelder entwickeln und die Gewinne in die Zentrale überwiesen werden, darf als Auslaufmodell gelten. Joint Ventures, bei denen die Mehrheit von zumeist staatlichen Gesellschaften oder Privatunternehmen mit großem staatlichen Einfluß gehalten werden, sind mittlerweile die Regel in jenen Ländern, die weder das Kapital noch das Know-how besitzen, Bodenschätze selber zu heben. So gesehen hat Morales mit seiner Aktion für ein Stück Normalität gesorgt und nicht für eine Staatsaffäre, wenngleich das Vorgehen so nicht akzeptabel ist und vor allem innenpolitisch motiviert sein dürfte.

Letztlich, das haben die Ergebnisse der vergangenen Quartale bewiesen, können ExxonMobil, BP, Shell + Co. sehr gut mit Joint Ventures leben, und das werden sie auch in Zukunft tun. Morales dürfte Art und Zeitpunkt auch gewählt haben, um sich in Lateinamerika zu profilieren. Eine nachdrückliche Reaktion der USA ist angesichts der übrigen Baustellen der Weltmacht hinreichend unwahrscheinlich. Man muß letztlich keineswegs eine marxistische Weltanschauung besitzen, um die Forderung der Menschen in Bolivien nach Teilhabe am Reichtum des Landes als gerecht zu empfinden. Eine Einschätzung, die auch für die meisten übrigen Länder der Region gilt.

Stefan Preuß

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