Schaut man nämlich auf deren Internetseite, findet man folgende Definition: „Der Begriff Soziale Marktwirtschaft beschreibt die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland. Ihr Grundelement ist die Verbindung des Prinzips der Freiheit auf dem Markt mit dem des sozialen Ausgleichs.“

Als wichtige Elemente dieser Konzeption werden unter anderem folgende Punkte hervor gehoben: „Bewusste Konjunktur- und Wachstumspolitik, Sicherung der Vollbeschäftigung, Außenhandelsfreiheit, freier Währungsaustausch, Politik des stabilen Geldwertes und soziale Sicherheit, soziale Gerechtigkeit und sozialer Fortschritt (durch staatliche Umverteilungsmaßnahmen in Form von Sozialhilfeleistungen, Sozialrenten und Ausgleichszahlungen, Subventionen, progressiver Einkommensteuer usw.).“

Was bedeutet das nun? Eigentlich bedeutet es: Soziale Marktwirtschaft ist alles und nichts. Oder anders gesagt: Soziale Marktwirtschaft ist nichts anderes als eine normale Marktwirtschaft mit staatlicher Beteiligung. Dann jedoch besitzen China, Burundi und die Bundesrepublik alle eine Soziale Marktwirtschaft, schließlich gibt es auf der Welt keine Volkswirtschaft mehr, in welcher der Staat nicht mitspielt und einige oder mehrere der obigen Ziele verfolgt. Eine Definition der Sozialen Marktwirtschaft, wie sie hier geschieht, hilft also nicht weiter. Und zwar deshalb, weil sie keine Abgrenzung der Sozialen Marktwirtschaft gegen eine reine Marktwirtschaft erlaubt.

Und dennoch denke ich, dass es eine Soziale Marktwirtschaft gibt. Es gibt eine Soziale Marktwirtschaft – und sie ist das große Erfolgsmodell der Bundesrepublik Deutschland. Doch dieses Modell existiert nur noch als Konzept. In der Realität ist es tot. Die Marktliberalisierungen seit den 80er Jahren haben seine Zerstörung eingeleitet und der Mauerfall zwischen Ost und West hat ihm den Rest gegeben. Heute gibt es in Deutschland keine Soziale Marktwirtschaft mehr. Doch es hat sie einmal gegeben.

Dies ist keine romantische Rückbesinnung, sondern eine nüchterne Faktendarstellung. Heute sind die Grenzen für Waren und Kapital überall weit offen. Die Preise, welche die Unternehmen erzielen und die Haushalte bezahlen, sind Marktpreise, genauer Weltmarktpreise. Unsere Volkswirtschaften sind effizienter geworden. Marktnischen und Marktabschottungen, die früher die Regel waren, existieren nur noch in sehr wenigen Bereichen.

Doch die Effizienz fordert ihren Tribut. Wir sehen es an der Beschäftigungspolitik der großen Dax-Unternehmen. Fast alle erzielen sie derzeit Top-Gewinne, und trotzdem wird die Beschäftigung massiv abgebaut. Das ist betrüblich, doch wer sich dagegen auflehnt, hat die Prinzipien des freien Marktes nicht verstanden. Die deutschen Dax-Unternehmen stehen nämlich in Konkurrenz zu ebenso großen und erfolgreichen Unternehmen anderer Länder. Und gelingt es ihnen nicht, in der Produktivität mitzuhalten, werden sie ins Hintertreffen geraten. Und dann stehen noch viel mehr Arbeitsplätze auf der Kippe.

Aus diesem Winkel wird nun aber auch ein Blick auf das tatsächliche Konzept der Sozialen Marktwirtschaft deutlich. Es ist das Konzept eines weitgehend freien Marktes, der jedoch nach außen hin abgeschottet ist. Daher sind die Preise, die sich in dieser Volkswirtschaft bilden, keine Weltmarktpreise und auch keine Effizienzpreise. Es entsteht vielmehr das, was die Volkswirte „Übergewinne“ und „Renten“ nennen. Die Unternehmen können etwas fetter bleiben als sie es heute sein müssen, und die Arbeitnehmer können weniger arbeiten und mehr verdienen. Dafür liegt das Preisniveau allerdings höher und die Versorgung bleibt hinter dem Effizienzniveau zurück.

Gibt man allerdings die Abschottung nach außen auf, dann fällt dieses Modell in sich zusammen und wird durch das Weltmarkt-Effizienz-Modell ersetzt. Das sollte jeder beachten, der heute über die Soziale Marktwirtschaft fabuliert oder sich über die Ergebnisse des freien Marktes mokiert. Unter Ludwig Erhard gab es keine grenzenlos offenen Märkte, da gab es feste Wechselkurse, Kapitalverkehrskontrollen und keineswegs einen freien Außenhandel. Da ging alles viel ruhiger und gemütlicher zu, allerdings war das Konsumniveau auch keinesfalls so hoch wie heute.

Das muss man beides gegeneinander abwägen. Es war eine bewusste Entscheidung, in den 80er Jahren die Finanzmärkte zu liberalisieren sowie die außenwirtschaftliche Abschottung aufzugeben und damit das Ende der Sozialen Marktwirtschaft vorzubereiten. Hier wurden die Wurzeln der Welt gelegt, in der wir heute leben. Es ist also kein Naturschicksal, mit dem wir heute umzugehen haben, sondern es sind die Konsequenzen unserer eigenen Handlungen. Wir sollten langsam anfangen, diesen Tatsachen ins Auge zu sehen.

Bernd Niquet

Die GoingPublic Kolumne erscheint wöchentlich in Zusammenarbeit mit dpa-AFX.

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