Streikende Müllfahrer, wütende Handywerker oder bummelnde Fluglotsen – an richtige Streiks in der Bundesrepublik können sich eh nur die Älteren erinnern, etwa als es darum ging, dass Papa am Wochenende der Familie gehört. Bei einem Wettbüro hätte es aber bestimmt eine Quote von 1:1.000 gegeben, wer auf Milchbauern als nächste Streikfront gewettet hätte. Bundschuh reloaded – damit war einerseits nicht zu rechnen. Andererseits fehlte schon seit langem wohl nur noch der Tropfen, der das Milchfass zum Überlaufen brachte.

Fair gehandelte Waren, da denkt man an Hilfe à la Fairtrade für ausgebeutete Kaffeebauern in Peru, von Großgrundbesitzern und US-Konzernen bedrängten Bananenpflanzern in Mittelamerika, hilfebedürftige Tee-Kooperativen in Sri Lanka oder um die Existenz kämpfende afrikanische Kakao-Kleinbauern. Nun also auch an den vom Milchbaron ausgehungerten Milchbauer um die Ecke. So honorig die Idee mit Milch aus fairem Handel im ersten Moment klingt – sie lässt doch die Vermutung keimen, dass der bisherige Handel offenbar so fair nicht ist.

Die Verfechter der freien Marktwirtschaft postulieren die These vom Wachsen oder Weichen. Doch das liegt nicht im Interesse der Bauern und auch nicht der Gesellschaft. Die niedrigen Preise mit einem Schulterzucken zur Kenntnis zu nehmen und auf die Marktkräfte von Angebot und Nachfrage zu verweisen, ist arg kurz gedacht, schon weil eine Kuh im Gegensatz zu einer Produktionslinie keinen Knopf zum Ausschalten besitzt. Der so genannte „Schweine-Zyklus“, der übliche Kreislauf von steigender Nachfrage, steigenden Preisen, Ausweitung der Kapazitäten, Überangebot, fallenden Preise, Kappen der Kapazitäten, steigender Nachfrage, steigenden Preisen und so fort muss bei der Produktion von Grundnahrungsmitteln verhindert werden. Weil es sonst in den Hochpreisphasen auch hierzulande zu sozialen Härten kommt, die schlicht inakzeptabel wären. Milch oder Getreide dürfen nicht als „normale“ Rohstoffe wie Baumwolle, Eisenerz, Öl oder Zuchtlachs gelten.

Die Milchviehhalter müssen sich freilich vorwerfen lassen, dass sie bleiern lange benötigt haben, sich vom Bauernverband zu emanzipieren. Der vertritt wessen Interessen auch immer, auf alle Fälle aber nicht die der kleinen und mittleren Milchviehbetriebe. Und dass die Milchbauern bei den Molkereien wenig oder nichts mehr zu bestimmen haben wenn es ums Absahnen geht, spricht auch nicht eben für die sprichwörtliche Bauernschläue. Wie auch immer: Verbraucher und Einzelhandel müssen einsehen, dass auskömmliche Preise für die hiesigen Milchbauern allen am meisten hilft. Man muss nicht die Keule vom Raubtier-Kapitalismus schwingen. Aber bei Grundnahrungsmitteln stößt die Lehre der reinen Marktwirtschaft an Grenzen.

Stefan Preuß

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