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Es hat sich mittlerweile herumgesprochen: Die Frage, wer die Aktionäre eines Unternehmens sind, lässt sich heute von im regulierten Markt gelisteten Emittenten recht zügig mit einer Share-ID klären. Aber wer möchte das eigentlich wissen? ­Zahlreiche Unternehmen, aber nicht nur diese: Dass zu den Interessenten auch der Fiskus gehört, dürfte bislang weniger bekannt sein – genauso wenig wie der Umstand, dass die Aktionärserhebung für viele Unternehmen bald schon zur ­jährlichen Pflichtübung wird.

Am 8. Juni 2021 wurde das Gesetz zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und der Bescheinigung der Kapitalertragsteuer – auch bekannt unter den nicht weniger sperrigen Kurzformen „Abzugsteuer­entlastungs­moder­nisierungsgesetz“ oder „AbzStEntModG“ – verkündet. Das AbzStEntModG enthält die Verpflichtung für börsennotierte Gesellschaften, Informationen über die Identität ihrer Aktionäre zum Zeitpunkt des Gewinnverteilungsbeschlusses – sprich der Hauptversammlung – zu verlangen und die ihnen übermittelten Informationen unverzüglich an das Bundeszentralamt für Steuern elektronisch zu übermitteln.

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Cum Ex und Cum Cum lassen grüßen

Durch die Änderung des Einkommensteuer­gesetzes wird erstmals eine Pflicht für ­inländische börsennotierte Gesellschaften und Emittenten anderer zins- und dividendenberechtigter Wertpapiere zur Identifikation ihrer Aktionäre eingeführt. Die neue Meldepflicht wird mit der Erforderlichkeit der Betrugsbekämpfung und der Sicherung des Steueraufkommens begründet. Die Regelung soll erstmals auf ­Dividendenbeschlusstermine nach dem 31. Dezember 2024 angewendet werden. Und obwohl es die Steuerhüter auf Dividendenzahlungen abgesehen haben, dürften alle Unternehmen betroffen sein, die über eine Gewinnverwendung abstimmen lassen.

Wer sich nun fragt, wem die Unter­nehmen diese neuen Auflagen zu verdanken haben, der sollte den Blick Richtung Cum-Ex- und Cum-Cum-Täter richten. Bei Cum-Ex-Geschäften ließen sich Investoren eine nur einmal ausgezahlte Steuer mehrfach zurückerstatten, bei Cum Cum ließen sich Beteiligte Steuererstattungen auszahlen, auf die der eigentliche Eigen­tümer der Aktien grundsätzlich kein ­Anrecht hatte. Allein in Deutschland sind durch solche missbräuchliche Wertpapier­geschäfte schätzungsweise 36 Mrd. EUR Steuereinnahmen verloren gegangen; Geld, das letztlich der Gesellschaft in ihrer Gesamtheit gehörte. Um solche Schädigungen künftig zu verhindern, werden nun die Emittenten mit ins Boot geholt – damit leisten Unternehmen letztlich einen ­Beitrag im Sinne der gesellschaftlichen Verantwortung, den sie auf ihrem ESG-Konto verbuchen können.

Im Investorentargeting erprobt

Einige Unternehmen dürften sich über neue Aufgaben und neue Kosten im Zuge der Hauptversammlungsvorbereitungen ärgern. Die gute Nachricht ist, dass das Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie („ARUG II“) den Weg dafür bereitet hat, dass der Prozess zur Aktionärsdatenerhebung mittlerweile auto­matisiert abläuft. Seit September 2020 ­haben börsennotierte Gesellschaften aus dem regulierten Markt nämlich die Möglichkeit, von Depotbanken Informationen über die Identität ihrer Aktionäre zu verlangen. Spezialisierte Dienstleister starten dafür eine Abfrage über das bankeninterne Informationssystem „SWIFT“. Die Emittenten erhalten nach wenigen Tagen eine ­Aufstellung, die u.a. Angaben über den ­Namen, die Anschrift, die E-Mail-Adresse der Aktionäre erhält. Auch die Zahl der ­gehaltenen Aktien und die LEI-Nummer werden übermittelt. So können Unternehmen bis auf den Fonds hinunter ermitteln, wer zu einem bestimmten Stichtag wie ­viele Aktien des Unternehmens hält – und künftig auch, ob er diese an andere ­Anleger verliehen hat.

Zahlreiche Unternehmen nutzen die neuen Möglichkeiten bereits regelmäßig – und das nicht nur anlässlich anstehender Hauptversammlungen. Allerdings ist die Aktionärserhebung wenige Wochen vor wichtigen Abstimmungen wohl noch immer der häufigste Antrieb, um auf Basis der ­aktuellen Aktionärsliste Proxy-Solicitation-Maßnahmen durchführen zu können. Eine steigende Zahl von Emittenten nutzt die neuen, günstigeren und im Ergebnis besseren Erhebungen allerdings mittlerweile fortlaufend – häufig im Quartalsrhythmus –, um Veränderungen im Aktionariat zu ­analysieren.

Analyse von Aktionärsbewegungen

Den Kosten einer Share-ID steht nämlich ein erheblicher Informationsgewinn gegen­über, den auch jetzt bereits zahlreiche ­Unternehmen zu schätzen wissen. ARUG II hat dabei nicht nur den Prozess und die Ergebnisqualität deutlich verbessert, ­sondern zusätzlich die Reichweite: Rückmeldungen kommen nun auch von ausländischen Depotbanken, z.B. von wichtigen, aber zuvor wenig auskunftsfreudigen ­Finanzplätzen wie Luxemburg, Liechtenstein oder der Schweiz. Allerdings können Schwellenwertregelungen wie in Österreich (verpflichtende Meldung erst ab 0,5% der Aktien) die Ergebnisse bei der ­Erfassung von Aktionären mit geringen Beständen beeinträchtigen.

Dauerte eine Aktionärserhebung früher mehrere Wochen, liegt das Ergebnis heute innerhalb von fünf Arbeitstagen vor. Nach gewissen Anlaufschwierigkeiten bei den Banken werden heute bei jeder Erhebung mindestens 90% der Aktionäre ermittelt; in 90% der Fälle gelingt eine nahezu vollständige Identifikation. Emittenten können dabei bestimmen, welche Größenordnung von Beständen für sie bei der Erhebung ­relevant ist (beispielsweise ab 100 oder 1.000 Aktien). Auch regionale Eingrenzungen der Erfassungen sind möglich.

Besonders interessant ist die Möglichkeit, Erfassungen mit vergangenen Record Days durchzuführen. So können Veränderungen im Aktionariat aufgrund bestimmter Ereignisse und Maßnahmen analysiert werden. Detaillierte Kontaktdaten eröffnen neue Möglichkeiten in der direkten Kommunikation mit Investoren und der Organisation von Roadshows.

Banken erheben Gebühren

Verunsicherung herrscht im Markt teilweise bzgl. der Kosten, die von den Banken für das Erheben und Ermitteln von Aktionärsdaten erhoben werden. Einen guten Anhaltspunkt, was angemessen ist, bietet die Verordnung über den Ersatz von Aufwendungen der Kreditinstitute (KredInstAufwV), die Bezug auf das Führen eines Aktionärsregisters bei Namensaktien nimmt. Demnach sind die Kosten für einen elektronisch ermittelten Datensatz mit 0,08 EUR anzusetzen. Mitunter haben Banken nun höhere Gebühren in Rechnung gestellt. Mit Verweis auf die gesetzlich festgelegten Beträge sind die Unternehmen jedoch in einer guten Verhandlungsposition, überhöhten Rechnungen zu widersprechen.

Es ist wohl davon auszugehen, dass dieser offene Punkt im Rahmen der ­verpflichtenden Übermittlung der Aktionärsdaten ab 2025 durch eine eindeutige Regelung geschlossen wird. Aufgrund der automatisierten Abläufe ist mit einem ­weiteren Absenken des Preises zu rechnen. Das ist genauso ein Pluspunkt auf dem Konto des Aktionärszensus wie die Aussicht, dass die im Freiverkehr gelisteten ­Unternehmen künftig auch gesetzlich v­erbrieftes Anrecht auf Auskunft erhalten – diese werden von ARUG II bislang nämlich noch nicht erfasst.

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Autor/Autorin

Götz Dickert

Götz Dickert ist Gründergeschäftsführer der CAPTRACE GmbH, die sich auf Services im Bereich der Aktienregistrierung und Aktionärsanalyse spezialisiert hat. Der Informatiker verfügt über langjährige Erfahrung im Bereich Abwicklungs- und Aktienregistersysteme, an deren Konzeption er u.a. bei Deutsche Börse Systems mitgewirkt hat.