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Von der Brüsseler Agenda für den Kapitalmarkt gehen 2022 unterschiedliche Signale aus. So überlegt die EU-Kommission im Kapitalmarktrecht, die Emittenten von Bürokratie zu entlasten und mehr Rechtssicherheit zu schaffen. Vor allem zur Nachhaltigkeitsberichterstattung treibt sie dagegen zahlreiche neue Initiativen voran, die zu erheblichen Mehrbelastungen bei den Unternehmen führen werden. Ein Überblick zum Stand der wichtigsten Vorhaben.
In die Diskussion um die Kapitalmarktunion ist wieder Bewegung gekommen. Von Ende November 2021 bis Ende Februar 2022 hat die EU-Kommission eine Konsultation zu einem EU-Listing Act durchgeführt. Ziel des Vorhabens ist es, die Kapitalmarktfinanzierung zu erleichtern und die Börsennotiz attraktiver zu machen.
Großes Ziel einer Kapitalmarktunion
Dazu werden mit der EU-Prospektverordnung, der EU-Marktmissbrauchsverordnung und Teilen der EU-Kapitalmarktrichtlinie MiFID gleich mehrere Eckpfeiler des europäischen Kapitalmarktrechts auf den Prüfstand gestellt. Auch sollen sich die Marktteilnehmer zu Maßnahmen äußern, die vor allem die Kapitalmarktfinanzierung von Wachstumsunternehmen verbessern könnten. Dazu zählen die Möglichkeit zu Mehrfachstimmrechten und ein möglicher EU-Rahmen für sogenannte Special Purpose Acquisition Companies (SPACs) als innovative Form des Börsengangs.
Überraschend ist, dass die Kommission in der Konsultation auch nicht vor sehr grundlegenden Fragen zurückscheut. So geht es im Bereich der EU-Marktmissbrauchsverordnung z.B. um die Definition von Insiderinformationen und ab wann diese ad hoc veröffentlicht werden sollten. Auch der Inhalt von Insiderlisten, die Meldevorgaben bei Managertransaktionen und die Sanktionen werden einer Prüfung unterzogen. Beim Prospektrecht geht es um mögliche Erweiterungen von Prospektausnahmen und um eine generelle Reduktion von Umfang und Pflichtangaben.
Mit konkreten Legislativvorschlägen auf Grundlage der Konsultation ist voraussichtlich im Herbst zu rechnen. Die Kommission sollte die begonnene Überprüfung des Regelwerks beherzt vorantreiben, auch, um dem Trend der seit Jahren sinkenden Zahl an börsennotierten Unternehmen etwas entgegenzusetzen. Andere Länder haben längst begonnen, den regulatorischen Rahmen für die Börse neu zu justieren, um Börsengänge anzuziehen.
Wichtiges Jahr für Sustainability
2022 ist mit Blick auf die Nachhaltigkeitsberichterstattung börsennotierter Unternehmen ein wichtiges Jahr. Unternehmen müssen zum ersten Mal nach der EU-Taxonomie berichten. Außerdem werden die Corporate Sustainability Reporting Directive und die damit verbundenen Berichtsstandards in diesem Jahr vorangetrieben, und die EU-Kommission hat den Entwurf ihrer Corporate Sustainability Due Diligence Directive vorgelegt.
EU-Taxonomie für nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten
Die EU-Taxonomie-Verordnung ist ein Klassifizierungssystem, um nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten zu bestimmen. Wirtschaftsaktivitäten sind dann nachhaltig, wenn sie einen substanziellen Beitrag zum Erreichen eines der sechs Umweltziele leisten, die in der Taxonomie-Verordnung festgelegt sind. Gleichzeitig darf der Beitrag aber keinem der anderen Umweltziele auf signifikante Weise abträglich sein. Ergänzt wird die Taxonomie durch Prüfkriterien, nach denen die Taxonomiekonformität der Wirtschaftstätigkeiten zu bestimmen ist. Die Prüfkriterien werden in Form von delegierten Rechtsakten erlassen.
Ende Dezember 2021 sind die delegierten Rechtsakte zum Klimaschutz und zur Anpassung an den Klimawandel sowie zur Berichterstattung in Kraft getreten. Damit sind die Voraussetzungen für eine erste Veröffentlichung von Taxonomieangaben durch die Unternehmen im Jahr 2022 gegeben.
Im Februar 2022 hat die EU-Kommission einen ergänzenden delegierten Rechtsakt zu Gas und Atomkraft vorgelegt, der jedoch zwischen den Mitgliedstaaten – abhängig von den nationalen Energiepräferenzen – sehr kontrovers diskutiert wird. Das EU-Parlament hat jetzt vier Monate Zeit, darüber abzustimmen. Im Laufe des Jahres sollen auch die delegierten Rechtsakte zu den weiteren Umweltzielen (Verschmutzung, Wasser, Biodiversität, Kreislaufwirtschaft) der Taxonomie vorgelegt werden.
Vorbereitet werden die delegierten Rechtsakte durch die Platform on Sustainable Finance, die Ende Februar 2022 auch ihren Abschlussbericht zur sozialen Taxonomie vorgelegt hat. Ob es aber in dieser Legislaturperiode noch zu einer sozialen Taxonomie kommt, bleibt angesichts der vielen offenen Fragen bei der Umwelttaxonomie abzuwarten.
Die Vorgaben der Taxonomie sind äußerst komplex und verursachen einen hohen Aufwand in den Unternehmen. Hilfreich wäre deshalb, eine zentrale Anlaufstelle für Unternehmen einzurichten, damit dort Auslegungsfragen geklärt werden können.
Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD)
Der von der EU-Kommission im April 2021 vorgelegte Entwurf einer Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen verpflichtet die betroffenen Unternehmen zu einer umfassenden Offenlegung von Nachhaltigkeitsinformationen. Während nach dem Kommissionsentwurf die Berichterstattung ab 2023 für das Geschäftsjahr 2022 erfolgen sollte, zeichnet sich jetzt ab, dass große Unternehmen wohl erstmals 2024 berichten müssen.
Aktuell befinden sich die Verhandlungen zur Richtlinie auf der Zielgeraden. Der Rat der EU hat bereits im Februar seine allgemeine Ausrichtung formuliert. Das EU-Parlament hat Mitte März über die Kompromissvorschläge zur CSRD abgestimmt. Im April geht es in die abschließenden Trilogverhandlungen zwischen Rat, Parlament und Kommission. Das Gesetzgebungsverfahren soll bis Mitte des Jahres abgeschlossen werden. Ob das funktioniert, wird sich zeigen, denn die Auffassungen von Rat und Parlament liegen zum Teil noch deutlich auseinander.
Insbesondere das Kompromisspapier des Parlaments enthält dabei eine Reihe problematischer Punkte: So soll nach dem Willen des Parlaments im Konzern die Nachhaltigkeitsberichterstattung zukünftig auch auf Ebene der Tochterunternehmen stattfinden. Sinnvolle Aussagen wie beispielsweise zur Strategie und dem Geschäftsmodell können jedoch nur auf Konzernebene getroffen werden. Abzulehnen ist auch, dass der Finanzbericht und der Nachhaltigkeitsbericht von zwei verschiedenen Wirtschaftsprüfern geprüft werden sollen. Auf diese Weise gingen wichtige Synergien bei der Prüfung verloren. Schließlich ist auch nicht nachvollziehbar, warum die Nachhaltigkeitsberichterstattung, die zukünftig im Lagebericht erfolgen wird, in einem speziellen Abschnitt erfolgen soll. Für Unternehmen, die bereits heute integriert berichten, wäre das ein ernsthaftes Problem.
Europäische und internationale Nachhaltigkeitsberichtsstandards
Die Offenlegungspflichten der CSRD werden durch europäische Nachhaltigkeitsberichtsstandards konkretisiert, die die European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) erarbeitet. Seit Januar 2022 veröffentlicht die EFRAG erste Arbeitspapiere von Standards und Guidelines zu den verschiedenen Umweltzielen und allgemeinen Vorgaben. Die ursprünglich für Oktober 2022 vorgesehene Verabschiedung aller Standards wird voraussichtlich auf April 2023 verschoben.
Trotzdem ist das ein sehr ambitionierter Zeitplan, sollen doch die Standards nicht nur klima- und weitere umweltbezogene Aspekte umfassen, sondern auch soziale und Governance-Themen. Die EU-Kommission sollte deshalb Prioritäten setzen. So sollte zunächst die klimabezogene Berichterstattung adressiert werden. Dies wäre angesichts des drohenden Klimawandels und des Ziels der EU, 2050 klimaneutral zu sein, konsistent.
Parallel zu den europäischen Standards arbeitet auch das neu gegründete International Sustainability Standards Board (ISSB) der IFRS Foundation an einem internationalen Standard für die Nachhaltigkeitsberichterstattung. Dieser wird als globaler Mindeststandard konzipiert, auf dem Nationalstaaten oder Regionen bei Bedarf mit eigenen zusätzlichen Standards aufbauen können. Das ISSB will bis Ende 2022 erste Standards zur Klimaberichterstattung und zu allgemeinen Vorgaben und Metriken verabschieden.
Damit weltweit agierende Kapitalmarktteilnehmer nicht nach unterschiedlichen Regelwerken berichten müssen, ist es erforderlich, dass sich die EU-Kommission und das ISSB eng abstimmen. Es braucht einen Endorsement-Mechanismus ähnlich wie bei den internationalen Rechnungslegungsstandards (IFRS), über den die EU gegenwärtig die IFRS in europäisches Recht überführt.
Corporate Sustainability Due Diligence Directive
Der von der EU Ende Februar vorgelegte Entwurf eines Lieferkettengesetzes (Corporate Sustainability Due Diligence Directive) erfasst Unternehmen ab 500 Arbeitnehmern und einem Nettoumsatz von 150 Mio. EUR. Unternehmen aus Risikobranchen, wie beispielsweise der Textil- und Lederindustrie, sollen bereits bei einer Arbeitnehmerzahl von 250 in den Geltungsbereich des Gesetzes einbezogen werden. Die Sorgfaltspflichten der Unternehmen beziehen sich auf Menschenrechte und Umwelt entlang der gesamten Wertschöpfungskette, sofern die Geschäftsbeziehungen auf Dauer angelegt sind.
Problematisch ist u.a. die vorgesehene zivilrechtliche Haftung der Unternehmen, die auch mittelbare Zulieferer umfassen soll. In Verbindung mit dem Recht von Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen, nach dem deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz die Ansprüche (vermeintlich) Geschädigter einklagen zu können, kann dies zu erheblichen Prozessrisiken bei Unternehmen führen.
Der Richtlinienentwurf geht jetzt ins EU-Parlament und an die Mitgliedstaaten, sodass noch nicht klar ist, wann und mit welchen Änderungen die Richtlinie in Kraft treten wird.
Konsultation zur Qualität der Finanzberichterstattung
Neben der Revision des Kapitalmarktrechts durch den Listing Act und den Strauß an Aktivitäten im Bereich Nachhaltigkeit dürfte auch die Konsultation der EU-Kommission zur Qualität der Finanzberichterstattung von Ende 2021 in neuen Gesetzesvorhaben münden. Die Konsultation ist die europäische Reaktion auf den Fall Wirecard. Die Kommission fragt darin, ob die bestehenden europäischen Regeln zur Corporate Governance, zur Berichterstattung, zur Abschlussprüfung und zur Aufsicht über börsennotierte Unternehmen und Abschlussprüfer fortentwickelt werden müssen.
Noch ist nicht abzusehen, ob sich aus der europäischen Debatte im Vergleich zum Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz (FISG) schärfere Regelungen ergeben. Eine solche Verschärfung wäre z.B. die Verpflichtung zu „Joint Audits“ – also die Pflicht, die Abschlussprüfung von zwei Prüfungsgesellschaften durchführen zu lassen. Zu befürchten wären dadurch erhebliche zusätzliche Belastungen für die Unternehmen und eine weitere Einengung des Wettbewerbs auf dem Prüfermarkt ohne Qualitätszugewinne. Diese Debatte muss deshalb aufmerksam verfolgt werden.
Leichte Entlastung durch EU-Listing Act möglich
Insgesamt stehen 2022 für börsennotierte Unternehmen viele wichtige Vorhaben auf der Agenda der EU. Bei der Nachhaltigkeitsregulierung sind diese deutlich weiter gediehen als in anderen Bereichen. Hieraus resultieren zahlreiche neue Anforderungen an die Unternehmen mit entsprechenden Kosten und rechtlichen Unsicherheiten. Ein Mehr an Regulierung ist perspektivisch auch aus der Aufarbeitung des Falls Wirecard auf europäischer Ebene zu erwarten. In beiden Fällen gilt es, genau im Auge zu behalten, dass die Unternehmen nicht durch immer mehr und womöglich widersprüchliche Regelungen überfordert werden.
Im engeren Bereich des Kapitalmarktrechts deuten sich hingegen Schritte in Richtung einer vorsichtigen Entlastung der Unternehmen an. Die börsennotierten Unternehmen sollten deshalb aufmerksam den Regulierungsrahmen im Blick behalten und die Politik rechtzeitig auf problematische Entwicklungen hinweisen.
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03. Mai 2022, Frankfurt
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31. Mai 2022, Frankfurt
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30. Juni 2022, Frankfurt
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