Aufsichtsratsmitglieder werden durch die Hauptversammlung gewählt, soweit sie nicht nach den einschlägigen Bestimmungen des Mitbestimmungsrechts als Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer zu wählen sind oder ein Entsendungsrecht zugunsten bestimmter Aktionäre oder Inhaber bestimmter Aktien besteht (§ 101 Abs. 1 AktG). Solche Entsendungsrechte sind selbst bei börsennotierten Gesellschaften keine Seltenheit. Meist haben sie in den jeweiligen Gesellschaften eine langjährige Tradition, deren Ursprung anhand der Unternehmensgeschichte nachzuvollziehen ist. Immer wieder kommt es dennoch vor, dass Entsendungsrechte neu eingeführt werden sollen.

Das Aktiengesetz steht dem nicht grundsätzlich entgegen, und seit der Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm aus dem Jahr 2008 zur Einführung von Entsendungsrechten in den Aufsichtsrat der thyssenkrupp AG können einige der hierbei maßgeblichen rechtlichen Grundsätze als geklärt gelten. Offengeblieben ist hingegen die Frage, ob ein Beschluss über die Einführung eines Entsendungsrechts in den Aufsichtsrat neben der satzungsändernden Mehrheit einer sachlichen Rechtfertigung bedarf, um nicht am Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung (§ 53a AktG) oder dem Treuegebot zu scheitern.

Die Entscheidung des Landgerichts München I

In dem hier zu besprechenden Fall hatte ein Aktionär im Rahmen eines Einberufungsverlangens gemäß § 122 Abs. 1 AktG vorgeschlagen, ein Entsendungsrecht zugunsten eines namentlich benannten Aktionärs einzuführen und die Satzung der Gesellschaft entsprechend zu ändern. Anders als im Fall der thyssenkrupp AG sollte das Entsendungsrecht allerdings nicht an eine Mindestbeteiligungsquote gekoppelt sein.

In dem Verzicht auf eine Mindestbeteiligungsquote sah das Landgericht München I einen wesentlichen Unterschied zum Fall thyssenkrupp AG. Es erklärte den mit der notwendigen Mehrheit zustande gekommenen Beschluss der Hauptversammlung daher für nichtig und begründete seine Entscheidung u.a. mit der Überlegung, es widerspreche dem Gleichbehandlungsgrundsatz und dem Treuegebot, wenn einem Aktionär (nachträglich) die Möglichkeit eingeräumt werde, im Extremfall mit nur einer Aktie die Person eines Aufsichtsratsmitglieds zu bestimmen. Dem betreffenden Aktionär werde durch eine solche Regelung ein nicht mehr verhältnismäßiger Einfluss auf die Gesellschaft eingeräumt. Zum Vergleich: Im Fall der thyssenkrupp AG wurde ein gestaffeltes Entsendungsrecht eingeführt und durch die Gerichte bestätigt, bei dem das Entsendungsrecht an eine Mindestbeteiligungsquote von 10% gekoppelt war.

Auf die im Kontext des Entsendungsrechts immer wieder aufgeworfene Frage der Vereinbarkeit von Entsendungsrechten mit EU-Recht und hier insbesondere der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) musste das Landgericht München I bei der gewählten Begründung nicht mehr eingehen. Dafür konnte das Gericht seine Entscheidung noch durch die Tatsache absichern, dass die Firma des vom Entsendungsrecht begünstigten Aktionärs in Deutschland gleich mehrfach existierte und eine eindeutige Zuordnung des Entsendungsrechts zu einer bestimmten Rechtsperson aufgrund der beschlossenen Satzungsregelung nicht möglich war. Dies – so das Gericht – erfülle nicht die Anforderungen an die Bestimmtheit von Beschlüssen der Hauptversammlung.

Fazit

Die nachträgliche Einführung von Entsendungsrechten in den Aufsichtsrat ist rechtlich möglich. Anfechtungssicher ist eine entsprechende Satzungsänderung allerdings nur dann, wenn das Entsendungsrecht an eine Mindestbeteiligungsquote geknüpft ist oder andere sachliche Gründe vorliegen.

Wird die Einführung des Entsendungsrechts mit dem Erfordernis einer Mindestbeteiligungsquote gerechtfertigt, liegt hinsichtlich der Höhe dieser Quote noch keine abschließende Entscheidung der Gerichte vor. Je weiter die Quote von der im Fall der thyssenkrupp AG gerichtlich bestätigten Mindestbeteiligungsquote von 10% zurückbleibt, umso höher ist das Anfechtungsrisiko.

Dieser Artikel erschien zuerst in unserem aktuellen HV-Magazin. Das E-Magazin finden sie hier.

Autor/Autorin

Dr. Thomas Zwissler

Rechtsanwalt Dr. Zwissler berät bei gesellschafts-, bank- und kapitalmarktrechtlichen Fragen sowie in allen Fragen der Unternehmensfinanzierung.

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