GoingPublic: Herr Prof. Dr. Zülch, erst COVID-19, dann die Inflation, jetzt Ukraine­krieg und Energieknappheit – im Jahrestakt löst momentan eine Krise die nächste ab. Was bedeutet dieser Krisenmodus für börsennotierte Unternehmen?

Prof. Dr. Henning Zülch: Sie müssen versuchen, die Folgen einer Krise und daraus resultierende ­weitere Probleme zu antizipieren. Zudem sollte analysiert werden, wie Krisen mit­einander zusammenhängen. Die Kapitalmarktkommunikation befindet sich ganz klar in einer Zeitenwende, der Krisen­modus kann erst mal nicht auf Standby ­geschaltet werden. Eigene Geschäfts­prozesse sind so flexibel zu gestalten, dass sie dem Unternehmen trotzdem nichts anhaben können. Es müssen Krisen­pläne frühzeitig entwickelt und kurzfristig angepasst werden. Ein guter Manager muss jetzt nicht nur Lösungen präsen­tieren, sondern auch auf damit einher­gehende Konsequenzen vorbereiten. Über solche Krisenmaßnahmen sollte zudem transparent berichtet werden.

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Können Unternehmen in der Kommunikation immer gleich reagieren oder hat jede Krise ihre eigenen Folgen und ­Herausforderungen?

Zülch: Unabhängig vom Einzelfall: Ein Krisen- bzw. Maßnahmenplan vom Management sollte für die Krisenkommunikation der Ausgangspunkt sein. Die Coronapandemie war die Generalprobe für den Auftritt, der Unternehmen aktuell und in Zukunft in der Finanzkommunikation bevorsteht. ­Dabei sollte dieser Fahrplan die Verantwortlichkeiten, Risiken für das laufende Geschäft sowie kurz-, mittel- und langfristige Maßnahmen umfassen. Diese sind an jede Krise anzupassen und in den einzelnen Sektionen des Geschäftsberichts ­sowie den IR-Medien transparent zu ­kommunizieren.

Was ändert sich in solchen Krisenzeiten bei Investor Relations und Finanzinformationen?

Zülch: Bei den Aktionären bestehen momentan enorme Unsicherheiten. Die IR-Abteilung muss reagieren und die Krisenkommunikation als „New Normal“ ansehen. Das heißt, es sollte offensiv statt defensiv über den Umgang mit den Krisen berichtet ­werden – und zwar konsequent und ­kontinuierlich! Zudem muss eine klare Kommunikationsstrategie entwickelt werden – sowohl intern als auch extern –, um kritische Fragen und Sorgen von Inves­toren, aber auch von Mitarbeitern zu ­beantworten. Die IR-Abteilung sollte sich intern flexibel abstimmen, da sich von heute auf morgen alles ändern kann. Eine wirkungsvolle Variante ist eine schnelle Information über digitale Wege wie ­Postings auf der IR-Website oder Social-Media-Accounts.

Prof. Dr. Henning Zülch ist Inhaber des Lehrstuhls Accounting & Auditing an der HHL Leipzig Graduate School of Management.

Ist dadurch der Trend der letzten Jahre zu einer stetigen Qualitätsverbesserung der Finanzkommunikation ins Stocken geraten?

Zülch: Das ist unterschiedlich. Abseits von Krisenkommunikation hat sich die Qualität der Finanzkommunikation verbessert. Das können wir anhand unseres jährlich stattfindenden Wettbewerbs „Investors‘ Darling“ erkennen. Besonders in den ­Rubriken Nachhaltigkeit und Digitali­sierung merken wir, dass Unternehmen diese Trends verstärkt für sich nutzen. Viele börsennotierte Unternehmen legen schon den Blick auf die künftige CSRD. Auch in der digitalen und kohärenten ­Platzierung der Finanzinformationen gibt es Fortschritte. Viele Unternehmen folgen nicht mehr nur dem Ansatz des Regulatory Reporting, sondern setzen auf Communicative Reporting. Dabei platzieren Unternehmen über die gesetzlichen Vorschriften hinaus ihre finanziellen und nichtfinan­ziellen Informationen in sämtlichen Medien ihrer Kapitalmarktkommunikation. Wenn ich allerdings die Krisenkommunikation in der Coronapandemie mit der zur Ukrainekrise vergleiche, hat sich die Qualität keineswegs weiterentwickelt. Wir werden deshalb diese Kommunikation auch in unserem Wettbewerb untersuchen.

Berichten Unternehmen in den aktuellen Krisen besser über deren Auswirkungen auf Geschäftsmodell und künftige finanzielle Lage?

Zülch: Eigentlich nicht. Unsere Ergebnisse der letzten zwei Wettbewerbsjahre zeigen, dass Krisen im Geschäftsmodell und in der Strategie eher wenig bis gar nicht ­erwähnt werden. Daraus könnte man schließen, dass die Unternehmen der ­Meinung sind, dass ihr Geschäftsmodell und die Strategie resilient sind. Mit ihrer Krisenkommunikation sollten Unternehmen jedoch klarstellen, was ihr Geschäftsmodell leisten kann und wie sie sich auf diese herausfordernden Zeiten vorbe­reiten.

In Krisenzeiten müssen Anleger einiges in Kauf nehmen. Sehen Sie die Gefahr, dass die Rechte von Aktionären darunter leiden?

Zülch: Ja, die virtuellen Hauptversammlungen haben für viel Kritik gesorgt, da die Aktionärsrechte nicht in gewohnter Art und Weise ausgeübt werden konnten. Der ­Gesetzgeber hat aber mit dem COVID-19-Maßnahmengesetz lösungsorientiert reagiert, damit Vorstände überhaupt eine virtuelle Hauptversammlung durchführen können. Mit dem im Dezember 2020 verabschiedeten Gesetz wurden zusätzliche Rechte als Ausgleich zu den Einschränkungen verabschiedet. So enthält es z.B. ein Fragerecht für Aktionäre bei Verkürzung der Einreichungsfrist von zwei auf ­einen Tag.

Onlinehauptversammlungen waren die große Entdeckung in der Coronakrise. Sind sie ein gleichwertiger Ersatz für Präsenzveranstaltungen?

Zülch: Die virtuelle Hauptversammlung ist eine gute Übergangslösung während der Pandemie. Grundsätzlich haben dadurch deutlich mehr Aktionäre die Möglichkeit, überhaupt an Hauptversammlungen teilzunehmen. Als Lösung der Zukunft sehe ich eher Präsenzveranstaltungen oder ­zumindest hybride Hauptversammlungen. Dann könnten die üblichen Aktionärsrechte wieder vollständig praktiziert werden – das ist wichtig!

Beim letztjährigen Investors’ Darling lag die Deutsche Post vorne. Womit hat sie sich den ersten Platz verdient?

Zülch: Der Logistikkonzern erzielte in allen Wettbewerbskategorien überdurchschnittliche Ergebnisse. Im Reporting gab es eine ausgezeichnete Darstellung der Vermögens-, Finanz und Ertragslage, eine hervorragende Strategieberichterstattung sowie eine qualitative Prognoseberichterstattung im Halbjahresbericht. Auch im Bereich Corona­krisenkommunikation schnitt die Deutsche Post gut ab und überzeugte zudem durch transparente Nachhaltigkeitsberichterstattung.

Welche Tendenzen sehen Sie aktuell bei den Geschäftsberichten?

Zülch: Nachhaltigkeit ist das Thema schlechthin, besonders die Unterthemen Klima und Umwelt. Das zeigt sich besonders an den Titelseiten der Geschäftsberichte. Der Trend geht noch mehr in Richtung Online-Geschäftsberichte. Beim diesjährigen ­Investors’ Darling haben 89% der DAX160-Unternehmen einen interaktiven PDF-­Geschäftsbericht zur Verfügung gestellt. Dagegen besteht noch Nachholbedarf beim Online-Geschäftsbericht; ihn hatten nur 35 von 160 Unternehmen aus DAX, MDAX und SDAX – Tendenz jedoch ­steigend.

Ist die Online-First-Strategie weiter auf dem Vormarsch?

Zülch: So ist es, denn Unternehmen müssen in der Informationsoffenlegung gegenüber den Nutzern sehr schnell sein. Online­­kommunikation ist der Status quo ­geworden. Hier würde ich sogar von Fast First sprechen. Das Push-Reporting und die schnelle kohärente Informations­darstellung gewinnen immer mehr an ­Bedeutung.

Sind mehr Informationen online immer auch bessere Informationen für Anleger?

Zülch: Ja. Die Unternehmen müssen bedenken, dass vor allem die wachsende Zielgruppe von Privatanlegern Finanzinformationen schnell und einfach bekommen möchte. Wegen geringerer Suchkosten, besserer Vergleichbarkeit und vereinfachter Auswertbarkeit sehe ich bei Onlineangeboten klare Vorteile gegenüber Printmedien.

Woran können Anleger fehlende Transparenz bei der Investor Relations erkennen?

Zülch: Wenn ein Unternehmen nicht die gleiche Sprache spricht, d.h. die Informationen nicht kohärent auf sämtlichen Medien ­dargestellt werden. Ein weiteres Kriterium ist das fehlende Eingeständnis von Fehlern und Strategieanpassungen. Typisch für eine geringe Qualität ist zudem eine defensive Krisenkommunikation und eine oberflächliche Nachhaltigkeitsberichterstattung, die nur gesetzliche Mindest­anforderungen erfüllt.

Neben der Krisenkommunikation drängen auch Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Social Media: Was sind die größten Herausforderungen in den nächsten Jahren?

Zülch: Alle diese Faktoren müssen miteinander in Einklang gebracht werden. Die Zielgruppen verändern sich spürbar und Krisen werden zunehmen.

Herr Prof. Dr. Zülch, vielen Dank, dass Sie uns wieder Rede und Antwort gestanden haben!

Das Interview führte Thomas Müncher.

https://www.hhl.de/de/fakultaet-forschung/prof-dr-henning-zuelch/

Autor/Autorin

Thomas Müncher

Thomas Müncher ist Wirtschafts- und Finanzjournalist und freier Autor beim GoingPublic Magazin.