Und inwiefern unterscheiden Sie sich von der Deutschen Börse?

Schatzschneider: Ich wiederhole da gerne die Worte unseres CEOs, der vor Kurzem sagte, die Deutsche Börse sei sehr deutsch und die Euronext sehr europäisch. Europäisch sein heißt für uns, dass wir unsere europäischen Börsenplätze in einem Börsenmarkt vereinen und in vielen Ländern gleichzeitig aktiv sind. So haben wir bereits ja auch ursprünglich deutsche Emittenten bei uns gelistet, z.B. Curetis, Probiodrug oder X-FAB. Wir verstehen uns auch ganz klar als Techbörse: Mit aktuell über 330 Techwerten sind wir einzigartig in Europa. Zudem sind unser notiertes Volumen und das Handelsvolumen deutlich höher als jene an der Deutschen Börse.

Wie sehen Sie denn generell das Potenzial von Techunternehmen in Deutschland?

Grabert: Das Potenzial ist gewaltig – nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa.Ermöglicht wurde dieser Boom durch die technologischen Entwicklungen der letzten Jahre, vor allem im Bereich der Informationsverarbeitung und -verbreitung. Früher betrafen technologische Entwicklungen eher den Semiconductor- und IT-Bereich. Heutzutage sehen wir die Entwicklungen auch ganz stark im Konsumbereich, Stichwort: E-Commerce. Disruptive Technologien betreffen mittlerweile Märkte, die man früher nie mit IT und Digitalisierung in Verbindung gebracht hätte, z.B.  Automobilhandel, Sportartikel oder den Gastronomiebereich. Daran sieht man, dass die Märkte sich rapide entwickeln und es einen grundlegenden Strukturwandel gibt.

Wieso hat man dann das Gefühl, dass eher etablierte Unternehmen statt innovativer Wachstumsunternehmen hierzulande den Markt dominieren?

Schatzschneider: Das große Problem ist die Finanzierung. Es mangelt in Deutschland an Kapitalgebern, die bereit sind, in Early Stage zu investieren. Im angelsächsischen Raum ist das ganz anders: Dort gibt es Investoren, die gezielt ihr Geld nur in Wachstumsunternehmen stecken. Hierzulande sind viele Kapitalgeber noch sehr zurückhaltend. Ein Start-up zu gründen, ist an sich unproblematisch. So gibt es staatliche Förderungen, KfW-Programme, subventionierte Accelerator-Hubs etc. Sobald die Unternehmen aber Erfolg haben, benötigen sie mehr, teilweise viel mehr Geld als in der Gründungsphase. Denn irgendwann wächst das Unternehmen aus den „Kinderschuhen“ heraus. Es muss raus aus dem subventionierten Büro, muss Leute einstellen, in F&E investieren oder in seine IT-Plattform. An der Stelle fehlt meist das Kapital, da es hier teilweise um größere Summen als 10 Mio. EUR geht. Es gibt zwar schon viel PE- und VC-Aktivität in Deutschland, die aber noch, relativ zu der unternehmerischen Aktivität, überschaubar ist. In den USA, Paris und Amsterdam zeichnet sich da ein ganz anderes Bild.

Inwiefern kommt da der Kapitalmarkt ins Spiel?

Grabert: Gerade bei wachstumsstarken Early-Stage-Unternehmen spielt der Kapitalmarkt eine ganz entscheidende Rolle. Besonders in unseren Nachbarländern sieht man enorm viele Wachstumsunternehmen an der Börse, was hier in Deutschland vielen nicht bewusst ist. Der Kapitalmarkt dient diesen Unternehmen als ideale Co-Finanzierungsquelle für PE, wenn die Finanzierungstickets größer werden. Außerdem ist die Börse eine gute Finanzierungsquelle für Unternehmen, die im traditionellen Sinne nicht „bankable“ sind – also nicht die üblichen Bankkriterien erfüllen, um einen Kredit zu bekommen und zu bedienen. In Ländern wie Frankreich und den Niederlanden herrscht eine andere Kapitalmarktkultur als in Deutschland, weshalb hierzulande auch noch nicht so viele Early-Stage-Unternehmen einen Börsengang wagen.

Welche Pläne verfolgen Sie weiterhin in Deutschland, und werden wir demnächst die ersten deutschen Euronext-IPOs sehen?

Schatzschneider: Aktuell befinden wir uns in der Phase, in der wir viele interessante Unternehmen treffen, die sich selbst noch nicht für börsenreif halten, aber durchaus das Potenzial dazu haben und deshalb viel Beratung von uns benötigen. Diese Phase benötigt sehr viel Zeit und Ausdauer. Die erste Phase davor war die des Visibilitäts-Aufbaus, in der wir zunächst der Öffentlichkeit erklärt haben, was wir machen, wer wir sind und welchen Mehrwert wir bieten. Jetzt ist die zweite Phase angerollt, in der wir mit den Unternehmen intensiv zusammenarbeiten, die Interesse gezeigt haben. Der nächste Schritt wird dann der sein, dass wir Börsenkandidaten hier aus Deutschland an der Euronext sehen werden. Das wird mit hoher Wahrscheinlichkeit 2018 der Fall sein.

 Herr Schatzschneider, Herr Grabert, vielen Dank für das sehr interessante Gespräch. 

Michael Schatzschneider ist Direktor und Repräsentant von Euronext in Deutschland mit Sitz in Frankfurt am Main. Er unterstützt deutsche Technologie-Unternehmen, ihre Stakeholder und Berater
bei Finanzierungsüberlegungen und im Rahmen von Kapitalmarkttransaktionen an der Euronext. Seine Sektorexpertise umfasst insbesondere die Bereiche TMT, Cleantech und Medtech.
Sebastian Grabert ist Direktor und Repräsentant von Euronext in Deutschland mit Sitz in München und unterstützt in dieser Funktion deutsche Technologieunternehmen und ihre Stakeholder bei der Erstemission. Zuvor war er u.a. als Equity Research Analyst bei Berenberg Capital Markets in London tätig.

 

Das Interview führten Svenja Liebig und Ike Nünchert; dies ist eine Vorabveröffentlichung der Dezember-Ausgabe des GoingPublic Magazins.

 

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