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Die Hauptversammlungssaison 2020 begann zunächst ohne besondere Vorkommnisse. Im Laufe des März sah die Welt dann plötzlich anders aus – die Corona-Pandemie hatte schlagartig sowohl unser Privatleben als auch unseren beruflichen Alltag fest im Griff. Mit enormen Auswirkungen auf die Hauptversammlung – ein Rück- und Ausblick. Von Christof Schwab und Ingo Wolfarth

Die Thyssen Hauptversammlung fand, wie geplant, Ende Januar statt. Fragen zu Corona wurden von Aktionären noch nicht gestellt und auch Desinfektionsmittelspender waren noch nicht im Einsatz. Die Hauptversammlungen im Februar verliefen ebenso ohne rechtliche Maßnahmen. Desinfektionsmittelspender wurden von den Unternehmen regelmäßig freiwillig gestellt. Aktionärsfragen zu Corona gehörten bereits zum Standard. Hier ging es primär um die Auswirkungen und Risiken für die Geschäftslage. Im März überschlugen sich schließlich die Ereignisse: Die Hallen waren gemietet, die Versammlungen einberufen, die Planungsparameter begannen sich jeden Tag zu ändern, Hauptversammlungen wurden reihenweise verschoben. Die MVV Hauptversammlung fand am 13. März als letzte Präsenz-Hauptversammlung mit erheblichen Infektionsschutzmaßnahmen in Mannheim statt.

Der Gesetzgeber handelte schnell: Bereits am 27. März wurde das „Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie“ (COVID-19-Gesetz) verabschiedet. Nur einen Monat später, am 28. April, wurden die Hauptversammlungen von BAYER und HOCHTIEF präsenzlos auf der Basis des COVID-19-Gesetzes durchgeführt.hauptversammlung

Bis heute wurden über 20 virtuelle Hauptversammlungen ohne nennenswerte Zwischenfälle abgehalten. Man könnte meinen, es gäbe im Moment keine Alternative zur virtuellen Hauptversammlung. Dem ist aber scheinbar nicht so: Erstaunlicherweise ist es einer Gesellschaft in der zweiten Maiwoche gelungen, eine Genehmigung für eine Präsenz-Hauptversammlung mit bis zu 50 gleichzeitig anwesenden Personen in München zu bekommen.

Beobachtungen der ersten virtuellen Hauptversammlungen

Aktionärsportale haben bei der Gestaltung der virtuellen Hauptversammlung eine zentrale Bedeutung. Bei den meisten Gesellschaften ist das Portal das einzige Medium für die Frageneinreichung, die Widerspruchserklärung und die Mitverfolgung der Fragenbeantwortung.

Die Befürchtung, dass die neue Möglichkeit zur Vorabeinreichung der Fragen deren Anzahl signifikant erhöhen würde, hat sich bisher nicht bestätigt. Die Anzahl der Fragen wich kaum von der bei Präsenz-Hauptversammlungen der Vorjahre ab. Die Squeeze-Out HV der Comdirect mit über 500 Fragen muss als Sonderfall eingestuft werden.

Die Dauer der virtuellen HVs ist bisher deutlich kürzer, als die der Präsenz-HVs. Der Wegfall von Redebeiträgen und Nachfragen und kürzere Reden des Versammlungsleiters sowie des Vorstands führen dazu, dass die Versammlungen bisher nach zwei bis sechs Stunden beendet waren. Bei einzelnen Gesellschaften dauerte die Versammlung im Vergleich zum Vorjahr nur die Hälfte der Zeit.

Alle Emittenten nutzen die Möglichkeit, eine Frist für die Voreinreichung der Fragen zu setzen. Dies erleichtert den Gesellschaften die Fragenbeantwortung im Vorfeld und sorgt für weniger bzw. keine Unterbrechungen. Bisher nutzte weniger als die Hälfte der Unternehmen die maximal mögliche Frist der zwei vollen Tage. Redaktionelle Freiheiten wurden bisher kaum genutzt. Es wurden alle Fragen beantwortet, lediglich bei Doppelungen zusammengefasst.

Dem von einigen Aktionären geäußerten Wunsch, dass die Vorstands- und Aufsichtsratsreden vorab veröffentlicht werden sollten, entsprachen bis jetzt nur wenige Gesellschaften. Man wolle, so aktuell wie möglich die Reden unter den sich derzeit so schnell verändernden Rahmenbedingungen noch anpassen können. Diese Begründung dürfte die Aktionäre kaum zufriedenstellen. Für weiteren Unmut sorgt die vielfach von Gesellschaften genutzte, verkürzte Einberufungsfrist für die virtuelle Hauptversammlung. Diese führt für die Aktionäre zu erheblichen Problemen bei der fristgerechten Anmeldung.

Das durch die COVID-19-Gesetzgebung stark eingeschränkte Antragsrecht wird von den Gesellschaften unterschiedlich behandelt. Ein Teil lässt die Anträge gar nicht zu, der andere veröffentlicht diese und berücksichtigt sie als „gestellt“, sofern der Antragsteller ordnungsgemäß angemeldet ist. Aber auch bei dieser Lösung ermöglichen einige Emittenten die Weisungserteilung, andere hingegen nicht.

Vor dem Hintergrund, dass diese Anträge nicht zur Abstimmung gelangen, könnte dies den Anschein von Pseudo-Aktionärsfreundlichkeit erwecken. Würden man diese Anträge auch als gestellt betrachten, wenn sie eine Chance auf eine Abstimmung oder gar Mehrheit hätten?

Vermutlich wird die Saison 2020 auch die mit den meisten Widersprüchen zur Beschlussfassung sein. Nach unserer Beobachtung gibt es keine Gesellschaft, die nicht Beschlussfassungswidersprüche erhalten hätte. Für manche Unternehmen sind das die ersten Widersprüche ihrer Firmengeschichte. Außergewöhnliche Beschlussfassungspunkte braucht es dazu nicht. Ob die Widerspruchsmöglichkeit nur aufgrund der einfachen elektronischen Handhabung im Portal so aktiv genutzt wurde oder ob dies auch die meist beklagte HV-Saison seit Langem sein wird, bleibt abzuwarten.

Virtuelle Hauptversammlung sehr ereignisarm

Die Kommunikations- und Marketingabteilungen regten an, multimediale Möglichkeiten bei virtuellen HVs umfassender zu nutzen, die Rechts- und Investor Relations-Abteilungen tendierten eher zu Sachlichkeit und klassischen Formaten.

Bisher kann man feststellen, dass der Inhalt und nicht der multimediale Event im Fokus standen. Die Bühne war, wie bei Presse- oder Analystenveranstaltung, meist nur mit drei bis vier Personen (Versammlungsleiter, Notar und ein bis zwei Vorstände) besetzt. Es gab aber auch virtuelle Veranstaltungen mit knapp 30 Personen auf der Bühne, bei denen der komplette Vorstand und Aufsichtsrat anwesend waren. Prinzipiell ist festzustellen, dass eine große Anzahl von Personen auf der Bühne ohne aktive Funktion bei der virtuellen HV etwas befremdlich wirkt.

Viele Aktionäre beklagen bei der aktuellen Gestaltung den Verlust ihrer Rechte sowie die begrenzten Möglichkeiten der öffentlichen Einflussnahme. Darüber hinaus fehlen den virtuellen Hauptversammlungen auch Elemente wie Spannung, Spontaneität und Überraschung.