300 Meter hoch ist der Commerzbank-Tower in Frankfurt – mit Antenne. Auch wenn so mancher Amerikaner, Chinese oder Araber über diese Höhenangabe nur müde lächeln kann, gehört der Bankenturm zu den größten Gebäuden in Europa. So waren auch die Teilnehmer des Kapitalmarkt-Gipfels 2012, der unter dem Motto „Corporate Visions“ stand, beeindruckt von der Aussicht aus dem 49. Stock (von 50). Aber nicht nur die Location, sondern auch die Konstellation war eine Premiere für die traditionelle Sponsorenveranstaltung von GoingPublic und HV Magazin: Erstmals fand der Kapitalmarkt-Gipfel in Kombination mit dem Essaywettbewerb Buse Awards statt. So wurde es ein abwechslungsreicher und interessanter Nachmittag und Abend mit Vorträgen sowie Diskussionen zu verschiedensten aktuellen Kapitalmarktthemen.

In seiner Begrüßung wies Markus Rieger, Gründer und Vorstand der GoingPublic Media AG, auf einen Widerspruch hin: Einerseits herrsche im Markt ein großes Jammern ob der Staatschuldenkrise, andererseits bewegt sich der DAX bei rund 7.400 Punkten nicht weit von seinem Allzeithoch entfernt. Wie lässt sich daraus eine nachhaltige Tendenz ableiten? So stand der erste Teil des Kapitalmarkt-Gipfels im Zeichen der Nachhaltigkeit – ein Begriff, der ursprünglich aus der Forstwirtschaft stammt.

Nachhaltigkeit aus Unternehmenssicht
Was heutzutage alles darunter zu verstehen ist, erläutert Daniel Schmid am Beispiel seines Arbeitgebers SAP, bei dem er den Bereich Nachhaltigkeit leitet. Die Unternehmensvision des Softwareanbieters lautet: „Help the world run better and improve people’s lives“ – auch eine Möglichkeit, Nachhaltigkeit zu definieren. Nach eigenen Angaben sind SAP-Produkte bei 60% aller weltweit getätigten Geschäfte im Spiel. So trage SAP mit seinen Softwarelösungen dazu bei, Prozesse zu analysieren und ressourcenschonender, somit nachhaltiger zu gestalten.

Als Softwareunternehmen hinterlässt SAP grundsätzlich schon mal weniger ökologische Schäden als Vertreter der meisten anderen Industriebranchen. Stellschrauben etwa für eine Reduzierung der CO2-Emissionen sind natürlich dennoch zu finden – sei es die Vermeidung von Dienstreisen oder die Förderung von Bahnfahrten statt Dienstwägen. Bereits in Betrieb ist die Mitfahrplattform „SAP TwoGo“, die von allen Hierarchieebenen genutzt wird. So berichtet Schmid von einem Mitarbeiter, der sich in einer Fahrgemeinschaft mit SAP-CEO Jim Hageman wiederfand.

CSR aus Investorenperspektive
Nachdem Daniel Schmid das Thema Nachhaltigkeit aus Unternehmenssicht betrachtet hatte, übernahm Ingo Speich, Senior Portfoliomanager bei Union Investment, die Investorenperspektive. „CSR (Corporate Social Responsibility) – Ein Wert für Aktionäre?“, lautete die titelgebende Frage seines Vortrags. Union Investment gehört mit rund 5 Mrd. EUR Assets under Management zu den führenden Anbietern von Nachhaltigkeitsfonds in Deutschland. Das gesamte Marktvolumen in diesem Bereich wird auf 20 bis 25 Mrd. EUR geschätzt.

Daniel Schmid während seines Vortrags.

Für sein gesamtes verwaltetes Vermögen (ca. 180 Mrd. EUR) wendet Union Investment die Grundlagen für verantwortungsvolles Investieren der UN an. Damit sind etwa Rüstungsunternehmen grundsätzlich ausgeschlossen. Bei den SRI-Portfolios (Sustainable Responsible Investments) gelten weitere Einschränkungen. Hier ist beispielsweise Kernenergie ein Ausschlusskriterium. Zudem werden Kundenwünsche berücksichtigt. So sind bestimmte Pharmaunternehmen etwa nicht mit den Investitionen katholischer Einrichtungen vereinbar, wie Speich berichtet.

Neben Investitionskriterien berührt CSR bei Union Investment auch das Research und das Engagement etwa bei Hauptversammlungen. Speziell Risikofelder werden durch Nachhaltigkeitsresearch besser erkannt und führen zu entsprechenden Hinweisen an das Unternehmen (z.B. auf der HV) oder beeinflussen sogar (Des-)Investitionsentscheidungen. So bedeutet eine stärkere Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien zwar nicht unbedingt eine bessere Performance des Portfolios, aber auch keine schlechtere, was aber nach wie vor häufig behauptet wird.

In der nachfolgenden Diskussion wurde dieser Punkt gleich aufgegriffen. Zu den beiden Referenten Schmid und Speich gesellten sich dabei Robert Haßler, CEO von oekom research, und Moritz Delbrück, Gründer der Unternehmensberatung concern.

Bahnbrechende Entwicklungen
Seit 20 Jahren erstellt oekom research Ratings auf Basis ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit. Zu Beginn war dieses Tätigkeitsfeld noch „völlig exotisch“, wie Haßler berichtet. Doch inzwischen „hat sich Bahnbrechendes getan“. Das gelte jedoch insbesondere für die entwickelten Länder. „In den Emerging Markets ist das Thema noch ganz am Anfang.“

Quelle: Union Investment

Moritz Delbrück, der mit concern sowohl etablierte Unternehmen als auch Start-ups in Sachen CSR berät, sieht den „Kapitalmarkt als Treiber der Nachhaltigkeit“. Dass Ingo Speich derselben Meinung ist, verwundert nicht. Er sieht die UN-PRI als ersten Schritt dieser Entwicklung, da hier erstmals feste Kriterien festgelegt worden seien. Für Speich sind solche Vorgaben der beste Treiber für ein nachhaltiges Geschäft. „Der Trend zu Standards ist unaufhaltsam.“ Doch gelte grundsätzlich: „Das Unternehmen muss davon überzeugt sein.“

Standards schaffen
Haßler spricht sich ebenfalls für ein verpflichtendes Reporting aus. „Ich bin ein großer Fan von Transparenz.“ Branchenübergreifende Standards zur Nachhaltigkeit zu schaffen, sei allerdings sehr schwierig. Doch sind sie auch aus Sicht von Delbrück notwendig. „Viele Unternehmen werden mit Anfragen zum Thema Nachhaltigkeit bombardiert“, berichtet er. Doch fehle eben eine Grundlage, was in dieser Hinsicht State-of-the-Art sei.

Die Vielfalt und Komplexität des Themas schlägt sich auch in der Medienberichterstattung nieder. „Ich finde immer etwas dazu in der Zeitung“, erzählt etwa SAP-Manager Schmid. Dagegen befindet Speich: „Man kann kaum positive Schlagzeilen produzieren.“ Zu komplex sei das Themenspektrum.

Eine nachhaltige Herangehensweise helfe in jedem Fall dabei, Risiken frühzeitig zu identifizieren. „Viele Indikatoren haben auf Deepwater Horizon hingewiesen“, ist beispielsweise Schmid überzeugt. Nachhaltigkeit, so das Fazit der Panel-Teilnehmer, ist auch der Ausdruck einer langfristigen Denkweise. Und das gebiete schon der gesunde Menschenverstand.

Einstimmung auf die Buse Awards
Der zweite Teil des Kapitalmarkt-Gipfels stand im Zeichen der Buse Awards. Nach der Begrüßung durch Christian Pothe, Geschäftsführer von Buse Heberer Fromm, stellte Gastgeber Norbert Lembeck, Mitglied der Commerzbank-Geschäftsleitung, den außergewöhnlichen, von Sir Norman Foster entworfenen Veranstaltungsort vor.

Ingo Speich referierte über nachhaltige Investitionskriterien.

Bevor die fünf Nominierten ihre Essays in Kurzvorträgen vorstellten, gab Prof. Herbert Henzler einen Überblick zum aktuellen Stand der Staatsschuldenkrise und den Auswirkungen auf den deutschen Mittelstand. Er ließ zunächst einige prägende Entwicklungen der vergangenen 20 Jahren Revue passieren, die man damals kaum für möglich gehalten hatte: China wurde vom Land der Fahrradfahrer zum hochmodernen Fortschrittsland (zumindest in vielen Großstädten), die G7 zur G20 und das World Wide Web – damals noch in den Kinderschuhen – begleitet uns heute als Mobile Web auf Schritt und Tritt.

Schuldenabbau als langfristige Aufgabe
Henzler zeigte einige Indikatoren, die auf eine nachlassende Wachstumsdynamik in der Weltwirtschaft in den nächsten sechs Monaten hindeuten. Wesentlich länger werde uns die Schuldenkrise beschäftigen. Der Prozess des Deleveraging bei Staaten dauere 10-15 Jahre, so Henzler. Dafür müssten die Länder die Banken und den Staatshaushalt stabilisieren sowie durch strukturelle Reformen bessere Voraussetzungen für das Wirtschaftswachstum schaffen. Das führe zu einem Anstieg von Investitionen und Exportaktivitäten und schließlich zum Anstieg der Binnenkonjunktur insbesondere im Bereich Infrastruktur und Bau. Insgesamt zeigte sich Henzler optimistisch, dass die Schuldenkrise langfristig gelöst werden könnte, wenn die richtigen Maßnahmen getroffen werden.

Eigenkapitalschwacher Mittelstand
Im zweiten Teil seines Vortrags widmete sich Henzler dem deutschen Mittelstand, der rund 40% der gesamten Unternehmensumsätze repräsentiert. Die Eigenkapitalquote kleiner und mittlerer Unternehmen ist zwar in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen, aber im Vergleich zu Großkonzernen und dem Ausland immer noch auf niedrigem Niveau. Die Innenfinanzierung ist für den Mittelstand die wichtigste Finanzierungsform und hat zuletzt weiter an Bedeutung gewonnen. Dagegen entwickelten sich alle Formen der Außenfinanzierung – bis auf Pensionsrückstellungen – sehr volatil. Die Börse spielt für kleine und mittlere Unternehmen kaum eine Rolle, immer noch herrsche die Meinung vor: „Bloß nichts veröffentlichen!“.

Diskussionsrunde mit Moritz Delbrück, Daniel Schmid, Robert Haßler, Ingo Speich und Moderator Falko Bozicevic (v.l.n.r.)

Kurzvorstellungen der besten Essays
Die Teilnehmer der Buse Awards sahen das anders und reichten fleißig Essays für den Wettbewerb ein. Die besten fünf Aufsätze wurden in Kurzvorträgen im Commerzbank-Tower präsentiert. Den Preis für den besten Vortrag, über den live vom zahlreich erschienenen Publikum abgestimmt wurde, sicherte sich mit großem Vorsprung Christian Werthmüller, der sich in seinem Essay mit der Rechtsform des eingetragenen Kaufmanns auseinandergesetzt hatte, die durch die Schlecker-Pleite in den Fokus gerückt war.

Den Preis für das beste Essay, der von einer Fachjury aus Anwälten von Buse Heberer Fromm und Redakteuren des GoingPublic Magazins ermittelt worden war, ging an Arne Hammerich, der sich mit dem Auskunftsrecht auf der deutschen Hauptversammlung auseinandergesetzt hatte. „Berufskläger – ein deutscher Sonderweg oder ein europäisches Problem?“ lautete der Titel seines Aufsatzes. Der zweite Preis für ein Essay zur gleichen Thematik ging an Philipp Hagedorn. Platz drei sicherte sich Christian Schmitt mit seinem Aufsatz über die Neuregulierung des Open Market.

Eine Premiere feierte im Rahmen der Buse Awards der erstmals vergebene Preis für Nachwuchsjournalisten. Er ging an Kim Bode, die für die Wochenzeitung „Die Zeit“ einen hervorragend recherchierten Artikel über das Scoring-Modell bei der Kreditvergabe in den USA verfasst hatte. Da Kim Bode derzeit in New York stationiert ist, konnte sie nicht persönlich zu den Buse Awards anreisen, bedankte sich aber mit einer Videobotschaft für die Auszeichnung.

Fazit
Die erstmalige Kombination des Kapitalmarkt-Gipfels von GoingPublic und HV Magazin mit der Verleihung der Buse Awards war aus Sicht der zahlreich erschienenen Teilnehmer ein voller Erfolg. Nachdem zunächst hochrangige Experten aus verschiedenen Perspektiven ihr Bild eines nachhaltigen Kapitalmarkts gezeichnet hatten, gab Prof. Herbert Henzler in seinem Vortrag Anlass zu vorsichtigem Optimismus in der aktuellen Schuldenkrise. Schließlich zeigten die Preisträger der Buse Awards, dass die potenziellen Entscheidungsträger von morgen hervorragend ausgebildet sind.

Bezogen auf das eigene Unternehmen bedeutet bei SAP eine nachhaltige Strategie „Geschäftserfolg durch ganzheitliches Management von ökonomischen, ökologischen und sozialen Risiken und Chancen“. Dabei spielt die Verknüpfung zwischen Innovation und Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle.

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