Dr. Andreas Meyer-Landrut, Partner, DLA Piper

Aufsichtsratswahlen stehen in diesem Jahr im Fokus der Aufmerksamkeit. Das liegt zum einen daran, dass in der HV-Saison 2013 in sehr vielen Unternehmen turnusmäßig Aufsichtsratswahlen anstehen. Vor allem aber gilt der Aufsichtsrat bereits seit längerem als Dreh- und Angelpunkt einer verbesserten Corporate Governance in den Unternehmen, sodass sich das Augenmerk zwangsläufig auch auf seine entsprechend kompetente Besetzung richtet – nicht zuletzt seitens der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex und der Stimmrechtsberater, die ihre Empfehlungen bzw. Abstimmungsrichtlinien diesbezüglich fortlaufend verfeinern. So hat insbesondere die jüngste Neufassung des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) vielfältige Auswirkungen auf die Zusammensetzung des Aufsichtsrats und die Wahl seiner Mitglieder.

Gesetzliche Vorgaben – aktuelle Probleme
Einige Vorgaben dazu finden sich im AktG selbst und sind nicht neu. Hier interessiert neben den anderen Bestellungshindernissen des § 100 Abs. 2 AktG besonders die Anforderung an die zulässige Höchstzahl anderweitiger Aufsichtsratsmandate (§ 100 Abs. 2 Nr. 1 AktG). Der Gesetzeswortlaut sieht eine Begrenzung auf insgesamt zehn gesetzlich zu bildende Aufsichtsräte in Handelsgesellschaften vor. Die damit verbundenen Rechtsfragen schienen lange geklärt, insbesondere was die Einbeziehung der SE oder der mitbestimmten GmbH angeht. Zunehmend häufiger wird aber diskutiert und vor dem Hintergrund des gesetzgeberischen Anliegens zur Vermeidung überlasteter Amtsträger in Frage gestellt, ob nicht vergleichbare Mandate in ausländischen Gesellschaften ebenfalls in die Zählung mit einzubeziehen seien. Die 2013 erschienene Kommentierung von Mertens/Cahn in der 3. Auflage des Kölner Kommentars zum AktG widmet dieser Streitfrage nunmehr fast eineinhalb Druckseiten und lehnt eine Einbeziehung ab (aaO. § 100 Rn. 29). In der Tat stellen sich trotz einleuchtender Argumente einer starken Literaturmeinung zu viele ungelöste Folgefragen, die de lege lata eine Mitzählung im Interesse der Rechtssicherheit nicht zulassen. Die international agierenden Stimmrechtsberater indessen kümmern solche Überlegungen nicht: Sie unterscheiden in ihren Abstimmungsgrundsätzen wie selbstverständlich nicht zwischen In- und Ausland (ISS 2012 und EGCS 2012). Da nach § 125 Abs. 1 Satz 5, 2. HS AktG die ausländischen Mandate jedenfalls in der HV-Einladung zu nennen sind, muss der Aufsichtsrat in jedem Falle auch die ausländischen Non-Executive-Board-Mitgliedschaften seiner Kandidaten schon frühzeitig abfragen und in seine Auswahlentscheidung mit einbeziehen.

Fallstrick: Ehemalige Vorstandsmitglieder
Weiter darf der Kandidat in den letzten zwei Jahren nicht Vorstandsmitglied derselben börsennotierten Gesellschaft gewesen sein, es sei denn, seine Wahl erfolgt auf Vorschlag von Aktionären, die mehr als 25% der Stimmrechte an der Gesellschaft halten (§ 100 Abs. 2 Nr. 4 AktG). Die Umsetzung dieser durch das VorstAG 2009 neu eingeführten Regelung hat inzwischen eine gewisse Praxis erfahren (ThyssenKrupp AG und Gerresheimer AG 2010, Beiersdorf 2012, ein Versuch der Deutsche Bank AG 2011 scheiterte wohl auch am öffentlichen Widerstand), insbesondere was das Verfahren der Vorlage des Vorschlags an den Aufsichtsrat und dessen Zueigenmachen dieses Vorschlags angeht. Aber noch sind Details nicht gerichtlich geklärt. Unklarheiten, von der Frage, wie lange das Quroum gehalten werden muss, bis zur Frage, ob die Namen der verlangenden Aktionäre offenzulegen sind, bleiben kritisch zu prüfen (vgl. etwa Löbbe/Fischbach, AG 2012, 580 ff.).

In der HV-Saison 2013 stehen in sehr vielen Unternehmen turnusmäßig Aufsichtsratswahlen an. Foto: PantherMedia / Laurent Renault

Fallstrick: Finanzexpertise
Weiter verlangt § 100 Abs. 5 AktG in börsennotierten Gesellschaften zwingend zumindest einen unabhängigen Finanzexperten. Nach der Entscheidung des OLG München vom 3. März 2010 (Az. 7 U 4744/09) bereitet der damit verbundene offene Tatbestand der Praxis keine unüberwindlichen Schwierigkeiten mehr. Eine sorgfältige Prüfung der Frage und die Festlegung (mit späterer Offenlegung im Wahlvorschlag) darauf, welcher von mehreren Kandidaten als dieser Experte vom Aufsichtsrat eingestuft wird, bedeutet jedoch, dass sich der Aufsichtsrat bei seiner Nominierung auch hier schon frühzeitig Gedanken machen muss.

Neue Vorgaben des Deutschen Coporate Governance Kodex
Der Kodex empfiehlt in Ziff. 5.4.2 S. 1 DCGK eine „angemessene“ (bis zur Kodexneufassung im Juni 2012: „ausreichende“) Anzahl unabhängiger Aufsichtsratsmitglieder. Das Merkmal der Unabhängigkeit wurde im Rahmen der jüngsten Kodexänderungen in Ziff. 5.4.2 Satz 2 DCGK neu definiert. Die bereits bestehende Unsicherheit, wann ein Aufsichtsratsmitglied als unabhängig anzusehen ist, ist dadurch allerdings leider eher gestiegen. Ein Aufsichtsratsmitglied ist nach der neuen, erweiterten Kodexdefinition insbesondere dann nicht unabhängig, wenn eine geschäftliche oder persönliche Beziehung zu der Gesellschaft, dem Vorstand oder (neu:) dem Aufsichtsrat oder zu einem kontrollierenden Aktionär oder einem mit diesem verbundenen Unternehmen besteht, die einen potenziellen, wesentlichen und nicht nur vorübergehenden (bisher: tatsächlich bestehenden) Interessenkonflikt begründen kann. Probleme bereitet insbesondere die Frage, wann ein Aktionär als kontrollierend gelten muss (vgl. etwa Ringleb/Kremer/Lutter/v.Werder, NZG 2012, 1081, 1087 f.). Hinzu kommt, dass die Definition des Kodex nicht abschließend ist, d.h. weitere Umstände, die eine Unabhängigkeit ausschließen, sind möglich. Auch die Stimmrechtsberater achten in besonderem Maße auf die ausreichende Unabhängigkeit bei der Besetzung des Aufsichtsrats und haben zur Beurteilung der Unabhängigkeit teilweise eigene Kriterien entwickelt (z.B. ISS 2012).

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