Bildnachweis: Clean Logistics.

Die Clean Logistics SE hat es sich zur Aufgabe gemacht, Lkw und Busse umweltfreundlicher zu machen. Das soll über den Wasserstoffantrieb gelingen. CEO Dirk Graszt erklärt im Interview, wie das Geschäftsmodell funktioniert und warum das Unternehmen für den Weg an den Kapitalmarkt eine Abkürzung genommen hat.

GoingPublic: Was macht die Clean Logistics SE und welche Ziele verfolgen Sie?

Graszt: Wir haben die Clean Logistics SE im Jahr 2018 gegründet. Ausschlaggebend war für uns der Dieselskandal und die Erkenntnis, dass es ein „weiter so“ in Sachen fossiler Brennstoffe nicht geben darf. Wir kommen aus der Logistik und der Antriebstechnik. Dieses Know-how haben wir genutzt, um uns als Vorreiter bei der Konvertierung von herkömmlichen 40-Tonnen Diesel LKWs und Bussen des öffentlichen Nahverkehrs (ÖPNV) auf Wasserstoffantrieb zu positionieren.

Wir haben einen standardisierten Umbauprozess für 70% der in Deutschland für den Transportsektor relevanten Fahrzeugtypen entwickelt. Darunter DAF, MAN und Mercedes. Dieser Konvertierungsprozess ist modular aufgebaut und sorgt somit für Skaleneffekte und Wettbewerbsvorteile.

Konkret beinhaltet er den Einbau einer Brennstoffzelle nach industriellem Standard, eines karbonummantelten Wasserstofftanks, der von uns selbst entwickelten Hinterachse mit Radnabenmotor, der nicht brennbaren Batteriezelle und der HYBOSS-Software, dem eigenentwickelten elektronischen Betriebssystem, das alle Komponenten steuert.

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Wir verfolgen das Ziel, den Transportsektor durch den Einsatz moderner Wasserstofftechnologie im Zusammenspiel mit Batteriespeichern zu dekarbonisieren und zukunftsfähig zu machen. Mit dieser Konvertierung führt die Clean Logistics SE den Schwerlastverkehr und öffentlichen Nahverkehr in eine klimaneutrale Zukunft und leistet so einen erheblichen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele.

Das klingt theoretisch gut. Wie klappt es denn in der Praxis?

Dass unser Modell auch in der Praxis funktioniert, haben wir bereits beweisen: Im Juli haben wir den europaweit ersten konvertierten Brennstoffzellen-Wasserstoff-Bus an die Uckermärkische Verkehrsgesellschaft (UVG) übergeben. Der im Betrieb völlig emissionsfreie HyBatt-Bus, ein umgerüstetes Fahrzeug des Typs Mercedes-Benz Citaro, verfügt über eine Reichweite von über 300 Kilometern.

Nachdem im vierten Quartal 2021 der zweite HyBatt-Bus an die UVG übergeben wird, beginnen wir 2022 mit der nächsten Phase. Dann werden wir im Kundenauftrag die ersten HyBatt-Lkw konvertieren. Das heißt, noch im nächsten Jahr werden nach Stand der jetzigen Planung die ersten 40-Tonner mit einem emissionsfreien Wasserstoffantrieb über unsere Autobahnen rollen.

Das Interesse an der Technologie bei Spediteuren und Verkehrsverbünden ist sehr groß. So reizen die bereits eingegangenen konkreten Anfragen die Produktionskapazität der Clean Logistics SE bis 2025 voll aus.

Nun sind Sie in den Börsenmantel der SendR SE geschlüpft. Warum kein klassisches IPO?

Der klassische Weg an die Börse ist langwierig und teuer. Das wollten wir vermeiden. Deshalb bot sich der Weg über einen Börsenmantel an.

Wie wurde die Transaktion umgesetzt?

Über eine Sachkapitalerhöhung brachten wir die Clean Logistics GmbH bei der börsennotierten SendR SE ein. Wir haben die SendR SE, die ursprünglich als digitaler Distributor Media-Lizenzen verwertete, zu neuem Leben erweckt.

Die Namensänderung zur Clean Logistics SE wurde offiziell am 25. August 2021 vollzogen.

Im Rahmen der Umfirmierung haben Sie zudem eine Barkapitalerhöhung umgesetzt. Wozu benötigen Sie die zusätzliche Liquidität?

Die Entwicklung der Technologie, eine gewisse Lagerhaltung der Komponenten und die normalen Geschäftsprozesse waren und sind kapitalintensiv. Der Konvertierungsprozess bindet dementsprechend große personelle und finanzielle Ressourcen. Diese zusätzliche Liquidität werden wir für unser angepeiltes dynamisches Wachstum einsetzen.

Wie bewerten Sie den Stand Deutschlands in Sachen Erneuerbare Energien?

Ich bin überzeugt, dass Deutschland in Sachen Erneuerbare Energien bereits gut aufgestellt ist. Allerdings muss noch mehr getan und investiert werden. 46% des deutschen Energiebedarfs werden bereits durch regenerative Energieträger bedient. Berechnungen haben gezeigt, dass Deutschland das Dreifache des heutigen Energiebedarfs mit regenerativen Energien decken könnte. Das Potential, geografisch und technisch betrachtet, ist also vorhanden. Um bis 2045 gänzlich klimaneutral zu werden und die von der Bundesregierung eigens gesteckten Klimaziele zu erreichen, müssen diese Möglichkeiten voll ausgeschöpft werden.

Kann Klimaneutralität gelingen, ohne die Wirtschaft einzubremsen?

Da Mobilität und Verkehr, nach dem Bereich Wohnen, die zweithöchsten Emissionen privater Haushalte verursacht, sollte gerade hier die Wasserstofftechnologie von der Politik ins Auge gefasst werden. Durch die Förderung werden Forschung und Entwicklung an der H2-Technologie attraktiv, was langfristig die Preise senkt und Deutschland als Technologiestandort stärkt. Ich bin davon überzeugt, dass langfristig gesehen ökonomischer Erfolg Hand in Hand mit unseren ökologischen Zielen gehen muss. Eine klimageschädigte Bevölkerung ohne Kaufkraft ermöglicht kein ökonomisch nachhaltiges Wirtschaften. Es kann nicht die alleinige Aufgabe der Politik sein, erneuerbare Energien zu fördern. Die Wirtschaft muss ihren Beitrag leisten. Die Energiewende findet jetzt in den Werkshallen statt und darf nicht auf die Politik warten.

Warum setzt sich am Ende grüner Wasserstoff durch?

Schon heute sind regenerative Energiequellen die günstigsten. Das Problem war bisher oft die Speicherung. Die Energieproduktion durch Wind- und Solarkraftanlagen macht in Deutschland etwa drei Viertel der regenerativen Energieproduktion aus. Bereits jetzt verpufft ein massiver Überschuss, aufgrund zu wenig vorhandener Speicherkapazitäten. So könnten bestehende Überkapazitäten deutscher Windräder bei Nutzung durch H2-PKW in 13,9 Milliarden Kilometer Fahrleistung umgewandelt werden. Grüner Wasserstoff kann produziert und gleichermaßen, z.B. in Kavernen gasförmig oder flüssig in Transportbehältern gespeichert werden.

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Speziell bezogen auf den Transportsektor ist Wasserstoff die optimale Lösung. Die Batterien von E-Fahrzeugen sind einfach zu schwer und das Fahrzeug verliert zu viel Nutzlastkapazität, wenn es mehrere Tonnen von Batteriespeicher permanent mitschleppen muss. Wasserstoff wirkt außerdem den immer wieder in der Kritik stehenden Ladekapazitäten von E-Fahrzeugen entgegen, da er wie fossiler Kraftstoff zu tanken ist. Unter dem Strich wird Wasserstoff der im ökonomischen Sinne kostengünstigste Kraftstoff werden und gleichzeitig noch zu einer ökologisch verträglichen Energieversorgung beitragen.

Haben Sie eine bestimmte Erwartungshaltung an eine neue Regierung nach der Bundestagswahl – welche Schrauben in der Umweltpolitik müssen noch gedreht werden?

Im sprichwörtlichen Sinne muss weiter Gas gegeben werden. Das heißt, die neue Regierung muss zügig die Grundlagen schaffen, dass sich eine Wasserstoffindustrie in Deutschland etablieren kann.

Dirk Graszt, CEO Clean Logistics SE
Dirk Graszt, CEO Clean Logistics SE

Aus den Fehlern der Vergangenheit, die unter anderem im Zusammenhang mit dem Ausbau des Ladenetzes für Elektrofahrzeuge gemacht worden sind, sollten die richtigen Schlüsse gezogen worden sein. Wir brauchen möglichst schnell ein flächendeckendes Netz von Wasserstofftankstellen in Deutschland für den Schwerlastverkehr. Das ist mit lediglich 60 Tankstellen entlang des Autobahnnetzes zu bewerkstelligen. Darüber hinaus sind regulatorische Rahmenbedingungen zu schaffen, die es den Beteiligten ermöglichen, ihre Produkte und Anwendungen einfacher in den Markt zu bringen.

Wir sollten den Fehler nicht wiederholen, den wir bei der Solarenergiegemacht haben: 2010 waren acht der zehn weltweit größten Solarunternehmen deutsche Firmen. Zu Gunsten der Kohleindustrie und ohne politische Unterstützung sind im zeitlichen Verlauf befinden sich mittlerweile unter den Top 30 globalen Unternehmen keine deutschen mehr. In den zwei Jahren nach 2014 sind rund 100.000 Arbeitsplätze in der Fotovoltaik Industrie in Deutschland weggebrochen. Konkret braucht es eine klare politische Solidarisierung mit der Wasserstoff-Branche und deren Unterstützung. So kann die Dekarbonisierung des Transportsektors zügig bewerkstelligt werden.

Herr Garszt, danke für das gute Gespräch.

Zum Interviewpartner:

Dirk Graszt ist CEO bei Clean Logistics SE. Graszt ist Logistik- und Nutzfahrzeugspezialist mit breitem Erfahrungshintergrund.

Autor/Autorin

Isabella-Alessa Bauer