Der Anpfiff zur FIFA Fußballweltmeisterschaft in Brasilien ist längst erfolgt. Das Fest für das fußballverrückte Brasilien ist im Gange und nähert sich dem Ende entgegen. Doch die letzten Monate waren geprägt von negativen Schlagzeilen: Bauverzögerungen und Kostenexplosionen bei den WM-Stadien, hohe Inflation, sich ausweitende Proteste der Bevölkerung und eine drohende Rezession im kommenden Jahr. Ungewollt rücken die wirtschaftlichen Schwachstellen des Landes ins Rampenlicht: eine marode Infrastruktur, Korruption, eine schwache Industrieproduktion, zu hohe Abhängigkeit von Rohstoffexporten und zu geringe staatliche Investitionen.

Kredite zu hoch

Dabei wäre das Land vergleichsweise reich: Die Nettoverschuldung liegt bei lediglich 34% des BIP. Brasilien könnte entscheidend mehr Mittel in die eigene Zukunft investieren. Denn nach Berechnungen der Weltbank werden nur ca. 18% der brasilianischen Wirtschaftskraft in neue Projekte reinvestiert. In China sind es im Vergleich dazu knapp 50%. In Infrastrukturmaßnahmen fließen lediglich 1,5%, dabei gäbe es hier einen enormen Bedarf, vor allem in den Bereichen Bildung und Verkehr. Die maroden Schienen- und Straßenverbindungen machen die Transporte von Agrarstoffen sehr teuer und schlagen bei den Preisen bis zu einem Drittel zu Buche, was wiederum die Inflation treibt. Doch brasilianische Infrastrukturprojekte sind außergewöhnlich teuer. Das liegt u.a. an den vergleichsweise hohen Löhnen, den streng reglementierten Arbeitszeiten und den hohen Preisen von Baumaterialien. Die meisten Projekte werden von der Brasilianischen Entwicklungsbank (BNDES) vorfinanziert und von dieser an private Betreiber vergeben, die selbst nicht an die hohen Kredite herankommen. Nicht selten fallen dabei gesamtwirtschaftliche Interessen jenen von Politik und der beteiligten Bauunternehmer zum Opfer. Korruption und Misswirtschaft sind Tür und Tor geöffnet.

Pastollnigg Patrick RCM
Patrick Pastollnigg, RCM

 

All das wirkt negativ auf das vielleicht größte Problem Brasiliens: die schwache Produktivität. Denn wenn die Menschen aufgrund unzureichender oder schlechter Verkehrs- und Straßenverbindungen ihre Produktionsstätten nur schwer oder gar nicht erreichen können, Agrar- und Rohstoffe auf überlasteten Umschlagsplätzen feststecken und zu wenige Ausbildungsmöglichkeiten für Fachkräfte vorhanden sind, dann hat dies negative Auswirkungen auf die Industrieproduktion und den Dienstleistungssektor und letztlich auch auf das Wirtschaftswachstum.

Boomjahre vorbei

Und Brasiliens Konjunktur hat sich – nach den Boomjahren von 2003 bis 2008 – deutlich verlangsamt. Eine Rezession im kommenden Jahr wird immer wahrscheinlicher. Das Land selbst ist zwar – wie eingangs schon erwähnt – nicht hoch verschuldet, doch die Kreditlast der privaten Haushalte ist mittlerweile – mit jährlichen Wachstumsraten von 20% in den vergangenen Jahren – Besorgnis erregend. Was zunächst positive Effekte für den Inlandskonsum brachte, ist seit 2010, seit der Austrocknung des Arbeitsmarktes, zu einem gravierenden Problem geworden. Denn die Rückzahlung der Konsumkredite, die teilweise mit bis zu 40% p.a. verzinst sind, gestaltet sich als äußert schwierig. Die Landeswährung, der Real, könnte in den nächsten Monaten weiter unter Druck geraten, zumal sie fundamental betrachtet ohnehin recht teuer ist. Die jüngsten Aktionen der Notenbank werden vielfach dahingehend interpretiert, dass diese durchaus mit einem etwas schwächeren Real leben könnte. Zugleich bleibt die Inflation ein ernstes Problem. Vor allem im Dienstleistungsbereich und bei essenziellen Ausgaben wie Verkehrsmittel und Bildung liegen die Preissteigerungen besonders hoch. Die aufstrebende Mittelklasse findet sich zunehmend in einer Situation wieder, in der sie immer höhere Steuern entrichtet, aber dafür kaum Gegenleistungen vom Staat erhält.

 Politischer Machtwechsel?

Das alles schlägt sich spürbar in der politischen Stimmungslage nieder und für die gegenwärtige Amtsinhaberin Dilma Rousseff wächst das Risiko einer Abwahl bei den für Oktober anstehenden Präsidentschaftswahlen. Das hat dem Aktienmarkt in den letzten Wochen starken Auftrieb verliehen; vor allem den Aktien von staatsnahen bzw. in Staatsbesitz befindlichen Unternehmen, wie etwa dem Ölriesen Petrobras. Die Hoffnung vieler Investoren ist, dass diese Unternehmen im Falle eines Machtwechsels künftig ihre Preise stärker selbst gestalten können und ihnen damit mehr Geldmittel als Gewinn bzw. zur Finanzierung von Investitionen verbleiben. Gleichwohl ist die Wahrscheinlichkeit einer Wiederwahl der amtierenden Präsidentin, notfalls per Stichwahl, immer noch die wahrscheinlichere Option. Angesichts dessen ist die jüngste Aktienmarktrally eher spekulativer Natur und vermutlich in hohem Maße auch durch Shorteindeckungen getrieben.

Natürlich hat sich für Brasilien in den letzten zehn Jahren vieles zum Positiven entwickelt. Es gibt mehr Sicherheit und aufgrund von staatlichen Sozialprogrammen konnten auch die unteren Einkommensschichten vom starken Wachstum der Boomjahre profitieren. Seit 2002 sind gemäß dem brasilianischen Statistikinstitut IBGE mehr als 30 Mio. Brasilianer in die Mittelschicht aufgestiegen. Dieser gehört nun mehr als die Hälfte der fast 200 Millionen Brasilianer an. Doch leider hat das Land die guten Konjunkturjahre nicht genutzt, um echte Strukturreformen in die Wege zu leiten. Dadurch ist ein Vakuum entstanden, das der Wirtschaft die Luft zum Wachstum nimmt.

Ausblick

Brasiliens langfristiges Wachstumspotenzial ist weiterhin intakt. Eine gewisse wirtschaftliche Durstrecke dürfte aber nicht mehr zu vermeiden sein, egal wen die Brasilianer im Oktober ins Parlament und ins Präsidentenamt wählen. Entscheidend ist, dass in den kommenden Monaten und Jahren die Basis für neues, nachhaltiges Wachstum geschaffen wird, was dann auch den Aktienmarkt entsprechend beflügeln dürfte. Der schwierigere Teil des Weges steht allerdings noch bevor, unabhängig davon, ob Brasilien am 13. Juli Fußballweltmeister im eigenen Land wird oder nicht.

Autor/Autorin