Klaus Rainer Kirchhoff, Gründer und Vorstandsvorsitzender der Kirchhoff Consult AG, Hamburg, und Chairman der Finansal Danismanlik Hizmetleri, Istanbul

Mit der Einführung der sogenannten Mittelstandsanleihen auf dem deutschen Kapitalmarkt eröffneten sich für Investoren und kapitalsuchende Unternehmen neue Perspektiven. Mittelständische Unternehmen erhalten, gerade wenn sie nicht börsennotiert sind, eine neue bankenunabhängige Finanzierungsoption. Und vor allem privaten Investoren bieten die meist kleinen Stückelungen der Anleihen eine sehr willkommene neue Anlagemöglichkeit, wie die Vielzahl der platzierten Emissionen aus den vergangenen zwei Jahren zeigt.

Schub aus der Türkei?

Über Mittelstandsanleihen ist bereits viel geschrieben und kommentiert worden. Vor- und Nachteile des neuen Marktsegments wurden gegeneinander abgewogen, Rahmenbedingungen diskutiert und gegebenenfalls bereits verändert. Auch erste Anleiheausfälle mussten Anleger bereits verkraften.

Tatsache ist aber: Alle großen deutschen Börsenplätze bieten inzwischen ein passendes Segment für börsennotierte Mittelstandsanleihen an, und die Pipeline der Neuemissionen ist weiterhin gefüllt. Die Mittelstandsanleihe ist gekommen, um zu bleiben. Derzeit gibt es sogar erste Signale, dass es in nicht allzu ferner Zukunft einen neuen Schub für diesen Markt geben könnte: Emissionen von Mittelstandsanleihen auf dem deutschen Kapitalmarkt durch Unternehmen aus der Türkei.

Quelle: Goldman Sachs

In vielen Gesprächen mit türkischen Unternehmen auf Vorträgen, Schulungen und in unserer türkischen Niederlassung gibt es klare Signale, dass der deutsche Kapitalmarkt in der türkischen Unternehmerwelt eine attraktive Finanzierungsoption darstellt. Einige Gründe werden dabei immer wieder genannt:

– Die Verbindung der Länder ist seit Langem eng aufgrund der großen Gemeinschaft türkischstämmiger Mitbürger in Deutschland.

– Es gibt einen hohen Finanzierungsbedarf im schnell wachsenden Mittelstand in der Türkei, aber kein den deutschen Mittelstandsanleihen vergleichbares Marktsegment zur Aufnahme von Fremdkapital.

– In der Türkei gibt es in der Regel für mittelständische Unternehmen nur kurzfristige Bankfinanzierungen mit ein- bis zweijähriger Laufzeit und variabler Verzinsung.

– Mittelstandsanleihen sind insbesondere für Familienunternehmen, von denen es in der Türkei relativ viele von nennenswerter Größe gibt, eine Alternative, um externe Investoren zu finden, ohne einen Börsengang durchführen zu müssen. Zudem sind viele türkische Unternehmen Konglomerate, wodurch der Anleihe-Investor von der Risikostreuung profitiert.

– Der deutsche Kapitalmarkt ist für kapitalsuchende ausländische Unternehmen aufgrund seiner Größe generell attraktiv und Deutschland ist zudem der größte Exportpartner der Türkei.

Aber auch für den deutschen Kapitalmarkt im Ganzen und für Investoren im Speziellen wären Mittelstandsanleihen türkischer Unternehmen eine sehr interessante Bereicherung. Denn die Regierung Erdogan hat die Türkei in den letzten Jahren in einem hohen Tempo modernisiert und damit enorme Wachstumskräfte freigesetzt. Daher erscheint eine Investition in türkische Unternehmen aussichtsreich:

Antalya – touristischer Anziehungspunkt am Mittelmeer Foto: PantherMedia / Meseritsch Herby

Dynamisches Wachstum

Die türkische Wirtschaft hat sich von den Auswirkungen der globalen Finanzkrise 2009 trotz massiver Konjunktureinbrüche (BIP-Wachstum: -4,7%) relativ schnell erholt. Im Jahr 2010 wuchs die Türkei mit 8,9% kaum langsamer als die Konjunkturlokomotive China, und 2011 übertraf man mit 8,5% Wirtschaftswachstum sogar die Volksrepublik. Die Ratingagentur Moody’s verbesserte zuletzt die Bewertung der Kreditwürdigkeit der Türkei. Das Land wurde im Juni um eine Stufe auf Ba1 hochgestuft. Als Gründe nannte Moody’s die deutliche Verbesserung der öffentlichen Finanzen und die Maßnahmen zur Verringerung des Leistungsbilanzdefizits. Im Jahr 2011 hatte die türkische Regierung das Haushaltsdefizit auf 1,3% (2010: 3,6%) der Wirtschaftsleistung gesenkt. Für die Zukunft bleibt die Ratingagentur optimistisch. Der Rating-Ausblick ist positiv. Denn dieselben Faktoren, die zum Upgrade geführt hätten, würden auch in Zukunft die finanzielle und gesamtwirtschaftliche Widerstandsfähigkeit der Türkei stärken.

Istanbul – unbestritten die Finanz- und Kultur-Metropole der Türkei, auch wenn Ankara offiziell Hauptstadt ist Foto: Selda Yildiz und Erol Gülsen, Wikimedia Commons

Ausblick

Angesichts der dynamischen Entwicklung der Türkei, die sich allein aufgrund der demografischen Situation im Land mit einer weiter wachsenden und sehr jungen Bevölkerung trotz der aktuellen weltweit gedämpften Konjunkturaussichten auch in Zukunft in ähnlichem Maße fortsetzen dürfte, sind türkische Unternehmen für Investoren schon lange kein Geheimtipp mehr. Allerdings haben Privatinvestoren bisher kaum direkten Zugang zu türkischen Wertpapieren. Daher dürfte die Möglichkeit, direkte Investitionen in Euro und über in Deutschland emittierte und regulierte Kapitalmarktinstrumente wie Mittelstandsanleihen zu tätigen, mit Sicherheit auf fruchtbaren Boden fallen. Man darf gespannt sein.

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