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Am Mittwoch, den 2. Dezember 2020 ist der österreichische Justizausschuss dem Vorschlag der Justizministerin Alma Zadić gefolgt und hat beschlossen, das gesellschaftsrechtliche COVID-19-Gesetz, welches eigentlich am 31. Dezember 2020 ausgelaufen wäre, bis zum Jahresende 2021 zu verlängern. Die Ministerin wird mit den Worten zitiert: „Unternehmen brauchen Rechts- und Planungssicherheit: Deshalb verlängern wir die Möglichkeit, Versammlungen per Videokonferenz abzuhalten, bis Ende des Jahres 2021.“

Nicht geändert wird die Verordnung der Bundesministerin für Justiz zur näheren Regelung der Durchführung von gesellschaftsrechtlichen Versammlungen ohne physische Anwesenheit der Teilnehmer und von Beschlussfassungen in anderer Weise – kurz: gesellschaftliche COVID-19-Verordnung. Nach dieser Verordnung sind nicht nur – wie von der Justizministerin angedeutet – Videokonferenzen zur Abhaltung von z.B. Hauptversammlungen möglich, sondern auch das österreichische Modell der virtuellen Hauptversammlung kann von Aktiengesellschaften 2021 angewendet werden. Die gesellschaftsrechtliche COVID-19-Verordnung stellt für unterschiedliche Größen der Hauptversammlung sehr flexibel unterschiedliche, passgenaue Varianten zur Durchführung vor. Es lohnt sich also noch mal, hier einen Blick in die Verordnung zu werfen:

Variante A

Virtuelle Versammlungen sind zunächst einmal zulässig, wenn eine Teilnahmemöglichkeit an der Versammlung von jedem Ort aus mittels einer akustischen und optischen Zweiwegeverbindung besteht. Über diese Verbindung muss der Teilnehmer in die Lage versetzt werden, seine Wortmeldung abzugeben und an der Abstimmung teilzunehmen. Die Entscheidung, ob eine virtuelle Versammlung durchgeführt werden soll und welche Technik dabei zum Einsatz kommt, ist vom Einberufungsorgan der Versammlung zu treffen. Infrage kommen hierfür wohl die zwischenzeitlich verbreitet bekannten Videokonferenzprogramme Microsoft Teams, Zoom oder WebEx. Jeder, der einer solchen Videokonferenz mit einer größeren Teilnehmerzahl beigewohnt hat, weiß, dass es ab ca. 20 Teilnehmern unübersichtlich wird. Hinzu kommt die Vorgabe des Gesetzgebers, dass mindestens 50% der Teilnehmer die Technik anwenden können oder wollen. Da bei einer Publikums-Hauptversammlung unklar ist, wie viele und welche Teilnehmer sich zuschalten und ob diese dann im nötigen Umfang die bestimmte Technik anwenden können oder wollen, ist dieses Modell der virtuellen Hauptversammlung nur für kleine Gesellschaften mit weitgehend bekanntem Aktionärskreis tauglich.

Variante B

Der Gesetzgeber hat deshalb Sonderbestimmungen für die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft geschaffen. Hier ist es ausreichend, wenn für die Aktionäre eine Teilnahmemöglichkeit von jedem Ort aus mittels akustischer und optischer Verbindung in Echtzeit besteht. Im Gegensatz zum oben vorgestellten Modell der virtuellen Versammlung wird hier jedoch keine Zweiwegeverbindung gefordert. Den Aktionären muss „auf andere Weise“ die Möglichkeit gegeben werden, das Stimmrecht auszuüben sowie Fragen und Beschlussanträge einzureichen. Technisch bietet sich für die Übertragung der Hauptversammlung als Einwegverbindung fraglos ein Webcast an, bei dem Bild und Ton über das Internet übertragen werden. Die Ausübung der Aktionärsrechte kann dann z.B. über E-Mail oder über ein Hauptversammlungsportal (HV-Portal) umgesetzt werden. In das HV-Portal kann dann auch der Webcast eingebunden werden, sodass sichergestellt ist, dass nur berechtigte Aktionäre der Übertragung der Versammlung folgen können. Bei einer öffentlichen Übertragung des Livestreams z.B. über die Plattform YouTube kann nur schwerlich kontrolliert werden, wer sich der Versammlung zuschaltet. Fallen Zugang zur Übertragung und der Kommunikationsweg zur Rechtsausübung auseinander, so muss in geeigneter Form die Identifikation und Verifikation des Aktionärs gewährleistet werden.

Bei dieser Variante nimmt der Aktionär direkt selbst an der Versammlung teil, wird also z.B. auch namentlich in das Teilnehmerverzeichnis aufgenommen und kann sein Stimmrecht direkt, ohne den „Umweg“ über einen Stimmrechtsvertreter ausüben. Aktionäre, die an der virtuellen Teilnahme in der Versammlung verhindert sind, können – wie aus der physischen Hauptversammlung bekannt – ihr Stimmrecht über einen Stimmrechtsvertreter ausüben lassen. Dieser Stimmrechtsvertreter muss nicht körperlich in der Hauptversammlung anwesend sein, sondern kann auch über das HV-Portal agieren.

Variante C

Eine dritte Variation für eine virtuelle Hauptversammlung unterscheidet der Gesetzgeber noch für börsennotierte Aktiengesellschaften oder Aktiengesellschaften mit mehr als 50 Aktionären. Auch hier ist ein Webcast Voraussetzung und die persönliche, körperliche Teilnahme der Aktionäre ausgeschlossen. Persönlich teilnehmen müssen aber vier von der Gesellschaft bestimmte „besondere Stimmrechtsvertreter“. Über diese Stimmrechtsvertreter können die Aktionäre ihre Stimme abgeben, Beschlussanträge einreichen und Widerspruch einlegen lassen. Im Teilnehmerverzeichnis wird dann nicht der Aktionär als selbstteilnehmend vermerkt, sondern vertreten durch einen der Stimmrechtsvertreter. Variante B und C können auch kombiniert werden, wie es z.B. im Rahmen der ordentlichen Hauptversammlung der Raiffeisen Bank International AG der Fall war. Das Fragerecht können die Aktionäre entweder direkt an die Gesellschaft gerichtet oder über den „Umweg“ eines der Stimmrechtsvertreters wahrnehmen.

Zusammenfassend kommt die Variante C sicherlich der herkömmlichen, physischen Hauptversammlung am nächsten. Voraussetzung ist hierfür aber ein stabiler, leistungsfähiger Webcast und ein HV-Portal o.Ä., welches den Aktionären eine zuverlässige und sichere Plattform der Rechtsausübung bietet.

Fazit

Das gesellschaftsrechtliche COVID-19-Gesetz wird wohl letztmalig bis zum Jahresende 2021 verlängert werden. Dies muss jedoch nicht das Ende der virtuellen Versammlungen markieren. Justizministerin Zadić blickt schon voraus: „Die Rückmeldungen zu den im Frühjahr ermöglichten virtuellen Versammlungen waren sehr positiv. Für die Zeit nach der Pandemie wird zu überlegen sein, was wir – nach einer Begutachtung – ins Dauerrecht überführen.“ Die Hauptversammlungen im Jahr 2020 und 2021 müssen also keine „Eintagsfliege“ bleiben, sondern könnten der Auftakt zu einer digitalen Zukunft der österreichischen Hauptversammlung sein.

Autor/Autorin

Bernhard Orlik

Bernhard Orlik ist Head of Client Services bei der Computershare Deutschland GmbH & Co. KG.