Wahlen zum Aufsichtsrat (AR) gehören zu den Tagesordnungspunkten, die überdurchschnittliche mediale Beachtung finden. Aufmerksamkeit erregen nicht mehr nur zur Wahl vorgeschlagene prominente Personen, deren Wahl bisher meist sicher war, sondern auch aktivistische Investoren, die vermehrt versuchen, ihre eigenen Personalvorschläge zu platzieren. Von Ingo Wolfarth

Hat man einen Ankeraktionär, wird man sich nicht sorgen müssen. Für Gesellschaften mit hohem Streubesitz sind Wahlbeschlüsse aber nicht immer sicher. Während sich Aktivisten bei Tagesordnungspunkten, die eine qualifizierte Mehrheit erfordern, darauf fokussiert haben, eine Sperrminorität zu erreichen, besteht bei der AR-Wahl mit nur einfacher Mehrheit sogar die Möglichkeit, oppositionelle Wahlvorschläge zum Erfolg zu bringen.

WahlverfahrenHauptversammlung, HV, das Herz der HV

Meist hat man ja gar keine „Wahl“! Denn vom AR wird im Rahmen einer Mehrheitswahl eine Liste von Kandidaten vorgeschlagen, deren Anzahl den zur Verfügung stehenden Mandaten entspricht. Ergebnis: Die vorgeschlagenen Kandidaten werden gewählt. Es erfolgt ausschließlich eine Zustimmung oder Ablehnung zu den einzelnen Wahlvorschlägen. Bei Ablehnung können Mandate unbesetzt bleiben; ggf. erfolgt nach der HV eine gerichtliche Bestellung.

Bei der Verhältniswahl wird die Anzahl der Stimmen je Kandidat gezählt: Die Bewerber mit den meisten Stimmen erhalten die Mandate. Dieses Wahlverfahren ist auch gut geeignet für „richtige“ Wahlen, bei denen sich mehr Kandidaten zur Wahl stellen, als Mandate verfügbar sind. Der Versammlungsleiter ist relativ frei in der Entscheidung, welches Verfahren angewandt werden soll, wie kürzlich der BGH urteilte.

Umgang mit Gegenkandidaten

Spannend werden AR-Wahlen erst, wenn es mehr Kandidaten als Plätze gibt. Dazu kann es durch einen einfach zu stellenden alternativen Wahlvorschlag nach § 127 AktG kommen, der wie ein Gegenantrag behandelt wird. Das bringt der Opposition zwar ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit. Bei den Wahlen selbst wird dies zu einer Ablehnung führen. Weder Depotbanken noch Stimmrechtsberater springen auf solche Anträge auf. Die Vorgehensweise ist auch eher von engagierten Privataktionären zu beobachten, die die (kurze) Phase der Aufmerksamkeit genießen. Formal bedarf es dazu der Angabe des Namens, des ausgeübten Berufs und Wohnorts des Kandidaten sowie bei börsennotierten Gesellschaften der Mandate in anderen Aufsichtsräten oder vergleichbaren Gremien.

Kann ein alternativer Wahlvorschlag auf die Unterstützung eines Quorums von 10% des anwesenden Kapitals hoffen, eröffnet sich die Möglichkeit einer Vorabwahl nach § 137 AktG. Hinter dieser Vorgehensweise stecken Kapital und Methode. Der Vorabwahlantrag ist ankündigungsfrei. Abhängig von der Strategie des Antragsstellers kann es durchaus zu Überraschungen am HV-Tag kommen. Organisatorisch betrachtet führt dies zu einem zusätzlichen Abstimmungsvorgang, da zunächst abzuwarten ist, ob der alternative Kandidat die erforderliche Mehrheit erhält. Ist die Präsenz niedrig, steigt die Hebelwirkung für die oppositionelle Partei. Dann ist sogar ein Wahlerfolg möglich, wie einige Versammlungen in der jüngeren Vergangenheit gezeigt haben. Eine mediale Beachtung finden solche Anträge allerdings nur im Falle des Erfolgs.

Eine sehr hohe Aufmerksamkeit ist einem alternativen Wahlvorschlag sicher, wenn dieser per Erweiterung der Tagesordnung (TO) erfolgt. Aufgrund des erforderlichen Quorums von 5% des Grundkapitals (alternativ: 500.000-EUR-Anteil) kann dieser nur von sehr potenten Aktionären kommen. Ist keine AR-Wahl regulär vorgesehen, wird diese mit einem Antrag auf Abberufung gewählter Aufsichtsräte einhergehen, denn es bedarf ja freier Mandate. TO-Erweiterungen sind als neue Bestandteile der Tagesordnung im Bundesanzeiger bekannt zu machen und werden den Aktionären mitgeteilt, die ausdrücklich Weisungen dazu erteilen können.

Sieht die TO eine reguläre AR-Wahl vor, kann ein Emittent von der Kombination einer TO-Erweiterung mit einem alternativen Wahlvorschlag ereilt werden. Das Begehren des Aktionärs dabei dürfte hauptsächlich darin bestehen, auf die Weisungsdokumente des Emittenten zu kommen, um noch mehr Aktionärspower generieren zu können. Bei einem normalen Gegenantrag nach § 127 AktG ergibt sich diese Möglichkeit meist nicht. Hier ist juristisches Feingefühl ebenso gefragt wie eine Schaden-Nutzen-Abwägung.

Werden die vorgenannten Vorgehensweisen von einer medialen Kampagne begleitet, lässt sich eine noch deutlich höhere Aufmerksamkeit erlangen – abhängig von dem Mitteilungsbedürfnis des aktiven Aktionärs.

Für den außenstehenden (privaten) Aktionär wird es dann schwierig, sich ein Bild der Lage zu verschaffen und zu wissen, wie man sich entscheiden soll. Der Kommunikation durch den aktiven Aktionär sollte die Gesellschaft eine (Krisen-)Kommunikation entgegensetzen. Welche Empfehlung die Stimmrechtsberater aussprechen, ist ebenso eine spannende Frage, da ein guidelinebasiertes Box-Ticking in solchen Fällen kaum möglich ist.

„Wir haben leider kein Foto für Dich“

Gewinnt tatsächlich ein alternativer Kandidat die Wahl, wird es interessant: Denn für die ursprünglichen Kandidaten stehen nicht mehr genügend Mandate zur Verfügung. Schön für den Versammlungsleiter, wenn sich einer der Kandidaten freiwillig zurückzieht. Wenn nicht, kann man die Kandidaten wählen, bis die Mandate ausgehen – einer bleibt übrig! Schon mit der Wahlreihenfolge nimmt der Versammlungsleiter deutlich Einfluss – dann lieber ein Wechsel zur Verhältniswahl, bei der die Wahl tatsächlich der HV obliegt und sich die Kandidaten mit den meisten Stimmen durchsetzen. Natürlich immer in Einklang mit den Wahlregeln der Satzung.

Strategischer Umgang

Schlägt der AR für die nächste Wahlperiode Kandidaten vor, die das richtige Maß an Diversität und Unabhängigkeit vorweisen, wird dieser Wahlvorschlag bei den meisten Gesellschaften mit großer Mehrheit bestätigt werden. Spannend wird es mit neuen Großaktionären oder aktivistischen Aktionären, wenn diese divergierende Interessen vertreten.

Sind neue Großaktionäre vorhanden, ergibt sich indes eine neue Zeitrechnung: davor und danach. Es gilt zu klären, inwieweit eine Repräsentanz im AR gewünscht und auch sinnvoll ist. Der eigene Umgang mit dem neuen Aktionär muss bewertet werden: Akzeptanz oder Verhinderung der Einflussnahme? Das „Regieren“ wie vorher ist vermutlich ein Auslaufmodell. Das Management muss sich fragen, wie es seine Zukunft innerhalb der neuen Welt sieht – und beachtet dabei hoffentlich den Grundsatz, dass das Wohl der Gesellschaft, nicht das Wohl der Gremien, im Fokus steht.

Fazit

Mangelnde Vorbereitung zur Erlangung von Beschlussmehrheiten rächt sich zunehmend. Eine möglichst unangreifbare Personalauswahl ist eine gute Grundlage. Bei schwierigen Rahmenbedingungen hilft ein früh eingeschalteter Proxy Solicitor gegen Aktivistenangst. Die erhöhten Schauwerte von AR-Wahlen bleiben auf jeden Fall erhalten.

Dieser Artikel ist ein Vorabdruck des Fachbeitrags, der am 28. März im Jahres-Special Corporate Finance Recht 2020 erscheint.

Autor/Autorin

Ingo Wolfarth

Ingo Wolfarth ist Key Account Manager und Senior Consultant bei Computershare Deutschland.