Das Urteil ist auch für börsennotierte Unternehmen relevant, weil dort besonders viele Betriebsräte arbeiten. Außerdem zahlen sie meist höhere Gehälter als der Durchschnitt, weshalb zwangsläufig auch die Abfindungen steigen. Von Dr. Frederik Möller, CMS Deutschland

Dr. Frederik Möller, CMS Hasche Sigle
Dr. Frederik Möller, CMS Hasche Sigle

Betriebsräte sind durch zahlreiche Normen der Betriebsverfassung besonders geschützt, damit sie ihre ehrenamtliche Tätigkeit als Interessenvertretung der Arbeitnehmer ohne Einfluss des Arbeitgebers oder die Befürchtung von Repressalien ausüben können. Betriebsräte können z.B. nur außerordentlich und mit Zustimmung des Betriebsratsgremiums gekündigt werden und dürfen vom Arbeitgeber weder benachteiligt noch begünstigt werden. Im Alltag zeichnet sich das Verhältnis der Betriebsparteien in Einzelfällen durch tiefsitzende Meinungsverschiedenheiten aus.

Dies geht teilweise soweit, dass sich Arbeitgeber und Betriebsrat, meist in der Person des Betriebsratsvorsitzenden, unversöhnlich gegenüberstehen. Die Grundidee der Betriebsverfassung, vertrauensvoll zusammenzuarbeiten, funktioniert in diesen Fällen nicht mehr. Oftmals einzige Lösung – sowohl für Arbeitgeber als auch Betriebsratsmitglied – ist dann, das Arbeitsverhältnis zu beenden. Ihren besonderen Schutz, der einer arbeitgeberseitigen Beendigung (Kündigung) entgegensteht, lassen sich Betriebsräte denklogisch durch hohe Abfindungszahlungen vergolden.

Vorwurf des sexuellen Übergriffs auf Sekretärin


So war es auch in dem vom BAG entschiedenen Fall. Der Arbeitgeber hatte beim Arbeitsgericht die Ersetzung der Zustimmung der Kündigung gegenüber dem Betriebsratsvorsitzenden beantragt. Dazu hatte der Arbeitgeber die eidesstattliche Erklärung einer Betriebsratssekretärin vorgelegt, die dem Betriebsratsvorsitzenden über einen Zeitraum von über einem halben Jahr u.a. sexuelle Belästigung vorwarf. Der seit über 30 Jahren in dem Betrieb tätige Betriebsratsvorsitzende ließ das über seine Anwälte dementieren. Parallel erwirkte der Arbeitgeber beim Arbeitsgericht eine einstweilige Verfügung gegen den Betriebsratsvorsitzenden, die ihm verbot, zum wiederholten Mal eine Betriebsversammlung einzuberufen, um diese für die Darstellung seiner Opferrolle in dem Kündigungsverfahren zu missbrauchen.

Betriebsratsvorsitzender verlangte ½ Mio. EUR


Trotz dieses Teilerfolgs war für beide Streithähne unvorhersehbar, wie das Zustimmungsersetzungsverfahren und ein sich anschließender jahrelanger Kündigungsschutzprozessprozess am Ende ausgehen würde. Deshalb kam es zwischen den Parteien zu Vergleichsgesprächen. Am Anfang soll der Arbeitnehmer 500.000 EUR Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes verlangt haben – das Zehnfache seines Jahresgehalts. Das lehnte der Arbeitgeber zwar ab. Am Ende einigten sie sich aber im Kern auf eine Zahlung von annähernd 270.000 EUR, die in mehreren Etappen vom Arbeitgeber zu zahlen waren. 120.000 Euro betrug die eigentliche Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes. Rund 150.000 EUR zahlte der Arbeitgeber für die Zeit der Freistellung des Betriebsratsvorsitzenden, also während einer Dauer von 29 Monaten. Später bereute der 51-Jährige, den Aufhebungsvertrag überhaupt unterschrieben zu haben. Er focht den Aufhebungsvertrag wegen Nichtigkeit an. Dieser habe ihn wegen eklatant hohen Abfindungszahlungen im Verhältnis zu normalen Mitarbeitern unverhältnismäßig begünstigt.

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