Leitfadenvorbereitung in der Praxis: Man nimmt den Leitfaden des Vorjahres, ändert die Jahreszahl, passt die Tagesordnungspunkte an und liest den Leitfaden einmal kritisch durch. Bei dieser Durchsicht werden dann gleich noch einige zusätzliche Passagen aufgenommen, die den Leitfaden noch „wasserdichter“ machen sollen. Führt dieser Weg aber nicht in eine Sackgasse? Zwischenzeitlich gleicht mancher Leitfaden eher umfassenden (und genauso unverständlichen) juristischen Kommentaren. Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden aufzuzeigen, an welcher Stelle der Leitfaden „entrümpelt“ werden und somit einen Beitrag zu einer kürzeren und besser verständlichen Hauptversammlung geleistet werden kann.

Den Zuhörer im Blick

Bernhard Orlik, Geschäftsführer, Haubrok Corporate Events GmbH
Bernhard Orlik, Geschäftsführer, Haubrok Corporate Events GmbH

Etwas Grundsätzliches vorneweg: Der Leitfaden wird vom Versammlungsleiter vorgelesen. Die Aktionäre können nicht mitlesen und haben somit an mancher Stelle durchaus Verständnisprobleme (insbesondere, wenn sie keine vorgebildeten Gesellschaftsrechtler sind). Deshalb: Alle Passsagen des Leitfadens sollten so geschrieben werden, dass sie von einem „normalen“ Aktionär beim Zuhören auch verstanden werden können. Überlange und verschachtelte Sätze sind Gift für dieses Ziel. Auch komplexe juristische Formulierungen sind kontraproduktiv (Muss wirklich jede juristische Norm genannt werden wie: „§ 4711 Absatz 4 Satz 3 2. Alternative“?). Und ganz wichtig: Der Versammlungsleiter sollte den Leitfaden vor der Versammlung schon vollständig durchgelesen haben.

Erläuterungen zur Einberufung

Sehr beliebt in Leitfäden: Die Aufzählung der Bausteine einer ordnungsgemäßen Einberufung und Feststellung, dass diese Hauptversammlung somit ordnungsgemäß einberufen wurde. Diese Passage des Leitfadens kann ersatzlos gestrichen werden. Es findet sich nirgendwo eine Vorschrift, wonach der Versammlungsleiter alle Einberufungsvoraussetzungen vortragen muss. Im Übrigen ist die (meist zu Protokoll des Notars) getroffene Feststellung, dass diese Hauptversammlung ordnungsgemäß einberufen wurde, nutzlos. Ein eventueller Einberufungsmangel wird hierdurch jedenfalls nicht geheilt. Sollte z.B. die Tagesordnung nur einen Tag zu spät im Bundesanzeiger erschienen sein, kann der Versammlungsleiter feststellen, was er will: Die Hauptversammlung kann bis zu drei Jahre nach Beschlussfassung für nichtig erklärt werden.

Erklärung des Abstimmungsverfahrens

Bei vielen Leitfäden wird unmittelbar nach der Feststellung der Ordnungsmäßigkeit der Einberufung das Abstimmungsverfahren en détail erläutert. Da die erste Abstimmung noch mindestens zwei bis drei Stunden entfernt ist und in der Praxis bis dahin weitere Aktionäre zur Versammlung gestoßen sind (oder das zu Beginn Gesagte schon wieder vergessen ist), wird das Abstimmungsverfahren zu Beginn der Abstimmung nochmals erläutert. Diese Redundanz kann ersatzlos aus dem Leitfaden gestrichen werden. Ein Hinweis zu Beginn der Hauptversammlung – „Das Abstimmungsverfahren werde ich Ihnen vor der ersten Abstimmung erläutern“ – ist völlig ausreichend.

Hinweis auf Kompetenz des Versammlungsleiters zur Redezeitverkürzung

Eine kleinere Hauptversammlung mit unkritischer Tagesordnung. Die ca. 50 anwesenden Aktionäre verarbeiten gerade die Präsentation des Vorstands. Aktuell liegt keine Wortmeldung vor, aber der Versammlungsleiter liest aus dem Leitfaden ab, dass er gemäß einer Vorschrift des Corporate Governance Kodex angehalten sei, die Dauer der Hauptversammlung in Grenzen zu halten. Dazu böte ihm die Satzung das nötige Instrumentarium, das Rede- und Fragerecht angemessen zu beschränken, und er fordere die Redner schon jetzt auf, sich kurz zu fassen. Streichen! Eine derartige Passage kann als erste Eskalationsstufe vorgesehen werden, keinesfalls aber als Standard. Nicht nur, dass dies bei Aktionären für schlechte Stimmung sorgt, der Leitfaden wird auch zu lang.

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