Internet-Analysten überschätzen den sog. First Mover Advantage allzu oft. Was steckt wirklich hinter dem Vorteil, den ersten Zug zu machen, und was gehört noch dazu, ein erfolgreiches High-Tech-Unternehmen aufzubauen?

AOL, Amazon, Ebay oder Yahoo! – alle diese Unternehmen genossen eine Art First Mover Advantage. Obwohl die Zukunft von Amazon in letzter Zeit in Frage gestellt wurde (Motto: Amazon.bomb) kann man alle vier Unternehmen als große Erfolge bezeichnen. Die Vorteile des ersten Zuges liegen auf der Hand: Das Unternehmen wird automatisch eng mit seinem Produkt oder Service verbunden. Teilweise ist diese Verknüpfung so eng, daß Product und Corporate Identity verschmelzen wie bei Coke, McDonald’s oder Tempo. Ein weiteres Qualitätsmerkmal der First Mover ist weniger offensichtlich: Nur ein visionäres Management entdeckt überhaupt erst die Chancen, einen neuen Markt zu erschließen. Wenn ein Unternehmen einen Markt als erstes entdeckt, dann besteht auch eine erhöhte Chance, daß das Management in Zukunft clevere Entscheidungen trifft.

Was ist mit Unternehmen, die selbst nie First Mover waren, aber heute dennoch ihren Markt dominieren? Microsoft hat die Software nicht erfunden, hat aber dennoch weite Teile des Marktes unter Kontrolle. Wenn man genauer hinsieht, ist allerdings auch Microsoft ein First Mover. Schließlich hat das Unternehmen aus Redmont als erstes den Heim-PC Markt konsequent ins Visier genommen. Die Vision „ein Computer in jedem Haus und auf jedem Tisch“ war über lange Jahre der Motor des Software-Riesens.

Dell ist ebenfalls erst auf den zweiten Blick ein „First Mover“. Das Unternehmen war das erste, daß radikal auf neue Vertriebswege für seine PCs setzte. Ob Telefon oder Internet – Dell ist der Vertriebspionier der PC-Branche. Damit fraß Dell systematisch Marktanteile von den wirklichen „First Movern“ im PC-Bereich wie IBM und Co.

Kommen wir aber zurück zu Amazon. Bisher sah es so aus, als könnte das Unternehmen durch seinen Blitzstart im Online-Buchhandel die kritische Größe erreichen, den Markt zu dominieren. Dies ist allerdings noch nicht der Fall. Amazon diversifiziert gerade sein Portfolio, um seine Umsätze weiter zu steigern. Amazon muß jetzt hohe Beträge fürs Marketing ausgeben, um von dem „nur Bücher“ Image weg zu kommen. Das Unternehmen ist von sinkenden Grenzkosten noch meilenweit entfernt und es ist keineswegs klar, daß nicht in 5 Jahren ein anderes Unternehmen die Nase vorn hat im Internet-Buchhandel. Die Konkurrenten von Amazon, allen voran BarnesandNoble.com (das bald mit bol.com zusammengelegt werden dürfte) haben einen langen Atem und viel Cash. Bisher hat Amazon seine First Mover Advantage noch nicht in Masse abgesichert.

Wie aber kann ein Unternehmen seine Position als First Mover absichern? Zunächst einmal muß es in einem Markt agieren, der so schnell wächst. Nur wer überhaupt einen Kundenstamm und eine Marke aufbauen kann, bevor die Konkurrenz nachzieht, hat eine Chance. Die Kunden des Unternehmens müssen entweder ein neues Produkt, oder einen neuartigen, wertvollen Service erhalten. Die Markteintrittsbarrieren müssen ebenso hoch sein wie die Kundenbindung. Ferner muß das Geschäft skalierbar sein. Nur wenn abzusehen ist, daß die Grenzkosten mit wachsendem Marktanteil fallen, ist die führende Position auf (gewisse) Dauer zu halten. Last but not least benötigt das Unternehmen ein umsichtiges Management, denn wenn ein First Mover allzu schnell in die falsche Richtung steuert, kann ein „Fast Follower“ schnell das Ruder übernehmen.

Der „First Mover Advantage“ als solcher ist also wenig aussagekräftig und kann gesondert keine Investment-Entscheidung begründen. Auch ein Unternehmen wie eToys war als erster in seinem Markt aktiv – genutzt hat es wenig. Vom 52-Wochen-Hoch bei 86 US-$ hat sich eToys mittlerweile um 81 US-$ entfernt – nach Süden versteht sich. Wer als erster gegen die Wand läuft – so die Lektion – hat kaum einen First Mover Advantage.

 Am Ende ist es doch wie in einem Schachspiel. Ob man den Eröffnungszug hat oder nicht, das einzige worauf man sich verlassen kann, ist das Prinzip: „Wer zuletzt lacht, lacht am besten!“

Die GoingPublic-Kolumne erscheint börsentäglich in Zusammenarbeit mit dpa-AFX.

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