Friedrich Nietzsche und Arthur Schopenhauer waren sich einig: Das Brüderpaar Nationalismus und Patriotismus ist nichts weiter als die schlechte Ausdünstung solcher Leute, die keine herausragenden Eigenschaften besitzen, auf die sie stolz sein könnten. Patriotismus, damals wie heute, bringt ein Land nicht nur nicht weiter, sondern verhindert Entwicklungsmöglichkeiten. Patriotismus ist auf eine lähmende Weise rückwärts gewandt und auf alle Fälle keine Hilfe, den Herausforderungen der Zukunft zu begegnen. Warum also im Jahr des Herrn 2004 eine aus Islamfurcht gespeiste Debatte um Leitkultur und Patriotismus? 

Keine Frage, es ist ein Skandal, daß türkische Mädchen auch in Deutschland zwangsverheiratet werden oder Vorsteher islamischer Gemeinden abgelöst werden, wenn sie versuchen, Gottesdienste in Deutsch abzuhalten. Dagegen muß vorgegangen werden. Doch Gleichberechtigung und Religionsfreiheit sind nun gewiß keine speziellen deutschen Errungenschaften. Von einer deutschen Leitkultur zu sprechen ist daher unangebracht, weil anmaßend. Es wird so ein Klima geschaffen, daß tendenziell die Angst vor dem Fremden schürt. Man muß kein Freund hemmungsloser Multi-Kulti-Thesen sein, diese etwas unaufgeklärte Attitüde als gefährlich zurückzuweisen.

Transferiert man das Thema Leitkultur auf die Ebene Wirtschaft, landet man sofort bei den Auseinandersetzungen um den EU-Beitritt der Türkei. Das Unionsdoppel Merkel/Stoiber lehnt einen Beitritt kategorisch ab. Das ist weder im Interesse der deutschen Wirtschaft noch der Menschen. Ein Binnenmarkt wird um so attraktiver, je mehr er wächst. Natürlich ist die Türkei heute nicht beitrittsfähig. Aber man könnte gemeinsam daran arbeiten. Das bedeutet aufeinander zuzugehen, sich mit dem Partner auseinanderzusetzen, von einander zu lernen, zu verstehen, und: gemeinsam Strategien für eine Zukunft zu erarbeiten.

Das ist allemal anstrengender als sich abzuschotten und Ängste zu schüren. Man muß die Dinge auch aus anderer Perspektive betrachten: Länder nähern sich mit zunehmender wirtschaftlicher Einbindung den Standards des aufgeklärten Abendlandes an. Gesellschaftliche Umwälzungen, wie sie etwa in Saudi-Arabien und andernorts bevorstehen, sind von den Lordsiegelbewahrern des Gestrigen nicht aufzuhalten. Menschen, denen es zunehmend besser geht, fallen nicht radikalen Auslegungen von Religionen anheim, und sie neigen auch nicht zu politisch extremen Lösungen.

Deutschland als exportorientierte Nation muß an solchen Entwicklungen mehr als anderen gelegen sein. Aktiv an der Einbindung solcher Staaten mitzuwirken lautet das Gebot der Stunde. Das besitzt eine humanitäre Komponente, aber auch handfeste wirtschaftliche Interessen sind ganz einfach zuzugeben. Ein kategorisches Nein in der heutigen Zeit, da Dinge global betrachtet werden, weist nur auf eines hin: Hier werden andere Interessen verfolgt.

Stefan Preuß

Die GoingPublic Kolumne erscheint wöchentlich in Zusammenarbeit mit dpa-AFX.

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