Die Life-Science-Industrie ist auf den Erhalt der biologischen Vielfalt angewiesen. Unternehmen nutzen diese biologische Vielfalt und deren genetische Ressourcen in Forschung, Entwicklung und Herstellung zahlreicher biobasierter Produkte. Ihre Nutzung durch das Nagoya-Protokoll (NP) zu regeln war daher ein wichtiger Schritt, um den Unternehmen die nötige Rechts- und Planungssicherheit zu geben. Von Dr. Ricardo Gent und Dr. Lisa Höfle

 

Die aktuell diskutierte Einbeziehung auch digitaler Sequenzinformationen (DSI) genetischer Ressourcen in die Bestimmungen des Nagoya-Protokolls birgt jedoch eine große Gefahr und wirkt den eigentlichen Zielen des Protokolls entgegen.

Die Natur ist eine Schatzkiste der biologischen und genetischen Vielfalt. Pflanzen und Mikroorganismen wie Bakterien, Pilze und Algen werden bereits seit Jahrzehnten von Unternehmen als Basis für Arzneimittel, Chemikalien, Biokraftstoffe und viele weitere biobasierte Produkte genutzt. Auch deshalb ist es richtig und wichtig, die biologische und genetische Vielfalt zu erhalten und ihren Gebrauch nachhaltig und gerecht zu gestalten.

Das Nagoya-Protokoll

Zum Schutz dieser Vielfalt haben die EU und 50 Staaten sich auf ein internationales Abkommen verständigt: das Nagoya-Protokoll1. Dieser völkerrechtlich bindende Vertrag ist im Oktober 2014 in Kraft getreten und verfolgt drei Ziele:

  1. die biologische Vielfalt erhalten,
  2. ihren Gebrauch nachhaltiger gestalten
  3. und entstandene Vorteile aus der Nutzung genetischer Ressourcen gerecht aufteilen.

 

Das Nagoya-Protokoll setzt das dritte Ziel um, indem es die genetischen Bestandteile von Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen als Ressourcen definiert, die international handelbar sind. Außerdem regelt es deren Verwendung beispielsweise als Ausgangsmaterial für Arzneimittel, Impfstoffe oder Enzyme und schützt das darauf bezogene traditionelle Wissen. Ziel ist es, auf Basis gegenseitiger Zustimmung einen Ausgleich zwischen den Interessen der Bereitsteller und Nutzer genetischer Ressourcen zu schaffen.

Genetische Ressourcen sind die Grundlage von biotechnologischen Innovationen in der Medizin, Landwirtschaft und der industriellen Produktion im Rahmen einer Bioökonomie. Die Unternehmen sind sowohl in Forschung als auch Entwicklung und Produktion auf deren nachhaltige Nutzung angewiesen. Das Protokoll kann die dafür erforderliche Rechts- und Investitionssicherheit schaffen.

Digitale Sequenzinformationen

Im Dezember 2016 wurde auf der 13. Vertragsstaatenkonferenz (COP 13) des CBD beschlossen, über eine mögliche Einbeziehung digitaler Sequenzinformationen (DSI) genetischer Ressourcen in die Regelungen des CBD und des NP zu diskutieren. Das Nagoya-Protokoll spricht explizit materielle genetische und biologische Ressourcen an und keine abstrakte Information darüber.

Die Befürworter einer Einbeziehung argumentieren, dass biologische Forschung zukünftig nur noch auf Basis öffentlich zugänglicher DSI erfolgen könne. Damit entfiele die Notwendigkeit, bei den Herkunftsstaaten Zugang zu den materiellen genetischen Ressourcen zu ersuchen. Die Herkunftsländer hätten in diesem Szenario keine Möglichkeit, den dann ausschließlich virtuellen Zugang zu steuern, und könnten auch nicht von den Maßnahmen des Vorteilsausgleichs profitieren.

Konsequenzen für Forschung und Industrie

Zurzeit profitieren alle Länder weltweit vom ungehinderten Zugang und Nutzen von DSI, was einer Form des nicht-monetären Vorteilsausgleichs entspricht. Dies unterstützt die Erhaltung der genetischen und biologischen Diversität, fördert den Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in technische Lösungen, welche dazu beitragen, gesellschaftliche Herausforderungen zu meistern, und kommt damit der Bevölkerung als Ganzes zugute. Die Wissenschaft sammelt und nutzt u.a. DSI intensiv, um biologische Systeme verschiedener Art besser bzw. überhaupt zu verstehen. Der aktuelle massive Erkenntniszuwachs ist hier zunehmend von der Erhebung und Auswertung großer digitaler Datensätze abhängig. Dies einzuschränken würde Innovationen und wissenschaftlichem Fortschritt in unterschiedlichen Bereichen entgegenwirken. Damit wären wesentliche Ziele des CBD und des NP, nämlich Förderung von Forschung, Erhalt und nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt, in der gebotenen Zeit nicht mehr erreichbar.

Konkret betroffen sind alle Bereiche biologischer Forschung. Viele tragen dazu bei, gesellschaftliche Herausforderungen wie Gesundheit von Mensch und Tier, Pflanzenschutz

und Lebensmittelsicherheit sowie Umweltschutz zu meistern. Beispielsweise für die Wirkstoffforschung, die große Datensätze von DNA-Sequenzen analysiert, würde die Einschränkung des öffentlichen Zugangs von DSI eine unüberwindbare Hürde darstellen. Bei neu auftretenden Krankheitserregern wäre eine schnelle Verfolgung globaler Ausbrüche im Rahmen der Infektionsforschung nicht mehr möglich. Auch die Forschung an den genetischen Ressourcen der Herkunftsländer selbst würde beeinträchtigt, da sie von der Open-Access-Praxis nicht mehr profitieren könnten. Es ist zu befürchten, dass internationale Forschung zukünftig vorwiegend in Ländern erfolgt, die das NP nicht unterzeichnet haben.

Eine Einbeziehung von digitalen Sequenzinformationen hätte enorme Konsequenzen für alle Unternehmen der Life-Science-Industrie, die auf digitale Sequenzinformationen zurückgreifen, sofern diese Sequenzen auf Organismen zurückgehen, die in einem der Mitgliedstaaten des Nagoya-Protokolls gesammelt wurden. Umfangreiche Rückverfolgungs- und Kontrollmaßnahmen wären notwendig, falls diese überhaupt zu realisieren wären. Für die Unternehmen würde das eine große Rechtsunsicherheit bedeuten. Nachgelagerte Prozesse wären mit hohem administrativen, Zeit- sowie Kostenaufwand verbunden, was die Produkte und Techniken weniger zugänglich machen würde.

Nagoya-Protokoll auf den richtigen Weg bringen

Das Nagoya-Protokoll bietet schon heute die Möglichkeit, DSI in bilateralen Verträgen zwischen Bereitsteller und Nutzer direkt zu regeln.

Eine Einbeziehung von DSI in den Geltungsbereich des NP würde neue Verhandlungen durch die Vertragsparteien sowie eine notwendige Änderung der Definition einer „genetischen Ressource“ mit sich bringen. Die dafür notwendigen Ressourcen sollten besser in Maßnahmen investiert werden, die dazu beitragen, die drei Ziele des CBD zu erreichen.

Ende November 2018 soll nach ausführlicher Beratung durch Expertengruppen der CBD die Entscheidung getroffen werden, ob DSI in den Anwendungsbereich des NP fallen.

Zuerst muss das Nagoya-Protokoll überhaupt einmal auf nationaler Ebene in wettbewerbstaugliche Regelungen umgesetzt werden, was in kaum einem Land der Fall ist. Insbesondere müssen Regelungen zur Anwendung kommen, die für den täglich vielfach abzuwickelnden Normalfall auch für kleine und mittelständische Biotechunternehmen ohne Erhöhung des administrativen Aufwands erfüllbar sind.

Ohne eine praktikable, handhabbare und faire Umsetzung des Vertrags wird es aber auch keine Lösung für den immateriellen Datenaspekt genetischer Ressourcen geben.

Das CBD ermutigt ausdrücklich den Austausch von Informationen zur Unterstützung der Erhaltung, des Schutzes und der nachhaltigen Nutzung der Artenvielfalt. Es ist von größter Wichtigkeit, dass sich gegenwärtig im öffentlichen Bereich befindliche DSI auch weiterhin frei zugänglich bleiben, um die breiteren Ziele des CBD zu verwirklichen.

Autor/Autorin

Holger Garbs ist seit 2008 als Redakteur für die GoingPublic Media AG tätig. Er schreibt für die Plattform Life Sciences und die Unternehmeredition.