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Als Venture-Capital-Fonds sieht man sich Start-ups ohnehin durch eine ganz eigene Brille an – und nun neuerdings auch noch unter ESG- und Nachhaltigkeitsaspekten. GoingPublic sprach mit Shikha Ahluwalia vom VC-Investor Balderton Capital.

GoingPublic: Frau Ahluwalia, fangen wir zum Einstieg locker an: Fachkräfte ­werden inzwischen mehr und mehr als kritischer Faktor in Unternehmen wahrgenommen. Ist Diversität bzw. ihre Förderung damit ein Nachhaltigkeits­aspekt in der Wertschöpfung?

Ahluwalia: Absolut. Als Venture-Capital-Fonds haben wir uns an die definierten SDG-Nachhaltigkeitsziele angelehnt, aber auch eigene Kriterien gesetzt – und dazu gehören Chancengleichheit und Inklusion. Insofern müssen Unternehmen Diversität sehr wohl als Nachhaltigkeitsaspekt berück­sichtigen.

Shikha Ahluwalia ist Associate bei Bal­der­ton Capital. Neben E-Commerce und Marketplaces liegt ihr Schwerpunkt beim VC u.a. auf Climatetech. Bevor sie als Investorin tätig wurde, gründete sie in Indien das Start-up StalkBuyLove, welches sie auf über 300 Mitarbeiter skalierte.

GoingPublic: Muss man diese Themen in die ­Unternehmen noch hineintragen oder stehen sie schon ohne externes Zutun auf der Agenda?

Ahluwalia: Wir haben es traditionell mit eher jungen Unternehmen zu tun. Insofern liegt die ­Initiative vor allem bei den Gründern. Bei größeren und etablierteren Unternehmen, die in ihren Strukturen weit mehr gefestigt sind, muss man diese Themen eher häufiger von außen hineintragen – mit anderen Worten: Ich würde behaupten, es kommt stark auf die jeweiligen Gründer an, die ­natürlich eine Vorbildfunktion haben und so auch die Leitplanken vorgeben.

GoingPublic: Wo investieren Sie denn aktuell?

Ahluwalia: Mit 1,3 Mrd. USD investieren wir derzeit aus zwei Venture-Capital-Fonds heraus vor allem in Technologieunternehmen. Klimaschutz ist für viele neuere Gründungen ­natürlich ein Thema.

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GoingPublic: Wir befinden uns mittlerweile in ­Coronajahr Nummer drei. Welche Trends werden bleiben? Unabhängig von einer Pandemie.

Ahluwalia: Mobiles Arbeiten ist für Start-ups ohnehin nicht wegzudenken. Arbeiten on the Road oder Remote ist für die ohnehin Standard. Die Frage ist lediglich, wie sich diese Arbeits­form in etablierten Unternehmen niederschlägt, wenn ein wesentlicher Teil der Belegschaft an den Homeofficeregelungen Gefallen gefunden hat und davon nicht wieder abrücken möchte.

GoingPublic: Werden künftig wirklich weniger ­Büro-Quadratmeter benötigt?

Ahluwalia: Da bin ich etwas skeptisch. Die Büros als gemeinsamer Treffpunkt werden weiterhin benötigt, um die Remote-Teams auch mal wieder an einem Ort physisch zusammenbringen zu können. Die Basis einer ­Unternehmenskultur und -identität basiert nicht zuletzt darauf, wie Menschen zusammenkommen – das darf auch künftig sicherlich nicht zu kurz geraten.

GoingPublic: Das Schlüsselpersonenrisiko ist gerade bei Start-ups bestimmt ein Thema. Wie viel hängt von dem oder den Gründern ab?

Ahluwalia:Dieses Key Management Risk hat man nicht nur in frühen Phasen, sondern kann es auch in viel späteren Phasen haben! Wir achten sehr genau darauf, warum ­jemand eine Firma gründet und ob er oder sie in der Lage ist, ein Team drumherum aufzubauen. Ganz und gar nicht gut ist, wenn jemand da eine Art Geheimrezept vorgibt und da sonst nichts ist.

GoingPublic: Gerade im Technologiebereich haben viele Spezialisten Informatik oder ­dergleichen studiert. Wie steht es aber mit BWL-Kenntnissen aus Ihrer Beobachtung heraus zum ordentlichen Führen einer Geschäftsunternehmung?

Ahluwalia: Ein gutes Team ist wie ein bunter Blumenstrauß: Man braucht sowohl die Techniker wie auch diejenigen, die eine kommerzielle­ Brille aufhaben. Deswegen ist es gerade wich­tig, ein Team mit vielfältigen und allen­ erforderlichen Begabungen um sich zu scharen.

GoingPublic: In einem Kommentar aus Ihrer Feder habe ich gelesen, „der Konsument ist aufgewacht“ – auch nachhaltig?! Was genau meinen Sie?

Ahluwalia: Die Pandemie hat in dieser Beziehung einiges verändert bzw. deutlich zutage treten lassen. In Indien, wo ich ja auch einige Zeit gelebt habe, ist es normal, dass man sich Dinge nach Hause liefern lässt. Wenn Sie in Deutschland etwas im Supermarkt bestellen, dauert es Tage oder sogar bis zu zwei Wochen. Corona hat gezeigt, dass das so nicht geht. Und schon vor der Pandemie gab es Bevölkerungsgruppen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht im Supermarkt einkaufen konnten. Da haben wir also erheb­liches Nachholpotenzial. Durch Corona wurde das nur schärfer ausgekehrt.

GoingPublic: Bleibt sonst noch etwas hängen?

Ahluwalia: Alle Statistiken zeigen, dass der Anteil an Vegetariern in den vergangenen zwei Jahren stark zugenommen hat. Das kann nicht reiner Zufall sein. Menschen haben begonnen, neu nachzudenken und auch Gewohnheiten zu ändern.

GoingPublic: Beim Thema Nachhaltigkeit kommen wir damit zur Energie- und Klimawende. Noch rechtzeitig oder geht es nur noch darum, die Opportunitätskosten zu reduzieren?

Ahluwalia: Ich verfolge regelmäßig die Daten des IPCC, des internationalen Panels für die Klimaveränderung. Das Pariser Agreement liegt schon einige Jahre zurück: Wenn man die zugesagten Ziele hochrechnet, kommen wir auf keinen Fall mehr auf eine Einhaltung der kommunizierten Ziele in puncto Klimaerwärmung. Und selbst diese Ziele stehen ja alle für sich auf tönernen Füßen. Unter Berücksichtigung aktueller internationaler Klimamaßnahmen ­ergibt sich rein rechnerisch eine Erwärmung von 3,2 Grad bis 2030 und nicht etwa 1,5 Grad. Das ist eine enorme Zielverfehlung! Wir tun also definitiv nicht genug. Die große Problematik unserer heutigen Zeit ist, wie wir von 20% Erneuerbaren auf eine Umkehrung des Verhältnisses auf 80% kommen – und das so rasch wie möglich.

GoingPublic: Wie erleben Sie dann die Diskussion um längere Laufzeiten von Atomkraftwerken oder Einsatz von doch noch mal mehr Kohle?

Ahluwalia: Das können nur kurzfristige Antworten auf eine aktuelle Krise sein, aber mehr auch nicht. Um die langfristigen Lösungen kommen wir keinesfalls herum.

GoingPublic: Sind Sie – wie ich – auch etwas genervt vom Greentalking vieler Unternehmen: Wo ist hier wiederum der Mittelweg, solchen Unfug zu vermeiden, aber gleichzeitig den Kern der Sache voranzubringen?

Ahluwalia: Ich meine, wir müssen uns dabei stets vor Augen führen, mit wem man spricht. Wenn ein Gründer mir etwas in dieser Beziehung aufzeigt, möchte ich von ihm oder ihr wissen, was die Motive sind. Um Greentalking zu entlarven, ist wichtig, dass Ziele messbar sind. Klimaneutralität wird es in vielen Branchen schlicht nicht geben können – es läuft auf eine Art Ablasshandel heraus.

www.balderton.com

Das Interview führte Falko Bozicevic.

Autor/Autorin

Falko Bozicevic

Falko Bozicevic ist Mitglied des Redaktionsteams des GoingPublic Magazins sowie verantwortlich für das Portal BondGuide.