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Europäische Anleger sind seit mehr als einem Jahrzehnt die Hauptinvestoren in ESG-Fonds. In den letzten drei Jahren f­lossen praktisch alle Nettoinvestitionsströme in der Region in ESG-gekennzeichnete Fonds. Diese Vermögenswerte ­übersteigen nun 4 Bio. USD (siehe Abb. 1), d.h. mehr als ein Drittel der insgesamt investierten Mittel.

Dies liegt zum Teil daran, dass große Institutionen und kleinere Investoren in den nordischen Ländern und in Ländern wie Frankreich und in den ­Niederlanden ESG-Erwägungen bei Entscheidungen zur Vermögensallokation schneller und mit größerer Begeisterung aufgenommen haben als in anderen ­Regionen.

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Die europäischen Unternehmen waren gegen diesen Veränderungsdruck nicht immun – sie mussten sich weiterentwickeln, als die Länder begannen, Gesetze für ­umweltfreundlichere Unternehmen, Volks­wirtschaften und Gesellschaften zu erlassen. Während Unternehmen Regulierung normalerweise mit etwas Negativem in Verbindung bringen, konstatieren wir, dass bei ESG das Gegenteil der Fall ist: Die Regulierung ist ein positiver Faktor für ­europäische Unternehmen.

Abb. 1: Vielstimmiger Anspruch, vielschichtige Standards. Quelle: Berichtsmanufaktur GmbH

Siemens: Transformation zum digitalen Giganten

Siemens, eines der größten europäischen Industrieunternehmen mit einer Markt­kapitalisierung von 150 Mrd. USD, ist ein bemerkenswertes Beispiel dafür, wie sich Unternehmen verändert haben. Der Prozess hatte für Siemens bereits 2003 begonnen, als das Unternehmen zu den ersten Unterzeichnern des Global Compact der Vereinten Nationen gehörte – eines unverbindlichen Pakts, der Unternehmen dazu ermutigen soll, nachhaltige und sozial ­verantwortliche Politik umzusetzen.

Im Jahr 2015 verpflichtete sich Siemens als eines der ersten Indus­trie­unter­nehmen, bis 2030 klimaneutral zu werden. Siemens hat sich von einem alt­modischen Hersteller und Lieferanten von Ausrüstungen, der stark von schmut­zigen Industrien und Prozessen abhängig war, zum weltweit führenden Unternehmen für Automatisierung und industrielle Software gewandelt. Unseren Berechnungen zufolge erzielt Siemens ­heute über 60% seines Umsatzes aus nachhal­tigen Quellen.

Abb. 1: Vielstimmiger Anspruch, vielschichtige Standards. Quelle: Berichtsmanufaktur GmbH

Symrise: Wettbewerbsvorteil durch Rückwärtsintegration

Symrise, ein deutscher Anbieter von ­Inhaltsstoffen, ist ein Beispiel für ein ­Unternehmen, das sich durch den Aufbau nachhaltiger und sicherer Lieferketten, die sogenannte Rückwärtsintegration, ­einen dauerhaften Wettbewerbsvorteil verschafft hat. Seit der Coronapandemie und aufgrund von Handelskriegen sind viele Unternehmen dazu übergegangen, die Sicherheit ihrer Lieferketten zu ­verbessern. Symrise hat jedoch mit dem Prozess der Rückwärtsintegration begonnen, lange bevor er als wichtig erachtet wurde, als Faktoren wie extreme Witterungsbedingungen und soziopolitische Unruhen in einigen Regionen, in denen das Unternehmen tätig ist, den Preis und die Verfügbarkeit von Rohstoffen beeinträchtigten.

Symrise stellte fest, dass die Nähe zu den Lieferanten und die Unterstützung bei ihren Geschäften ein nachhaltigeres ­Geschäft gewährleisten. Vanille z.B. ist ein wichtiger Bestandteil einiger der vom ­Unternehmen hergestellten Essenzen und Aromen und wird zu 80% in einem Gebiet auf Madagaskar produziert. Symrise ist dort seit 2006 mit eigenen Betrieben ­vertreten, arbeitet direkt mit den Bauern und Gemeinden vor Ort zusammen und bezuschusst Bildung und Gesundheits­versorgung. Nachdem ein Wirbelsturm 2017 die Vanilleplantagen verwüstet und die Preise in die Höhe getrieben hatte, war Symrise eines der wenigen Unternehmen der Branche, die noch Zugang zu diesem Hauptbestandteil hatten.

Ashtead: Vermietungsdurchdringung

Ashtead, ein Ausrüstungsvermieter, ist ein weiteres Unternehmen, das die Bedeutung von ESG zeigt. Die zunehmenden ESG-Bedenken haben Unternehmen in ­vielen Branchen dazu veranlasst, über Möglichkeiten zur Reduzierung ihrer ­Kohlendioxidemissionen nachzudenken. Die Miete statt des Kaufs von Landwirtschafts-, Reinigungs- und Baumaschinen ist ein effektiver Weg, dies zu erreichen. Ashtead führt auch eine vorausschauende Wartung und Reparatur von Werkzeugen durch, bevor sie kaputt gehen, verbessert so die Nutzung der Anlagen und verlängert deren Lebensdauer. Im Fall von ­Ashtead ist ESG von Bedeutung, weil es das Unternehmen dazu veranlasst hat, ­seinen adressierbaren Markt zu ver­größern und über die traditionellen ­Infrastruktur- und Bauaktivitäten hinauszugehen.

Ein positives Jahrzehnt steht bevor

Europa ist ein Vorreiter bei ESG- und Nachhaltigkeitsmaßnahmen, die in den USA und im asiatisch-pazifischen Raum erst jetzt an Bedeutung gewinnen. Die ­Unternehmen mussten in den letzten ­Jahren auf Investoren, Vorschriften und die Gesellschaft reagieren, und infolgedessen wird der alte Kontinent zu einer neuen Welt, die viele führende ESG-­Unternehmen hervorbringt. Dies bestärkt uns in unserer positiven Einschätzung der europäischen Aktien für das nächste ­Jahrzehnt.

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Autor/Autorin

Tobias Müller

Tobias Müller ist Portfoliomanager bei T. Rowe Price European Strategies.