Der aktuelle Deutsche Biotechnologie Report von Ernst & Young heißt: Umdenken … weiter denken, breiter denken. Vor dem Hintergrund einer immer komplexer werdenden Medikamentenentwicklung regt der Report  die Biotechnologie-Unternehmen dazu an  sich intensiver auf ihre eigentlichen Stärken als Technologieentwickler konzentrieren und sich als Ideenlieferant und Innovationsmotor begreifen. Im Interview mit dem GoingPublic Magazin spricht Dr. Siegfried Bialojan über begangene Fehler und das große Potenzial der Biotechnologie.

GoingPublic: Herr Dr. Bialojan in Ihrem diesjährigen Report erläutern Sie in Ihrem Vorwort das Auf und Ab der Biotech-Branche und fordern ein Umdenken. Worin sollte das bestehen?
Bialojan: Wir müssen in der Wahrnehmung dieser Branche Umdenken. Wir dürfen die Biotechnologie nicht immer ausschließlich durch die Brille des Hochrisikogeschäfts der Therapeutika-Entwickler sehen, die über Jahre die Sichtweise auf die Branche geprägt haben. Es gibt sehr viele Unternehmen in der Diagnostika-Entwicklung und im Servicebereich, die gar nicht in den negativen Sog dieser Darstellung hineingezogen werden möchten. Die Branche hat zwangsweise zum Teil bereits umgedacht und begonnen, sich über Technologien und Technologie Plattformen zu etablieren.

Dr. Holger Bengs im Gespräch mit Dr. Siegfried Bialojan.
Im Gespräch: Dr. Siegfried Bialojan und Dr. Holger Bengs.

 

GoingPublic: Was folgt daraus für die Entwicklung der Branche?
Bialojan: Den Unternehmen bieten sich breitere Möglichkeiten bei ihren Geschäftsmodellen. Als Therapeutika-Entwickler hab ich nur ein Geschäftsmodell, das entweder finanziert wird oder zum Scheitern verurteilt ist. Plattformunternehmen sind diesbezüglich flexibler: Service – Partnering – Eigenproduktentwicklung können als interssante Modelle in Betracht kommen. Je nach Marktattraktivität kann man mit einer Plattform an unterschiedlicher Stelle einsteigen und sich bei Erfolg entsprechend in andere Modelle weiterentwickeln. Diese Vorgehensweise beinhaltet auch eine größere Bandbreite bei der Finanzierung, wobei Umsätze aus Kundenprojekten und Partnerschaften stärker in den Vordergrund rücken und die Abhängigkeit von Venture Capital verringern. Reine VC Statistiken als Beurteilungskriterium für den Zustand der Biotech-Branche werden dadurch immer weniger aussagekräftig; Best-practice-Beispiele sind heute weit interessanter.

 

GoingPublic: Worin ist das heutige Desinteresse des VC-Marktes an der Biotechnologie begründet?
Bialojan: Biotech hat es nicht gelernt sich positiv in die Köpfe der Kapitalgeber einzubringen: Biotech ist in Deutschland parallel mit VC entstanden. Beide waren neu und sind wild drauf losmarschiert. In den USA lagen bei Investoren zumindest schon Erfahrungen aus der IT-Branche vor. Dort wurden auch track records gesammelt, die für Folgefonds Vertrauen schafften. In der zweiten Phase ab 2005 begannen Investoren eine stärkere Produktfokussierung zu fordern. Damit haben viele Unternehmen ihre eigentlichen Stärken zu Gunsten einer noch höheren Risikostrategie über Bord geworfen! Das konnte nicht gut gehen!

 

GoingPublic: Nehmen wir die Biotechnologie also falsch wahr?
Bialojan: Wir kommen nicht aus dem Lamento gegenüber der Politik, der Finanzierung und zu weniger Entrepreneure heraus – aber dabei wird übersehen, dass wir hier ein riesiges Potential haben. Das Potential liegt in der sehr guten Wissenschaft; und das erste, was daraus entsteht sind Plattformen. Die Hoffnung kann nur darin bestehen über Best-practice-Beispiele positive Schlagzeilen zu liefern. Finanzierungen zu betrachten ist wichtig, aber viel wichtiger sind Deals. Ich brauche Leute die mir die Plattform abkaufen und Partnerschaften eingehen.

 

GoingPublic: Nennen Sie uns Beispiele.
Bialojan: Morphosys hat heute ein breites Portfolio mit Deals. Das Geschäftsmodell hat sich im Laufe der Unternehmensentwicklung suksessiv stärker in Risk-sharing Deals verlagert. Heute verfügt das Unternehmen nun auch über eigene Substanzen und Produktentwicklungen. Weitere Unternehmen sind Pieris in Deutschland, Molecular-Partners in der Schweiz mit ihren DARPins, Genmab in Dänemark oder aus der industriellen Biotechnologie Direvo aus Deutschland. Sie alle haben gemein, dass sie jede Menge erfolgreiche Deals abgeschlossen haben und nun eigene Produkte entwickeln können. VC steht bei solchen Unternehmen selten im Vordergrund.

 

GoingPublic: Woran könnte es liegen, dass weniger Neugründungen zu verzeichnen sind?
Bialojan: Gründer sind schlauer geworden. Es gibt einerseits viele Programme wie z.B. Exist, GoBio und HTGF – doch viele überlegen vor einer Gründung auch, was passiert, wenn diese Programme auslaufen. Man plant heute vorausschauender, um das „Valley of Death“[1] sicherer zu überstehen. Phenix Pharmaceuticals aus Heidelberg ist hierfür ein gutes Beispiel. Das Unternehmen hat für seine Screeningplattform für die Therapeutika-Entwicklung in verschiedenen Indikationsgebieten keine Deals und keine VC-Finanzierung abschließen können. Also haben Sie mit Serviceangeboten begonnen; weil sie an ihre Methode geglaubt haben. Mit wachsender Kundenzahl kamen auch Partner, die bereit waren in ein Risk-sharing zu gehen. Nun sind plötzlich auch wieder die Investoren wach geworden. Dieser lange Weg scheint viele abzuschrecken. Es ist insofern verständlich dass es weniger Gründer gibt. Man muss eine gewisse Flexibilität für das Geschäftsmodell, mehr Geduld und unternehmerischen Durchhaltewillen mitbringen.