Der Technologieexperte bei Deloitte, Dr. Andreas Gentner, erzählt im Interview, welche Börsenkandidaten aus der Technologiebranche er für aussichtsreich hält und welche Tech-Bereiche 2015 am stärksten wachsen. Trotz guter Aussichten würde den deutschen Jungunternehmern manchmal etwas mehr Ambition und „Hunger“ gut tun, meint Gentner – mit einem Blick über den Atlantik.

Dr. Andreas Gentner,Deloitte
Dr. Andreas Gentner,Deloitte

GoingPublic: Welche sind die heißesten Tech-Unternehmen – vor allem im Bereich Internet – die 2015 an den Kapitalmarkt gehen könnten?
Gentner: Es gibt sicherlich einige heiße Kandidaten für 2015. Allerdings eben auch erfolgreiche, schnell wachsende Unternehmen, die das gar nicht anstreben, sondern eher organisch und von ihnen selbst beinflussbar und beherrschbar weiterarbeiten wollen. Goodgame Studios aus Hamburg ist ein solches Unternehmen, das vieles aus eigenen Mitteln gemacht hat. Ein gestandenes Unternehmen, das groß genug ist, mehr als 100 Mio. EUR Umsatz im Markt zu generieren sowie positive Ergebnisbeiträge. Das sind die Storys, nach denen die Börse schaut. Scout24 ist sicherlich auch ein heißer Kandidat, weil es eine kritische Größe und ein interessantes Geschäftsmodell besitzt und auch die ersten Wehen des Wachstums überstanden hat. Ein Börsengang von Media-Saturn wird immer wieder diskutiert – das könnte ich mir durchaus vorstellen. Es kommt immer darauf an, wie ein Geschäftsmodell von einem Börsengang profitieren kann.

Welche Bereiche des Technologiesektors sind 2015 am spannendsten, sowohl von Investorenseite als auch der Technologieseite?
Ich sehe wieder eine verstärkte Nachfrage nach allen Mobile-, Internet- und E-Commerce-Lösungen. Wir haben eine Zeitverzögerung zum Silicon Valley, wo das Jahr 2014 ziemlich stark von Mobile- und Internetunternehmen geprägt war. Uber ist ja auch ein klassisches Beispiel, das mit Mobile sein Geld verdient und seine Finanzierungsrunden gemacht hat.

Ist so ein Hype wie damals am Neuen Markt wieder denkbar?
Über die Phase des Neuen Marktes sind wir hinaus. Die Analysten und Anleger schauen mittlerweile schon darauf, ob sich das Geschäftsmodell von selbst trägt oder nur auf der Hoffnung basiert, viel Geld zu verdienen und irgendwann einmal den Markt zu dominieren. Was wir auch im Rahmen unseres Fast 50 Awards festgestellt haben ist, dass in der Qualität der Unternehmen das Jahr 2014 das beste seit langer Zeit war, was die Dichte und die erzielten Wachstumsraten der Unternehmen betrifft. Das macht mir Mut, dass sich der Standort Deutschland weiter im Aufstieg befindet, was diese technologieorientierten Geschäftsmodelle betrifft. Noch nicht im Stadium des Silicon Valley, aber ganz klar auf dem Weg nach oben.

 Was sind die Gründe für das verstärkte Wachstum 2014?
Ein wichtiger Wachstumsbereich in Deutschland sind sicher moderne Online-Werbemaßnahmen, SEO und Marketing, sowie E-Commerce-Plattfomen: Im B2B-, vor allem aber im B2C-Bereich gibt es erhebliches Potenzial. Hier sind eine große Konsumentennachfrage und ein großer Markt vorhanden. Ein Trend in diesem Jahr, der aus den USA kommt, sind Geschäftsmodelle rund um Cloud-Lösungen. Bei Suchmaschinen- und Marketing-Algorithmen hat der Standort Deutschland mit seiner starken naturwissenschaftlichen Ausrichtung einen gewissen Vorteil. Auch Googles und Amazons Erfolgsgeheimnis beruht ja darauf: leistungsfähige, auf den individuellen Nutzer ausgerichtete Algorithmen.

Wie sieht es mit dem kulturellen Unterschied zwischen deutschen und amerikanischen Start-ups aus?
Wir haben im Auftrag eines Unternehmens eine Untersuchung dazu gemacht, was das Silicon Valley und Deutschland in der Gründerszene unterscheidet. Eines der ausschlaggebenden Argumente hängt mit den Gründern selbst zusammen. Die Jungunternehmer in den USA sahen sich in zehn Jahren als nächstes Google oder direkter Amazon-Konkurrent – also eine unglaubliche Vision nach vorne. In Deutschland sahen sich einige wenige Jungunternehmer in zehn Jahren Zeit als die nächste SAP, aber zum größten Teil vor allem als Mittelständler mit großem Haus und drei bis vier Mal im Jahr Urlaub. Diesen riesigen Hunger und die wahnsinnig großen Ambitionen haben die deutschen und europäischen Gründer häufig nicht – das kann dann auch in Bequemlichkeit umschlagen. Und nochmals: Nur die Besten und Ambitioniertesten halten sich in der schnelllebigen Technologie-Branche dann auch wirklich lange ganz oben.

 Das Interview führte Konstantin Riffler. Es erschien zu ersten Mal im GoingPublic Magazin 01/02 Ende Dezember.

 Zur Person:
Dr. Andreas Gentner ist Partner bei Deloitte Consulting und leitet europaweit den Industriebereich Technology, Media und Telecommunications (TMT). Dr. Gentner berät insbesondere zahlreiche internationale Konzerne und große Mittelstandsunternehmen bei Konzeption und Implementierung ihrer wertorientierten Steuerungssysteme sowie ihres Planungs- und Berichtswesens. Zu seinen Kunden zählen unter anderem Unternehmen wie Alcatel-Lucent, Bertelsmann, Deutsche Telekom, Kabel Deutschland, Nokia, Ringier und Siemens.

 

Autor/Autorin