Mithilfe ihrer KI-basierten Small Molecules Technologie schafften es Michael Almstetter und seine zwei Mitstreiter ihre eigene Firma aufzubauen. Nun stand der nächste Schritt an: Doch die Investorensuche gestaltet sich in Deutschland nicht so einfach. Ist der Gang in die USA eine mögliche Alternative? Von Nicole Unger

 

Die Gründung der Origenis GmbH erfolgte im Oktober 2005 durch einen Management-Buyout der neuartigen, technologiebasierten Wirkstoffentwicklungsplattform aus der damaligen Morphochem AG. Dr. Andreas Treml, Dr. Michael Thormann und Michael Almstetter entschlossen sich, gemeinsam mit dem aufgebauten Discovery-Team die Forschungsprogramme zu finanzieren, und machten sich innerhalb weniger Wochen an die Arbeit. Eine große Unterstützung boten zwei namhafte Kollaborationspartner, Probiodrug im Bereich ZNS-­Erkrankungen und Alcon im Bereich der Ophthalmologie, mit welchen über viele Jahre hinweg zusammengearbeitet wurde. Für beide Anwendungsbereiche war es von Beginn an äußerst wichtig, dass die Wirkstoffe in ausreichender Konzentration am Wirkort vorliegen, also z.B. für Anwendungen im Gehirn die Blut-Hirn-Schranke passieren müssen.

Drug Discovery mithilfe von KI

Um diese Notwendigkeit sicherzustellen, war ein zunehmender Ausbau der Technologie nötig. Ein wichtiger Kernpunkt war hierbei die Kopplung mit einer evolutionären, intelligenten Syntheseplanung mit High-Throughput-/In-silico-Screening, dem sogenannten MolMind (in Anlehnung an das Brettspiel Mastermind). Darüber hinaus bietet das entwickelte MOREsystem eine automatisierte chemische Synthese für die Umsetzung der Verbindungen vom Computer in die Realität. Damit ist eine nahezu unbegrenzte Anzahl von Kombinationen möglich, die das Design, die Synthese und das Screening von Verbindungen verändern und vor allem auch verbessern können. Durch die langjährige Zusammenarbeit mit Biotech- und Pharmafirmen wurde Origenis klar, dass die traditionelle Entwicklung von Small Molecules zu hohen Ausfallsraten durch eine umgekehrte ­Proportionalität führen: Die Optimierung einer Eigenschaft (nebenwirkungsarm) bringt meist eine Verschlechterung auf anderer Seite mit sich (weniger Effizienz). BRAINstorm kann mithilfe physio­chemischer Messreihen schon sehr früh und genau vorhersagen, wie sich das ­Molekül im Gewebe verteilt. Diese drei Technologien ermöglichen es, äußerst schnell in die chemische Synthese einzutauchen und passende Leitmoleküle als Wirkstoffkan­didaten zu identifizieren. Zudem hat Origenis mit der Plattform Cippix eine der größten proprietären Patentdatenbanken kreiert, die chemische Identitäten aus Patenten herausfiltern und von 1970 bis zum aktuellen Datum nachvollziehen kann, ob ein Kandidatenmolekül zu nahe an einem bereits bestehenden Patent liegt oder tatsächlich ein neuer Wirkstoff gefunden wurde.

Geschäftsentwicklung und ­Finanzierung

Über die letzten Jahre hinweg hat sich viel in Origenis’ Ausrichtung geändert. Die anfänglich reine Kundenanwendung der Drug-Discovery-Plattform hat sich auch mit Unterstützung von Förderprogrammen des BMBF und des Bayerischen Wirtschaftsministeriums seit 2012 zunehmend auf die interne Forschung konzentriert und ihren Fokus auf Kinaseinhibitoren im ZNS-Bereich gelegt. „Nachdem man im ­Bereich der Onkologie bereits große Fortschritte mit dem Einsatz von Kinaseinhibitoren machen konnte, hat Origenis versucht, dieses Wissen mit ihrer ‚Small-Molecule-Technologie‘ auf den Bereich der neurodegenerativen Erkrankungen zu übertragen“, so Michael ­Almstetter. Mit Blut-Hirn-Schranken-gängigen Molekülen gegen LRRK2 (Leucine-Rich-Repeat-Kinase 2) im Bereich Parkinson und anderen Kinasen im Feld frontotemporaler Demenz sowie Neuroinflammation hat Origenis diese Forschungsrichtung weiter vorangetrieben.

Seit Anbeginn war das Unternehmen selbstfinanziert beziehungsweise wurde von privaten Investoren aus Deutschland und der Schweiz, sogenannten High-Net-Worth­Individuals, unterstützt, um die Firma sukzessive auf derzeit 28 Mitarbeiter auszubauen. Ab 2016/17 stand mit der Erteilung erster Patente und der Präklinik vor Augen ein deutlich größerer Finanzierungsschritt an, den ein umsatzbasiertes Unternehmen kaum hätte gehen können. Dem Wunsch, die finanzielle und operative Selbstständigkeit aufrechtzuerhalten und den Gang in eine wirtschaftliche Abhängigkeit von einem Pharmaunternehmen zu vermeiden, entsprang der Gedanke, eine neue „ZNS-Firma“ zu gründen.

Schritt in die USA

Die Grundidee dieser neuen Firma sollte sein, sich von der lange favorisierten Idee, das Antikörper verschiedene problematische Eiweißablagerungen im Gehirn wieder rückgängig machen, zu entfernen. Die von Origenis entwickelten Kinaseinhibitoren sollen eine komplett neue Therapieform eröffnen: Mit gleich fünf thera­peutischen Programmen soll, einzeln wie auch in Kombination, sowohl eine Regulation der Krankheit selbst als auch der zusätzlich entstehenden schädlichen Neuroinflammation gelingen. Von diesem neuartigen therapeutischen Ansatz versprechen sich Michael Almstetter und seine Mitstreiter eine deutliche Verlangsamung der jeweiligen neurodegenerativen Krankheit. Das würde sowohl dem Patienten selbst als auch den Angehörigen und schlussendlich dem gesamten Gesundheitssystem helfen. Leider fand die Führungsriege europaweit mit diesem doch sehr frühen Ansatz im Bereich Neurodegeneration – und dann noch mit dieser Bandbreite an vielversprechenden Molekülen – sowohl bei Investoren als auch bei Lizenzierungen auf Pharmaseite kaum Gehör. Aus diesem Grund begab man sich 2017 auf Investorensuche in Amerika, dem propagierten Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Hier war das Feld schon deutlich weiter und offener für solch neuartige Forschungsansätze im Bereich des zentralen Nervensystems. Weiterhin erscheint dort auch eine Anschlussfinanzierung weitaus realer, da es nicht nur mehr Reserven an Risikokapital gibt, sondern außerdem der ganze Kapitalmarkt inklusive Börsenbewertungen ganz andere Dimensionen aufweist.

Eine Vision wird Wirklichkeit

All diese Gründe befürworteten den ­Entschluss, zusammen mit einem US-Partner eine neue Firma an der Westküste zu gründen, die von Origenis mit den fünf forcierten Programmen ausgestattet wird. Parallel wurde eine Finanzierung bis hin zur Klinik gesichert: Seit 2018 wird sukzessive ein neues Team vor Ort aufgebaut, das von Origenis beraten und unterstützt wird. Zugleich hat sich das deutsche Unternehmen damit auch einen neuen Kollaborationspartner geschaffen. Dies gibt Origenis einerseits die Option, ihre fortgeschrittenen Programme weiterzuentwickeln, und ermöglichte der US-amerikanischen Firma andererseits einen „running start“. In den USA bieten sich hier besonders auf lange Sicht ganz andere Chancen als in Deutschland, und Michael Almstetter erhofft sich durch den erfolgten Schritt über den großen Teich auch einen signifikanten Fortschritt für Origenis in Europa. Die Existenz einer US-basierten ZNS-Firma mit hohem Entwicklungspotenzial wird auch das deutsche Unternehmen in ein anderes Licht rücken. Ein deutlicher Ausbau, aber auch ein Börsengang seitens Origenis scheinen so in Zukunft möglich, denn „die Origenis wird nach wie vor eine deutsche Firma bleiben“, so Michael Almstetter.

 

KURZPROFIL ORIGENIS GMBH

Gründung: Oktober 2005

CEO: Michael Almstetter

Startfinanzierung: Durch private Inves­toren aus Deutschland und der Schweiz

Pipeline: verschiedenste Kinase-Inhibitoren im ZNS- und Ophthalmologie-Bereich

Autor/Autorin