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Die Hauptversammlung in Präsenz scheint aus der Mode gekommen, seit der Gesetzgeber die virtuelle HV per Gesetz gleichberechtigt erlaubt. Die Akzeptanz der elektronischen ­Variante wird davon abhängen, inwieweit die Rechte der ­Anteilseigner dabei erhalten ­bleiben. Aus Sicht der freien ­Investoren spricht derzeit vieles für den Beibehalt der ­Präsenz-HV – mit Zuschaltmöglichkeiten über Onlinetools. Diese hybride HV, übrigens bereits seit 13 Jahren im Aktien­gesetz verankert, lässt den Eigentümern die Wahl und ­schadet den Aktiengesellschaften in keiner Weise.

Diesen Artikel finden Sie im HV-Magazin, Ausgabe 03-2022 – JETZT KOSTENFREI DOWNLOADEN!

Ein Plädoyer für die Präsenzhauptversammlung?! Zugegebenermaßen fällt einem das gar nicht so leicht, denn aus Aktionärssicht spielt das Format eigentlich gar nicht so eine entscheidende Rolle. Viel bedeutsamer ist, dass das Format nicht die Anlegerrechte vorgibt und durch die Wahl des entsprechenden Formats das Anlegerschutzniveau nicht bestimmt werden kann. Das war und ist aus Investorensicht der rote Faden, wenn es um das „richtige“ Hauptversammlungsformat geht.

Diskussion wird weitergehen

Und genau deswegen war es von zentraler Bedeutung, dass die Bundesregierung in den Koalitionsvertrag aufgenommen hat, dass eine virtuelle Option der Hauptversammlung geschaffen wird, bei der die Anlegerrechte uneingeschränkt gewährt werden müssen. Exakt wegen dieses letzten Aspekts gab es die vergangenen zweieinhalb Jahre wilde Diskussionen. Und man spürt, dass die Diskussionen auch für die Zukunft nicht beendet sein werden, da der Gesetzgeber den Unternehmen an verschiedenen Stellen, z.B. beim Frage- und Rede­recht, ein Ermessen zugewiesen hat.

So kann etwa die Anzahl der Fragen pro Frage­steller oder aber auch insgesamt für alle Fragenden in der virtuellen HV eingeschränkt werden. Die Unternehmen haben die Möglichkeit, das Vorfeld zu nutzen oder aber – wie bei einer Präsenzveranstaltung – alles am Tag der Hauptversammlung, dann aber eben virtuell, stattfinden zu lassen.

Rechtsrisiken beachten

Interessant ist zu beobachten, dass gerade dieses Ermessen für den einen oder anderen Emittenten ein unwägbares Rechtsrisiko darstellt und man deswegen eher zur Präsenzhauptversammlung tendiert.

Lesen Sie hier den Artikel „Ein Plädoyer für die virtuelle Hauptversammlung“ von Torsten Fues & Thomas Wagner (beide Better Orange).

Tendenz bei Investoren

Die Frage der Rechtssicherheit spielt für die Investoren bei ihrer Wahl zunächst eine nicht ganz so große Rolle. Dennoch ist die Tendenz auf der Investorenseite sehr ähnlich in Richtung Präsenzhauptversammlung ausgeprägt. Wobei auch das nicht ganz korrekt ist – denn eigentlich ist der Wunsch der Aktionäre über das gesamte Gesetzgebungsverfahren und bis heute klar formuliert: Die Investoren wünschen sich ein hybrides Format, also eine Präsenzversammlung mit ergänzenden Onlinetools. Diese ­Option findet sich schon seit 13 Jahren im Aktiengesetz, wurde aber nur sehr zart von Aktiengesellschaften genutzt und leider noch weniger von den Aktionären angenommen. Daraus jedoch für die Zukunft Rückschlüsse zu ziehen wäre sicherlich falsch.

Ein Argument greift nicht

Das Argument pro virtuelle Hauptversammlung ist oftmals, dass internationale Investo-ren an der Hauptversammlung teilnehmen können. Dies ist auf dem Papier zunächst ­gewiss richtig. Aber wird sich ein Investor aus New York oder von der Westküste wirklich um 04:00 Uhr nachts bzw. morgens vor den Bildschirm setzen und eine deutsche Hauptversammlung in deutscher Sprache verfolgen? Ich denke, diese Fragen braucht man nicht ernsthaft zu beantworten.

Wie will man seine Aktionäre behandeln?

Beantworten müssen die Vorstände und Aufsichtsräte aber durchaus die Frage, welches Verhältnis sie zu ihren Aktionären pflegen – und zwar zu allen: Denn diese sind glücklich darüber, wenn zumindest einmal im Jahr ­allen Aktionären die Möglichkeit eröffnet wird, ­Fragen zu stellen und in den Dialog mit der Verwaltung einzutreten. Natürlich ist dies auch virtuell möglich. Während aber nach verschiedenen Umfragen unter institutionellen und privaten Anlegern der ausdrückliche Wunsch besteht, ein Präsenzformat in Kombination mit Onlinetools umzusetzen, ist es durchaus beachtlich, wenn Vorstände und Aufsichtsräte sich über diesen Wunsch hinwegsetzen und dennoch ein rein virtuelles Format vorsehen.

Oftmals wird auch das Thema Hallenverfügbarkeit und Kündigungsfristen und ­damit die Planungssicherheit der Hauptversammlung in den nächsten Jahren als Hindernis für eine Präsenzveranstaltung angeführt. Wenn wir aber da angekommen sind, dass Kündigungsfristen über das Hauptversammlungsformat entscheiden, dann sind wir irgendwo in der Diskussion und in der Umsetzung falsch abgebogen.

Ungleichgewichte werden verschärft

Besonders „heikel“ wird die Diskussion, wenn ein dominanter Großaktionär das Hauptversammlungsformat durch seinen Stimmenanteil bestimmt. Dieser wird dann oftmals zudem im Aufsichtsrat vertreten sein und andere Informationswege nutzen. Wenn den freien Aktionären dann auch noch die Hauptversammlung und die offene Diskussion in einer Präsenzversammlung genommen wird, ergibt sich ein Ungleichgewicht, das über die virtuelle Hauptversammlung gerade nicht mehr auszugleichen ist.

All das führt dazu, dass die freien Aktionäre skeptisch auf das virtuelle Format blicken werden. Dieser Skepsis kann man begegnen, indem man schlichtweg eine Präsenz- oder eben eine hybride Hauptversammlung umsetzt. Dann können die Eigentümer frei ent-scheiden, in welchem Format sie an der Hauptversammlung teilnehmen wollen. Dieser Skepsis sollte zudem dadurch begegnet werden, dass die Ermächtigung für die ­Umsetzung einer virtuellen Hauptversammlung nicht auf die gesetzlich mögliche Fünfjahresfrist ausgeweitet wird, sondern zunächst allein für zwei Jahre oder gar für ein Jahr die Ermächtigung eingeholt wird. Zudem sollten im Vorfeld der Beschlussfassung über die Ermächtigung Erläuterungen zur beabsichtigten Umsetzung einer virtuellen Hauptversammlung veröffentlicht werden. Wie werden die Aktionärsrechte eingeschränkt, wird es zur Nutzung des Vorfelds kommen oder wird man darauf verzichten?

Fazit

Nur wenn man schon heute erläutert, wie man zukünftig die Hauptversammlung konkret umsetzen wird oder sich heute eine Umsetzung vorstellt, wird das Argwohn reduzieren oder ganz auflösen. Bezieht man sich hingegen allein auf die gesetzliche Ermächtigung und lässt den Aktionär ohne weitere Information im (virtuellen) Raum allein stehen, wird dies das Verhältnis von Aktionären und Verwaltung dauerhaft belasten – und das ohne Not.

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Autor/Autorin

Marc Tüngler

Marc Tüngler ist Hauptgeschäftsführer der Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz e.V. (DSW).