Gerade sitze ich an einem neuen Buchprojekt, in dem ich die große Finanzkrise noch einmal aufarbeite, und wühle mich momentan durch die Geschehnisse im September und Oktober letzten Jahres. Da stand das gesamte Währungssystem kurz vor dem Abgrund. Da wurden täglich Milliarden in das System injiziert, und die Ängste vor einem Zusammenbruch à la 1929 waren riesig. Die Banken liehen sich gegenseitig kein Geld mehr und es drohte fast das Ende. Und dann auch noch die Lehman-Pleite.

Doch was war mit den Aktien? Raten Sie einmal. Ich stelle Ihnen hier drei Fragen – beantworten Sie sie einmal schnell und aus dem Bauch heraus:

(1) Wie hoch stand der Dax am Tag nach der Pleite von Lehman Brothers?

(2) Wie viel hat der Dax nach dem Bekanntwerden der Lehman-Pleite in der darauf folgenden Woche verloren?

(3) Wie hoch stand der Dax als Angela Merkel die staatliche Garantie aller Bankguthaben ausgesprochen hat?

Die Antworten darauf sind verblüffend und haben mich sehr überrascht. Am Montag, nachdem Lehman Gläubigerschutz angemeldet hat, eröffnete der Dax bei 6.138 Punkten und schloss bei 6.064 Punkten. Die gesamte Woche beendete er bei 6.189 Punkten und damit auf exakt dem gleichen Stand wie am Freitag vor der Lehman-Pleite. Und als Angela Merkel am Sonntag, dem 5. Oktober, die staatliche Notbremse gezogen hat, stand der Dax immerhin noch bei 5.797 Punkten. Danach ging es dann allerdings deutlich in den Keller, denn am folgenden Montag gab es eine Eröffnung bei 5.606 und einen Wochenschluss bei 4.544 Punkten.

Was lernen wir nun daraus? Ich sehe die folgenden wichtigen Lektionen:

Erstens, als es weit schlimmer um die Weltfinanzen stand als heute, notierten die Aktien wesentlich höher als heute. Jetzt machen wir eine Korrektur, weil viele Marktteilnehmer glauben, dass die Wirtschaft noch nicht so Fuß fasst, wie erhofft. Das ist legitim. Doch im Vergleich zum Herbst 2008 sind unsere heutigen Sorgen tatsächlich die berühmten „Peanuts“.

Zweitens, während heute die klugen Alleswisser unisono von dem großen Fehler reden, Lehman Pleite gehen zu lassen („Wie konnte das nur geschehen“) hat damals das niemand so gesehen. Denn ansonsten wären die Kurse der Aktien eingebrochen und nicht gleich geblieben. Der Dow Jones hat dabei im Übrigen haargenau das Gleiche abgeliefert wie der Dax.

Und drittens: Richtig los ging es mit dem Crash erst, nachdem die Politik die Notbremse gezogen hat. Das war richtig von der Politik, und es war auch richtig, dass die Märkte insgesamt so stark gefallen sind. Doch schaut man sich den Zeitablauf an, muss man feststellen: Die Märkte haben keinesfalls gesehen, was hier auf uns zukommt. Die Politik hat das alles viel besser antizipiert.

Wir, die Märkte, waren damals also gar nicht klug. Klug sind wir erst heute. Aber wohl auch wieder nur bezüglich der Vergangenheit ….

Bernd Niquet

GoingPublic ist allein für die Inhalte der Kolumne verantwortlich. Informationen zu einzelnen Unternehmen stellen keine Aufforderung zum Kauf bzw. Verkauf von Aktien dar. Die Kolumne erscheint wöchentlich in Zusammenarbeit mit dpa-AFX.

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