Big Data und Datenschutz, Wearables und andere neue Technologien, Möglichkeiten der Vernetzung – die Facetten der elektronischen Gesundheit sind vielfältig, bergen eine Reihe von Chancen und manche Risiken. Erfolgreich ist, wer den richtigen Weg findet.

Vor einem Jahr, auf dem Hauptstadtkongress 2014, hatte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe den Entwurf für ein spezielles e-Health-Gesetz angekündigt. Kritik kam vor allen von Datenschützern und Krankenkassen, aber auch von der Industrie, der manche Regelung nicht weit genug ging. Vor Kurzem wurde das Gesetz verabschiedet. Doch volle Zufriedenheit will sich dennoch nicht einstellen. Auf dem diesjährigen Hauptstadtkongress Berlin mahnte Minister Gröhe an, bei der Umsetzung von e-Health-Projekten „mehr Dampf zu machen“. Vor allem die mangelnde Vernetzung im Gesundheitswesen, von Gröhe ironisch als „Gesundheit 1.0“ tituliert, sei ihm ein Dorn im Auge. Der lange vereinbarte Testbetrieb eines Datennetzes zwischen Ärzten, Krankenkassen, Krankenhäusern und Apotheken solle nun im November beginnen. Zugleich stellte Gröhe bereits eine Novellierung des e-Health-Gesetzes in Aussicht.
Es boomt
Doch während in Deutschland noch über Gesetze und deren Auswirkungen diskutiert wird, wächst der Markt für Gesundheits-Apps und Wearable-Lösungen. Im Alltag ist e-Health jedenfalls längst angekommen. Laut einer Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (pwc), wurden im vergangenen Jahr rund 150 Mio. Wearables verkauft – wenn auch der Markt in Deutschland mit rund 3,6 Mio. verkauften Wearables noch vergleichsweise klein ist. Während in den USA oder in Israel Patienten ihre Therapiemöglichkeiten online mit ihrem Doktor besprechen oder ihre Gesundheitsdaten im Internet einsehen können, ist unter deutschen Patienten und Medizinern die Zurückhaltung noch gross. Da spielen Mentalitätsunterschiede eine schon gewohnte Rolle, wie die abwartende Haltung vieler Nutzer was technologische Neuerungen betrifft oder die Furcht vor dem Missbrauch persönlicher und sensibler Daten belegen. Dabei versprechen Wearables zumindest in der medizinischen Vorsorge große Erleichterungen, ob bei der Messung der Wirksamkeit von Medikamenten, der Raucherentwöhnung oder beim Sonnenschutz.

Christa Bähr, Vorsitzende der DVFA Life Science-Kommission: Wearables ermöglichen die bewusstere Beschäftigung mit der eigenen Gesundheit durch den Patienten.
Christa Bähr, Vorsitzende der DVFA Life Science-Kommission: Wearables ermöglichen die bewusstere Beschäftigung mit der eigenen Gesundheit durch den Patienten.

„Der technische Fortschritt erlaubt den Sprung in neue Dimension“, unterstreicht Dr. Christa Bähr, Vorsitzende der DVFA Life Science-Kommission vom Verband der Investment Professionals in Deutschland (DVFA). „Beispielsweise können auf diese Weise große Datenmengen aus der Sequenzierung des Genoms ausgewertet werden und Fortschritte in der personalisierten Medizin und Therapie ermöglichen.“ Sie verweist weiterhin auf die bewusstere Beschäftigung mit der eigenen Gesundheit durch den Patienten und einen größeren Informationsfluss. „Monitoring durch Smartphone-Lösungen oder die Apple Watch, eine Diabetes-Therapie über Cloud Computing oder der Virtual Doctor über Skype – es gibt viele Möglichkeiten“, erklärt Christa Bähr.

Unwirksame Apps?
Allerdings: So unbestritten das Wachstumspotenzial des Wearables-Marktes oder allgemein von e-Health-Lösungen auch ist, nicht immer scheinen sich Hersteller und Produzenten über die tatsächlichen Marktchancen ihrer Produkte im Klaren. Auch sollte konsequenter unterschieden werden, wo schlussendlich der wahre Nutzen von e-Health-Lösungen liegt. Und schließlich müssen innovative Lösungen auch finanzierbar sein. Beispielsweise müssen Leistungen, die über Krankenkassen finanziert werden, nach den gesetzlichen Vorschriften wirtschaftlich und zweckmäßig sein. Bei solchen Diskussionen geht es wohlweislich nicht um Fitness-Apps und andere Wearable-Lösungen der gesundheitlichen Vorsorge, sondern um komplexe Leistungen, die Krankenkassen nur dann übernehmen dürfen, wenn sie nicht als risikobehaftet angesehen werden. Geht es also um die Behandlung von tatsächlichen Krankheitsbildern, trennt sich um e-Health-Segment schnell die Spreu vom Weizen. Dann gilt es, produktive und zukunftsfähige Lösungen von Unwichtigem zu trennen.

Schon wird das massenhafte Sammeln von Patientendaten über Apps und Wearables als Überdiagnostik und –therapie klassifiziert – zum Schaden des Patienten. Ein wenig mehr Bremskraft tät dem allgemeinen Hype daher nicht schlecht. Eine Untersuchung der Universität Jena aus dem Jahr 2013 beispielsweise fand heraus, dass von über 280 im Internet verfügbaren Schmerz-Apps keine einzige ihren Weg in wissenschaftliche Studien gefunden hatte, ihre tatsächliche Evidenz also keineswegs bewiesen wurde. Umgekehrt waren rund 30 Schmerz-Apps, deren Wirksamkeit in wissenschaftlichen Arbeiten erörtert wurde, im Apple Store nicht käuflich zu erwerben. Trotzdem werden seit Jahren Millionen von Euro oder Dollar in neue e-Health-Lösungen gepumpt, ohne dass der tatsächliche medizinische Nutzen vieler Produkte bisher erbracht werden konnte.

Den wahren Nutzen erkennen
Gleichwohl, die zunehmende Digitalisierung der Gesellschaft wird dazu führen, dass die Schnittstellen zwischen allen Beteiligten geöffnet und regulatorischen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die einen barrierefreien Austausch von Daten ermöglichen. Dazu gehören neben technischen Lösungen auch die Bereitschaft zu neuem Denken und Handeln, zu mehr Transparenz und Kommunikation. „Die künftigen Herausforderungen existieren weiterhin in Fragen zu Infrastruktur und der Schaffung eines regulatorischen Rahmens“, bestätigt DVFA-Expertin Christa Bähr. „Aktuell werden die mit dem Datenschutz verbundenen Schutzziele, wie Integrität, Intervenierbarkeit und Vertraulichkeit, bei den gegenwärtig verfügbaren Anwendungen, beispielsweise Smartphone-Apps, nicht hinreichend berücksichtigt“, so Bähr. In ihren Augen scheint bei den Menschen der reine Nutzen noch zu überwiegen. „Sonst würden Sie sich darauf nicht einlassen“, glaubt sie. Vor allem dürfe der Datenschutz kein blockierender Hemmschuh sein, wie man etwa im Zuge der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte sehen konnte. „Er muss aber bei der Entwicklung und Anwendung von e-Health-Lösungen stärker berücksichtigt werden“, fordert Bähr. Darüber hinaus könne sich der Einsatz von Datenschutz als Wettbewerbsargument durchaus positiv auswirken. „Entscheidend sind der Aufbau einer Infrastruktur, die eine gesicherte Datenübertragung und -Speicherung sowie die Vermeidung von unberechtigten Zugriffen ermöglicht, sowie die Aufklärung der Nutzer“, glaubt Bähr. „Der im Mai vom Bundeskabinett beschlossene e-Health-Gesetzentwurf ist hier als Meilenstein zu sehen.“ Datensicherheit und Infrastruktur, den tatsächlichen medizinischen Nutzen für den Patienten herausstellen – ein weites Feld für tatsächliche Innovationen und lukrative Investments, wenn Unternehmen und Investoren verinnerlichen, dass e-Health sehr viel mehr ist, als nur die nächste Fitness-App.

Autor/Autorin