Die Vermessung der (digitalen) Gesundheitswelt

Von Masterplänen, Roadmaps, Pilot- und Leuchtturmprojekten und den üblichen Verdächtigen

Spätestens wenn man die Zahlen hört und liest, sollte einem klar werden, dass die digitale Transformation des Gesundheitswesens auch in Deutschland nur mehr eine Frage der Zeit ist: Bei 39 Mrd. EUR liegt nach einer PwC-Studie das Einsparpotenzial von „E-Health“. Das sind deutlich über 10% der jährlichen Krankheitskosten in Deutschland. Kann man dieses Potenzial einfach ungenutzt links liegen lassen? Von Dr. Georg Kääb

Der US-Gesundheits-IT-Markt verzeichnet aktuell ein jährliches durchschnittliches Wachstum von rund 20% und liegt bereits weit jenseits der 20-Mrd.-USD-Marke. Andererseits werden in Deutschland noch immer rund 5 Mrd. Behandlungsdokumente zwischen Versorgungseinrichtungen per Brief oder Fax verschickt, was den Handlungsbedarf unterstreichen sollte.

Ambitionierte Ziele in den nächsten Jahren

Diese Angaben entstammen der Herleitung des „Masterplans Gesundheitswirtschaft“ der Region Regensburg aus dem Jahr 2017, der für diesen Wirtschaftsraum konkrete Lösungsansätze und Handlungsempfehlungen entwickelt hat (in mehreren Workshops alle Stakeholder-Gruppen einbindend). Einige ambitionierte Ziele sowohl im Bereich „Digitalisierung und E-Health“ als auch in weiteren Kernthemen wie „alternde Gesellschaft und Demografie“, „Fachkräfte und Ausbildung“, „allg. Standortentwicklung“ sollen so in den nächsten Jahren erreicht werden.

Konkrete Handlungsempfehlungen

Die Bertelsmann Stiftung, deren europäische Vergleichsstudie zur Digitalisierung auf den Seiten 14–16 dieser Ausgabe beleuchtet wird, widmet sich seit mehreren Jahren diesem Transformationsthema der Gesundheitsbranche. Um dabei die jüngere – die „digital-native“ – Generation stärker einzubeziehen, hat die Stiftung ein Expertennetzwerk der „30 unter 40“ (gemeint sind Jahre) gebildet. Aus dieser Gruppe stammt die Themensetzung, wo die größten Hürden liegen. Deren Beseitigung stellt eine elementare Grundlage für ein systematischeres Ausrollen der Digitalinnovationen zur Modernisierung des Gesundheitssystems in Deutschland dar. Insgesamt 19 konkrete Handlungsempfehlungen sind auf diesem diskursiven Wege entstanden und bilden nun eine aktuelle „Roadmap Digitale Gesundheit“. Wem 19 Handlungsempfehlungen noch zu viele sind, der sollte sich zumindest mit den fünf Themen/Hürden-Feldern eingehender befassen. Diese umreißen, wo im Kern höchster Handlungsbedarf besteht:

  • Informationstransfer zwischen Leistungserbringern
  • Informationszugang und Selbstmanagement von Patienten
  • Versorgung unabhängig von Zeit und Raum
  • Technisierung der Lebens- und Versorgungswelten
  • Forschung, Diagnostik und Therapie mit aggregierten Gesundheitsdaten

Die 30 jungen Experten haben zudem ein Ranking der eigenen Empfehlungen vorgenommen, wobei Handlungsempfehlung #11 die meisten Punkte erhalten hat: Dabei wird das Zögern der Krankenversicherungen thematisiert, Digital-Health-Anwendungen in den Versorgungskatalog aufzunehmen. Daher wird eine stärkere Verpflichtung der Krankenkassen gefordert, erfolgreich erprobte innovative Anwendungen auch zu finanzieren. Auffällig ist, dass viele weitere als besonders wichtig angesehene Handlungsfelder der U40-Experten rings um das Thema „Nutzung medizinischer Daten“ angesiedelt sind. U.a. lauten diese: kohärente Rechtsrahmen zur Verwendung medizinischer Daten schaffen, um das Potenzial von Big Data ausschöpfen zu können; eine

Rechtsgrundlage zu schaffen, um eine „Datenspende“ für die medizinische Forschung zu ermöglichen; effiziente Zugangsmöglichkeiten zu medizinischen Daten auch für Dritte zu schaffen.Gerade in diesem Themenkomplex der Nutzung von medizinischen, v.a. klinischen Daten bewegt sich ein Pilot und Leuchtturmprojekt des bayerischen Gesundheitsministeriums, das unter dem Namen „DigiMed Bayern“ eine verbesserte Versorgung bei Atherosklerose-Erkrankungen erreichen will und sich dabei auf P4-Medizin konzentriert.

20 Mio. EUR Förderung für DigiMed Bayern

Das Medizinprojekt DigiMed Bayern startete Ende 2018. Die Förderung in Höhe von über 20 Mio. EUR durch das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege entstammt dem Masterplan BAYERN DIGITAL II. DigiMed Bayern kombiniert umfassende Datensätze von Patienten, bei denen atherosklerotische Erkrankungen wie eine koronare Herzerkrankung, ein Schlaganfall oder genetische Risikofaktoren diagnostiziert wurden.

Diese Datensätze werden weiter mit modernster molekularer Charakterisierung des jeweiligen Probenmaterials angereichert.Alle gängigen Omics-Technologien werden dabei angewendet. Weitere Daten kommen von Krankenkassen und von Bevölkerungsstudien (Epidemiologie) sowie aus öffentlichen Datenbanken. Für die integrative Analyse der resultierenden BigData soll eine ethische und rechtskonforme,sichere und nachhaltige IT-Infrastruktur grundsätzlich konzipiert und aufgebaut werden. Das Thema Nachhaltigkeit erfährt eine hohe Priorität: Eine Übertragbarkeit der grundsätzlichen Erkenntnisse und Strukturen auf andere Krankheitsgebiete ist impliziter Auftrag des Konsortiums. Insgesamt werden Patienten und Risikopersonen von den Fortschritten bei der Vorhersage von Krankheitsrisiken und von der gezielten Prävention, Diagnose und Behandlung profitieren.Beteiligt sind wesentliche forschende Einrichtungen und Kliniken wie das Deutsche Herzzentrum München, die Deutsche Herzstiftung, das Max-Planck-Institut für Biochemie, das Helmholtz Zentrum München, das Klinikum rechts der Isar (Technische Universität München) und die Ludwig-Maximilians-Universität München.

Ethik und Recht werden vom Institut Technik-Theologie-Naturwissenschaften (LMU) und der Juristischen Fakultät der Universität Augsburg abgedeckt. Die digitale Infrastruktur soll das Leibniz-Rechenzentrum bedienen.Das Medizinprojekt verfolgt darüber hinaus eine Reihe übergeordneter Ziele.

Die Antragsteller waren sich offensichtlich bewusst, dass sie im konkreten überinstitutionellen klinischen Datenmanagement auch rechtliches und infrastrukturelles Neuland betreten und Pionierarbeit,um nicht zu sagen Kärrnerarbeit zu leisten haben. Siehe www.digimed-bayern.de:

  1. Am Beispiel der Atherosklerose erfolgt eine erste Analyse von umfassenden Datensätzen im Sinne der digitalen Medizin der Zukunft. Alle Beteiligten am Gesundheitssystem in Bayern sollen direkt davon profitieren: Die Vorhersage für das Risiko einer Koronaren Herzerkrankung (KHK) und eines Schlaganfalls soll kurzfristig genauer und eine präventive Behandlung besser ermöglicht werden. Mittel- bis langfristig werden Verbesserungen bei Diagnose und Therapie angestrebt. Die bevölkerungsweite Identifikation der familiären Hypercholesterinämie als gravierender exemplarischer Risikofaktor für die Atherosklerose soll nachhaltig verbessert werden.
  1. Die technischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Möglichkeiten und Grenzen dieser modern-digitalen Medizin werden mittels der konkreten Umsetzung erfasst, vorangetrieben und dokumentiert. Dies umfasst einen proaktiven Informationsaustausch aller an Gesundheit Beteiligten zur prozessualen Weiterentwicklung des Gesamtsystems.
  1. Resultierende Erkenntnisse und Strukturen sollen im Gesundheitssystem, in Forschung und Wirtschaft anschlussfähig und auf andere Krankheiten übertragbar sein. Insbesondere soll eine beispielhafte und übertragbare integrierte digitale Infrastruktur geschaffen werden.

Man darf gespannt sein, wie bei all den Masterplänen, Roadmaps und Pilotprojekten die Kartografen in einigen Jahren die „Vermessung der digitalen Gesundheitswelt“ zu Papier bringen werden.

Näheres unter: https://www.biopark-regensburg.de/de/masterplan-gesundheitswirtschaft-regensburg.html

 

ZUM AUTOR

Dr. Georg Kääb ist ist Unternehmenssprecher, Leiter Corporate Communications, der BioM Biotech Cluster Development GmbH in Martinsried
Dr. Georg Kääb

Dr. Georg Kääb ist Unternehmenssprecher, Leiter Corporate Communications, der BioM Biotech Cluster Development GmbH in Martinsried. Der studierte Biologe hat am Max-Planck-Institut für Neurobiologie promoviert.

Twitter LinkedIn Youtube

 

 

Der Beitrag erschien in der Ausgabe „Smarte Medizin“. Lesen Sie jetzt das E-Magazin der Ausgabe!

Autor/Autorin

Karin Hofelich ist seit 2001 für die GoingPublic Media AG tätig und leitet seit 2013 die Plattform Life Sciences. Mission der Plattform ist die medienübergreifende Verbindung (Magazin-Web-Event) der Lebenswissenschaften mit Wissen und Netzwerken aus Unternehmensfinanzierung und Kapitalmarkt.