Der Ruf des Kapitalmarkts ist hierzulande alles andere als gut – seit Jahren wird die fehlende Aktienkultur beklagt. Umso erfreulicher ist jedoch, dass es viele deutsche Unternehmen gibt, die gerade durch die Börsennotiz eine echte Erfolgsstory geschrieben haben, z.B. durch gezielte M&A-Aktivitäten oder Buy-and-Build-Strategien. Dass sich Erfolg und Börse nicht unbedingt widersprechen müssen, wurde gestern Abend auf der Veranstaltung der GoingPublic-Gruppe thematisiert.  

Unter dem Motto „Wachstumsmotor Börse – den Kapitalmarkt gezielt nutzen“ veranstaltete die GoingPublic Media AG (HV Magazin, GoingPublic Magazin und Life Sciences Serie)  am Montagabend ihr diesjähriges Kapitalmarktevent in dem Räumlichkeiten der Alten Börse in Frankfurt. Vor rund 30 geladenen Gästen, darunter u.a. die Kapitalmarktkanzleien Pinsent Masons und Heuking Kühn Lüer Wojtek sowie die Wirtschaftsprüfer MSW und die IPO-Berater Blättchen Financial Advisory, wurde der Blick auf einige Erfolgsstorys am Kapitalmarkt gelenkt.

Oliver Schacht, CEO von Curetis während seines Vortrags auf dem Kapitalmarktevent
Dr. Oliver Schacht, CEO von Curetis, während seines Vortrags auf dem Kapitalmarktevent

IPO als Wachstumstreiber
Klassisches Beispiel eines kleinen Unternehmens, das durch den  Börsengang sein Wachstum vorantreiben konnte und auf lange Sicht den Break-Even anstrebt, ist das schwäbische Biotech-Unternehmen Curetis, das seit November 2015 an der Euronext in Amsterdam gelistet ist und sich auf Molekular-Diagnostik von Infektionskrankheiten spezialisiert hat. Curetis-CEO Dr. Oliver Schacht stellte gleich zu Beginn der Veranstaltung seine IPO-Erfolgsstory dem Publikum vor und beschrieb dabei anschaulich den Weg an die Börse. Dabei stellte er klar: Die Börsennotiz an der ausländischen Börse Euronext habe nichts mit der Deutschen Börse per se zu tun gehabt, sondern vielmehr mit der mangelnden Investorenstruktur im LifeSciences Bereich in Deutschland. „ Es gab nichts was an der Frankfurter Börse falsch gewesen wäre oder gefehlt hätte – doch was nutzt einem ein tolles Fußballstadion, wenn dort keiner spielt? Ähnlich verhält es sich mit Jungunternehmen in der LifeSciences Branche: Für die fehlt es schlichtweg an Investoren, die in kleine Start-ups investieren“, erklärte Schacht in seiner Rede. Genau aus diesem Grund entscheiden sich auch viele deutsche Jungunternehmer aus dem Biotech-Sektor für eine Börsennotiz außerhalb des heimischen Börsenmarkts.

Als Schacht 2011 CEO bei Curetis wurde, nachdem er zuvor bei Epigenomics tätig war und dort den Börsengang miterlebte, war er sich sicher: Nie wieder IPO! Jedoch merkte er schnell: Um das schwäbische Start-up-Unternehmen international voranzutreiben braucht es Kapital – und das konnte nur durch ein Exit oder einen Börsengang erzielt werden.  Nachdem durch mehrere VC-Finanzierungrunden die Weichen für das IPO gestellt wurden, kam die Frage nach dem geeigneten Börsenplatz auf: Aus den ursprünglichen NASDAQ-Plänen wurde schließlich die Mehrländer-Börse Euronext – der Börsengang erlöste 2015 letztendlich 44 Mio. EUR. Seither stehen die Zeichen auf Wachstum: So wurden neue Produkte gelauncht, ein Direktvertrieb aufgebaut sowie eine Tochter in den US gegründet. Und damit nicht genug: Im September 2016 haben die Schwaben eine Siemens-Datenbank für Antibiotika-Resistenzen aufgekauft  sowie die Patente dafür erworben. Eine weitere Plattform der Unternehmen Carpegem und Systec wurde Mitte Dezember erworben. Investments also, die ohne Börsengang kaum vorstellbar gewesen wären. „Ohne das IPO wäre es das Ende der Fahnenstange gewesen“, fasst Schacht abschließend zusammen.

Marcel Wiskow, ‎Director Investor Relations & Corporate Governance bei SNP
Marcel Wiskow, ‎Director Investor Relations & Corporate Governance bei SNP

Kapitalmarkt strategisch nutzen
Neben Curetis gibt es aber auch einige Unternehmen, die den Kapitalmarkt gezielt im Bereich Buy-and-Build genutzt haben und einige Übernahmen seit der Börsennotiz gemacht haben, z.B. United Internet oder Cancom – letztere konnten ihre MarketCap seit dem IPO 1999 fast verdreifachen. Ein weiteres Beispiel für eine erfolgreiche Börsenstory mit Buy-and-Build-Stratagie ist das Software- und Beratungsunternehmen SNP – Schneider Neureither & Partner. Marcel Wiskow, IR-Verantwortlicher des Unternehmens, stellte die Story im Panel live vor. Das seit 2000 an der Börse notierte Unternehmen verfolge konsequent eine organische und anorganische Wachstumsstrategie: Im Jahr 2015 übernahm SNP die Kölner Unternehmensberatung RSP, um die Wertschöpfungskette  weiter auszubauen– für diese  Akquisition nutzten die Heidelberger wiederum den Kapitalmarkt, indem sie einen Corporate Bond auflegten. Anfang dieses Jahres folgten weitere Akquisitionen im asiatischen Raum. Um weiteres Wachstum zu finanzieren, führte SNP schließlich in diesem Jahr eine Kapitalerhöhung durch und konnte dabei Erlöse von 30 Mio. EUR erzielen. Ein Beispiel also dafür, dass der Kapitalmarkt gezielt für Wachstumsstrategien genutzt werden kann und somit Erfolge generiert werden können. SNP konnte seine MarketCap in den letzten zwei Jahren immerhin von 50 Mio. auf rund 200 Mio. EUR steigern.

Zeit fürs Netzwerken: Peter List (GoingPublic), Horst Mantay (MSW) und Niki N. Demirbilek (DUAL Deutschland).
Zeit fürs Netzwerken blieb auch: Peter List (GoingPublic), Horst Mantay (MSW), Markus Rieger (GoingPublic) und Niki N. Demirbilek (DUAL Deutschland).

Fundiertes Börsenwissen gefordert
Im Anschluss an die Vorträge wurde schließlich das Thema Aktienkultur in Deutschland und der negative Ruf des deutschen Kapitalmarkts im Plenum diskutiert. Nicht nur die Vortragenden, sondern auch das Publikum war sich einig, dass ein fundamentales Börsen-Grundwissen bereits in der Grundschule aufgebaut werden muss – denn nur so könne sich die Einstellung der Deutschen gegenüber Aktien und Börse grundlegend und positiv verändern. Doch auch das derzeit heiß umstrittene neue, namenlose KMU-Segment der Deutschen Börse wurde diskutiert: So waren einige der Gäste der Ansicht, dass die Deutsche Börse mit dem neuen Segment und dem Claim „den Entry Standard zu beerdigen“ alles andere als vorbildlich agiere. Die Problematik der fehlenden Kapitalmarkt-Kultur in Deutschland sei außerdem nicht so leicht mit einem neuen Segment zu beheben.

Nach all den tiefgreifenden Diskussionen kam auch das Vergnügen nicht zu kurz: So lud die GoingPublic Media AG anschließend noch zur gemütlichen Weihnachtsfeier auf die Galerie der Börse ein – mit Blick auf das Börsenparkett und demnach passend zum Motto der Veranstaltung.

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