Die Wurzel unseres Haderns mit der Politik mag durchaus bereits im Grundgesetz angelegt sein. Denn dort findet sich im Artikel 21 eine eigentlich völlig unverständliche Passage, die da lautet: Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.“ Wie ist das nur zu verstehen? Sollten die Parteien nicht die politische Willensbildung der Menschen repräsentieren? So versteht das doch der Bürger sicherlich. Die Parteien haben die Aufgabe, den politischen Willen der Wähler widerzuspiegeln und politisch umzusetzen.

Doch warum findet sich dann in dem ansonsten so knapp abgefassten Grundgesetz diese Passage über das Mitwirken bei der politischen Willensbildung? Sollen die Parteien tatsächlich auf den politischen Willen der Menschen Einfluss nehmen? Nicht den freien Willen der Menschen repräsentieren, sondern diesen Willen mitformen? Schaut man sich das öffentliche Geschehen heutzutage an, hat man exakt den Eindruck, dass sie genau das tun. Die Parteien setzen also gnadenlos den Auftrag des Grundgesetzes um. Und an dieser Stelle nimmt das Übel unweigerlich seinen Lauf.

Der Frust an der Politik resultiert also zuallererst aus diesem Tatbestand, dass ein an sich souveräner Bürger andauernd in seiner freien Willensbildung von der Politik traktiert wird. Hinzu treten zeitgeschichtliche Komponenten: In schwierigen Zeiten des Notstandes neigen Menschen dazu, eng beieinander zu stehen und zusammenzuhalten. Diskussionen über die notwendige Richtung sind hier lebensentscheidend. In der heutigen Situation des Überflusses gilt das jedoch nicht mehr. Heute ist jeder nur noch genervt über das Wirrwarr an Streitigkeiten, die niemandem mehr recht erklärt werden können.

In unserem liberalen Zeitalter wird bereits in den Familien und in den Partnerschaften so viel diskutiert und gestritten, dass die Masse sich nur noch voll Ekel abwendet, wenn sie das, was sie täglich in den eigenen vier Wänden erlebt, nun auch im öffentlichen Raum noch einmal miterleben muss. Die Politikverdrossenheit reflektiert aus dieser Perspektive betrachtet folglich in großen Teilen ein Wohlstandsphänomen: Die einen leben vom Staat und sind deswegen genervt, wohingegen die anderen das Geld dafür geben müssen und dadurch nicht weniger genervt sind.

Uns geht es so gut, dass wir uns lieber selber unser Theater wählen als uns öffentlich eines vorsetzen zu lassen. Brauchen wir tatsächlich Heerscharen von Selbstdarstellern, um den Staat so bankrott und handlungsunfähig zu machen, wie er jetzt ist? Hätte das nicht auch eine Handvoll von Leuten ohne Begleitung der Medien viel billiger erledigen können? Oder nehmen wir den Streit um die Wahl des Bundespräsidenten: Wäre es nicht trefflicher, das Geld für den politischen Prozess in dieser Hinsicht einzusparen und stattdessen das Balzverhalten der Hamsterhirsche in der freien Natur zu bestaunen?

Die Politik passt zudem in keiner Weise mehr in eine moderne Wirtschaftsgesellschaft. Wer heute einen Wunsch hat, der legt seine Kreditkarte auf den Tisch und befriedigt sich seinen Wunsch. Alles gibt es heute völlig problemlos zu kaufen – von der Potenzpille bis zum Zertifikat auf Rohöl. Und wie soll in unserer heutigen Sofort- und Selbstbefriedigungsgesellschaft überhaupt noch jemand ein Verständnis dafür aufbringen, dass viele Dinge nur mühsam erstritten werden können?

Das begreift heute niemand mehr. Und das kann die Politik schon gar nicht mehr vermitteln. Jedes optimistische Zukunftsszenario muss daher zwangsläufig beinhalten, dass der Markt auch hier bald siegen und die Politik weitgehend abschaffen wird.

Bernd Niquet

Die GoingPublic Kolumne ist ein Service des GoingPublic Magazins, Deutschlands großem Kapitalmarktmagazin. Bezogen werden kann das Magazin unter www.goingpublic.de. GoingPublic ist allein für die Inhalte der Kolumne verantwortlich. Informationen zu einzelnen Unternehmen stellen keine Aufforderung zum Kauf bzw. Verkauf von Aktien dar. Die Kolumne erscheint wöchentlich in Zusammenarbeit mit dpa-AFX.

 

Autor/Autorin