Köhler & Co.In der Reporting-Fachliteratur und der Unternehmenskommunikation gilt der Geschäftsbericht als «Königsdisziplin». Wenn dem so ist, dann müsste der Aktionärsbrief das wohl wertvollste Schreiben eines Unternehmens sein. Ein Realitätscheck: Wie ist es um die Qualität der Aktionärsbriefe deutscher und Schweizer Unternehmen bestellt? Dieser Frage geht eine aktuelle Studie nach, die wissenschaftlich die Verständlichkeit und Leserfreundlichkeit der Aktionärsbriefe deutscher und Schweizer Unternehmen untersucht.Von Frank Brettschneider, Oliver Haug, Elke Faundez und Kristin Köhler 

Den formalen Kriterien zufolge können die untersuchten Aktionärsbriefe zu den komplexesten Schriftstücken der Unternehmenskommunikation gekrönt werden. Mit Königsdisziplin hat das aber dennoch herzlich wenig zu tun. Im Ranking der Top-3- und Flop-3-Ergebnisse des Hohenheimer-Verständlichkeits-Index (HIX) zeigen die Ergebnisse eine durchaus grosse Bandbreite (siehe Abbildung).

Komplexität und Unverständlichkeit
Insgesamt sind die Ergebnisse überraschend negativ ausgefallen. Zusammenfassend muss man die Briefe an die Aktionäre formal als schwer bis sehr schwer verständlich einstufen. Die Ergebnisse der Untersuchung stehen den Ergebnissen anderer Studien in nichts nach – die Aktionärsbriefe sind genauso schwer verständlich wie Allgemeine Versicherungsbedingungen oder Geschäftsbedingungen von Banken. Es gibt erfreulicherweise aber auch Lichtblicke mit ausgesprochen positiven Ergebnissen. Vor allem bei den CEO-Briefen der DAX 30 Unternehmen erreichen die Top-3 platzierten Unternehmen hervorragende Werte.

In den Ergebnissen lassen sich auch andere Tendenzen erkennen. So ist festzustellen, dass bei den Aktionärsbriefen in der Schweiz die unverständlichsten Texte von Finanzunternehmen stammen. Mit Werten unter 1 Punkt sind diese Briefe an die Aktionäre als ungeeignet einzustufen. Allgemeine Versicherungsbedingungen schneiden in der Regel um einige Punkte besser ab auf der HIX-Verständlichkeitsskala.

Auf der anderen Seite lassen einige Ergebnisse Fragen offen: Wie kommt es, dass bei Daimler beispielsweise der Brief des CEO mit 13,39 ein Spitzenergebnis erreicht, aber beim Brief vom Aufsichtsrat die Werte im Keller liegen? Und wie kommt es, dass VW in ein und demselben Geschäftsbericht zwei Briefe zu veröffentlichen, die sprachlich meilenweit auseinander liegen? Erreicht der Aktionärsbrief des CEO einen Wert von immerhin 13,83 Punkten, liegt der Brief des Aufsichtsrats bei 5,38. Über den Qualitätsunterschied lässt auch nicht die Tatsache hinwegtäuschen, dass beide Briefe in ihrer Kategorie zu den Top-3-Briefen zählen. Es drängt sich die Vermutung auf, dass schlichtweg nicht auf die Sprache geachtet wurde. In diesem so wichtigen Textstück der Unternehmenskommunikation.