Auf einmal war er da, der Begriff von der New Economy. Eigentlich nicht ganz neu, denn auch schon in den 20er Jahren wurde er proklamiert, war sein Siegeszug doch ein beachtlicher. Wer ihn ursprünglich wieder zum Leben erweckte, ist kaum mehr festzustellen. Professor Steven Weber von der University of California wird genannt, der durch Globalisierung und Technologisierung plötzlich eine andere Funktionsweise der Wirtschaft sah. Einziger Auslöser der Reinkarnation ist er aber sicherlich nicht.

Das ist auch eigentlich nicht entscheidend. Viel interessanter ist die Feststellung, daß sich der Begriff „New Economy“ nur deshalb derart epidemisch ausbreiten und etablieren konnte, weil er etwas ganz Wesentliches verkörpert. New Economy, das ist der Inbegriff einer wirtschaftlichen Utopie, die auf einmal zum Greifen nahe schien. Wie in den inflationsschwangeren 70er und 80er Jahren, so würde es nun nicht mehr sein. Inflationsfrei und ohne die lästigen Zyklen der Vergangenheit sollte es aufwärts gehen, fortwährender Prosperität entgegen.

Daß man anders ist in der New Economy, sollte jeder gleich sehen. Weg mit den verstaubten Titeln der gewerkschaftshörigen Vertreter einer sozialen Marktwirtschaft. Weg mit Titeln wie Vorstand und Betriebsrat – arbeiten will ja eh jeder, und das am liebsten ohne Unterbrechung, und alles andere kann mit einem „Du, Paulus…“ geregelt werden. Und Vorstand, wie klingt das denn! Das klingt nach Schleifgewinden und Fräsbohrern, aber nicht nach optischen Speichermedien, Nukleinsäuren, und Internet-Backbone-Enablern. Neue Titel braucht das Land. Was liegt da näher, als sich in den USA zu bedienen, der Übermutter alles Progressiven. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Jeder darf seinen Stand nach belieben kodieren. Von CEO und CFO über den CTO und CIO bis hin zum CKO und COO gibt es fast alles, was das Herz begehrt – und das allein auf oberster Führungsebene.

Natürlich will hier keiner schönreden. Hier geht es um Klarheit. Wer global denkt, muß auch überall auf der Welt erkannt werden. Was soll der taiwanesische Gegenüber schon mit dem Titel Vorstand für Vertrieb und Personalwesen anfangen? Trotzdem, ganz unproblematisch sind die klangvollen Kürzel nicht, denn die angelsächsischen Bezeichnungen entsprechen den deutschen nur näherungsweise. Die deutsche Vorstandsetage hat kein amerikanisches Pendant. Im angelsächsischen Raum gibt es nur das Board of Directors, das anders als bei uns, Vorstand und Aufsichtsrat zusammenfaßt. Zwar ist der Chief Executive Officer (US) bzw. Managing Director (UK) genauso wie der Vorstandsvorsitzende oberster Firmenlenker, aber zum Beispiel der Chief Information Officer hat einerseits Führungsverantwortung, andererseits aber nicht zwingend Organfunktion als Geschäftsführer oder Aufsichtsrat. Der angelsächsische Titel „Officer“ ist also keineswegs automatisch mit Vorstand oder Geschäftsführer gleichzusetzen.

Die Euphorie der Neuen Wirtschaft hat das Baisse-Jahr 2000 wohl vorerst ausgetrieben. Einige behaupten sogar, daß es so etwas wie eine New Economy nie gegeben hat. Ob alles nur fauler Zauber war, oder doch etwas von der schönen neuen Internet-Welt in Erfüllung geht, wird sich zeigen. Neu ist aber auf jeden Fall die Bodenständigkeit manch eines High Tech-Entrepreneurs: Auf der ein oder anderen Visitenkarte steht wieder ganz banal Geschäftsführer – nach Utopie kommt Realismus.

Die GoingPublic-Kolumne erscheint börsentäglich in Zusammenarbeit mit dpa-AFX.

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