Wenn man sich diese Beobachtung vergegenwärtigt, sollten zurücktretende CEOs am besten dazu gezwungen werden, ihre wahren Gründe offenzulegen. Anleger sollten gewohnheitsmäßig stutzig werden, wenn männliche Vorstandsvorsitzende im besten Alter unerwartet erklären, daß sie mehr Zeit mit der Familie verbringen wollen. So lobenswert dieser Vorsatz ist, so unglaubhaft ist die urplötzliche Erkenntnis eines inneren Erwachens und die Besinnung auf höhere immaterielle Werte in den meisten Fällen doch zugleich.

“Persönliche Gründe“ für den Rücktritt des Vorstandsvorsitzenden sind deshalb in der Regel meist genau das Gegenteil – nämlich handfeste berufliche Gründe. Die Übersetzung lautet: Hier wurde / ich habe Mist gebaut, aber ich bin derjenige, der jetzt geht.

Bestes Beispiel für einen Rücktritt aus dieser Kategorie ist das Ausscheiden von AOL-CEO Gerald Levin, der im Zuge des Zusammenschlusses mit Time-Warner in das neue Medien-Unternehmen einfusioniert und – offenbar nur als Pausenfüller – auf dem Posten des Vorstandsvorsitzenden inthronisiert wurde. Die Rücktrittsoffenbarung erfolgte im Dezember, die Bekanntgabe eines rekordverdächtigen Abschreibungsverlustes von 60 Mrd. US-$ dann im Januar. Dies übersteigt die bisherige Bestmarke von JDS Uniphase (50 Mrd. US-$) aus dem selben Jahr, weil das Unternehmen festgestellt hatte, daß man gleich zehn Gesellschaften zu Mondpreisen eingekauft hatte. Im übrigen erfolgte auch bei JDS im Vorfeld der Implosion ein Führungswechsel, den sich Außenstehende zum Zeitpunkt der Bekanntgabe nicht erklären konnten.

Nicht anders verhält sich auch am deutschen Wachstumssegment, dem Neuen Markt. Teleplan-Vorstandschef Edmund Krix kündigte im Sommer seinen Rücktritt an, aus familiären Gründen, wie es hieß. Bis Mitte letzten Jahres galt Teleplan als einer der letzten Blue Chips am Neuen Markt, ein Unternehmen, das seine Anleger noch nicht enttäuscht hatte und dies wohl auch nicht tun würde. Doch Fehlanzeige: Teleplan offenbarte in den Folgemonaten zwei scharfe Revisionen der Planzahlen, die die Aktien auf den Stand von Ende 1998 in die Vergangenheit katapultierten.

Ähnlich lief es bei der Kompression des Aktienkurses des Halbleiter-Brokers ACG. Die anfängliche Planzahlenkorrektur ging noch ohne personelle Konsequenzen über die Bühne. Der Rücktritt von CEO Peter Bohn im Sommer galt lange Zeit als unaufgeklärt. Heute weiß man, daß ACG alsbald die nächste Revision einräumen mußte und Bohn seinerseits eine „neue berufliche Tätigkeit“ anstrebte. Und zwar beim Konkurrenten ce Consumer Electronic, wo pikanterweise Gründervater Erich J. Lejeune seinerseits den Vorstandsposten vakant macht.

Unter dem Strich kann man Folgendes festhalten: Wenn eine schmerzhafte Unternehmensnachricht ansteht, droht dem Vorstandsvorsitzenden nicht zwangsläufig die Familienfreizeit. Umgekehrt aber, wenn CEOs von einem Tag auf den anderen von ihren familiären Instinkten gepackt werden, sollten Anleger in einen Zustand erhöhter Aufmerksamkeit umschalten.

Die GoingPublic Kolumne erscheint jeweils montags, mittwochs und freitags in Zusammenarbeit mit dpa-AFX.

Autor/Autorin