Biotechnologie – da denkt Ottonormalbürger zuerst an den Biologieunterricht in der Schule und wie war das doch gleich nochmal mit der DNA? Sie als Leser dieses Magazins denken an Fermentationen mit Hefen und Bakterien, an Enzyme und wie man die DNA verändern kann, damit alles etwas zügiger geht. Kurz: Alle denken an den „Bio“-Teil der Biotechnologie. Und was sehen Sie vor Ihrem inneren Auge? Schüttelkolben und vielleicht noch Laborbioreaktoren, wie sie in der ­Forschung verwendet werden. Wo aber bleibt der „Technologie“-Teil? Auf der ACHEMA können Sie ihn finden. Von Dr. Marlene Etschmann

Hefen und Bakterien brauchen zum Wachsen ein Zuhause und sie ­stellen hohe Ansprüche an ihren Lebensraum. Die ACHEMA bringt die Technologie in die Biotechnologie; dort stellen die Firmen aus, die eine Produktion im ­industriellen Maßstab überhaupt erst möglich machen.

Vitamin B2: besser ­biotechnologisch

Abb. 1: Riboflavin-Produktion – chemisch vs. biotechnologisch (Quelle: DECHEMA)

Haben Sie heute Morgen eine Multivitamin-Brausetablette in einem Glas Wasser versenkt? Falls ja, dann ist darin auch ein Milligramm Vitamin B2 oder Riboflavin aufgesprudelt, auf dass Ihre Haut geschmeidig und Ihr Haar glänzend bleibe. Außerdem verleiht das B-Vitamin dem ­gesunden Wasser seine sonnengelbe ­Farbe. Das Beispiel Riboflavin macht anschaulich, wie die industrielle Biotechnologie dazu beiträgt, Produktionsprozesse in der chemischen Industrie zu verändern. Zum Wohle der Umwelt, aber natürlich auch der Hersteller, denn die „grünen“ Prozesse haben immer nur dann eine Chance, wenn sie auch ökonomisch konkurrenzfähig sind. In den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts erstmals isoliert, wurde das ­Vitamin bis in die achtziger Jahre hinein mit einer achtstufigen chemischen Synthese hergestellt. Mit dem wachsenden Umweltbewusstsein der siebziger Jahre wurde versucht, Abfälle zu reduzieren, Schadstoffe möglichst zu vermeiden und das Abwasser zu reinigen. Wirklich sauber wurde die Herstellung aber erst durch die mikrobielle Herstellung mit dem Schimmelpilz Ashbya gossypii. Der Prozess ist so effizient, dass ein Teil des Produktes in hoher Reinheit schon im Reaktor auskristallisiert. Die Ökobilanz ist denn auch eindeutig: Der mikrobiologische Prozess schlägt den chemischen in allen Kriterien, mit Einsparungen von 30% für CO2-Emissionen bis hin zu 95% für die Abfallmengen. Konsequenterweise hat der Marktführer BASF die chemische Produktion 1996 eingestellt und setzt seither ganz auf die Biotechnologie. Konkurrent DSM produziert ebenfalls mikrobiologisch, allerdings mit dem Bakterium Bacillus subtilis.

Stille Helden der Biotechnologie

Bei der Vitaminproduktion im industriellen Maßstab hat man es mit Bioreaktoren mit einem Volumen von 100 m³ zu tun, doch wer baut die eigentlich? Zu finden sind die stillen Helden der Biotechnologie auf der ACHEMA in der Ausstellungs­gruppe Anlagenplanung, aber natürlich nicht nur dort. In der Gruppe finden sich Großkonzerne wie Bilfinger und die M+W group, aber auch Mittelständler wie Vogelbusch Biocommodities aus Österreich und die rheinische Heinrich Frings GmbH. Ihre Dienstleistung geht weit darüber ­hinaus, Stahlblech zu einem zylindrischen Behälter zu biegen. Ist es wirtschaftlicher, den Prozess mit Weizenstärke als Substrat zu betreiben oder mit Glukosesirup? Beim Pre-Engineering werden verschiedene Rohstoffe und Kapazitäten verglichen, die Investoren als Entscheidungsgrundlage dienen, aber auch für behördliche Genehmigungen wichtig sind. Bei der Detail­planung geht es dann ans Eingemachte der zukünftigen Anlage: Kein Rohr darf übersehen, keine Schweißnaht vernachlässigt werden. Die Steuerungstechnik muss bei biotechnologischen Prozessen besonders präzise funktionieren. Wenn die Temperatur nur wenige Grad Celsius vom Optimum abweicht und der pH-Wert nicht hundertprozentig stimmt, dann versagen Ashbya, Bacillus und Kollegen sehr schnell ihren Dienst. Spezialisten wie ­Finesse Solutions oder HiTec Zang liefern die passenden Lösungen für die Prozesssteuerung. Sobald die Mikroorganismen die Produktion beendet haben, geht es an die Produktaufarbeitung. Die kann gut und gerne die Hälfte der Gesamtkosten ausmachen, deshalb lohnt sich hier eine sorgfältige Planung besonders. Im Falle des Riboflavins ist die Aufarbeitung ­relativ simpel. Weil das Vitamin schlecht wasserlöslich ist, bildet es Kristalle, die einfach abzentrifugiert werden können, beispielsweise mit Geräten von Krettek oder Siebtechnik. Ebner und die Vibra Maschinenfabrik Schultheis liefern Kristallisationsanlagen, die nötig sind, um aus dem Roh-­Riboflavin ein hochreines Produkt für Pharma-Anwendungen zu machen. Für ein Multivitaminpräparat muss der Reinstoff noch zur Brausetablette formuliert und gepresst werden. Dass die sich auf Ihrem Frühstückstisch in exakt 30 ­Sekunden auflöst, ohne dass ein Bestandteil ausfällt, ist wiederum eine Kunst für sich. Was dazu an Technik nötig ist, können Sie ebenfalls auf der ACHEMA sehen.

Zur Autorin:

 

 

Dr. Marlene Etschmann ist Biotechnologin und Kommunikatorin, nicht unbedingt in dieser Reihenfolge, aber immer im Dienst der ACHEMA und ihrer Fokusthemen.

 

 

 


ACHEMA 2018

Das Fokusthema der ACHEMA 2018 „Biotech for Chemistry“ ist nicht auf den Technologie-Teil beschränkt, sondern geht vom Gen zum Prozess bis zum Produkt und lenkt den Blick auf diese zunehmende Integration von chemischen und biotechnologischen Verfahren.

Das Biotech-for-Chemistry-Piktogramm weist den Weg zu den stillen Helden der Biotechnologie auf der ACHEMA. An den Ständen, vor denen Sie diesen Aufkleber auf dem Boden sehen, lohnt es sich nachzufragen. Auch wenn die Exponate vielleicht keinen Hinweis darauf geben, so leistet dieses Unternehmen trotzdem einen Beitrag zur Herstellung biotechnologischer Produkte.

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