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Kerstin Reviol, Diplom-Psychologin, Fachliche Leitung Arbeitspsychologie, TÜV Süd Life Service GmbH

Im Kontext der Globalisierung, der demografischen Entwicklung, des Wandels der Arbeitswelt hin zu wissensintensiven Dienstleistungen und aktuellen gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen verspüren viele Arbeitnehmer einen wachsenden Leistungsdruck. Neue Technologien führen zu einer Informationsflut und fordern häufig eine ständige Verfüg- und Erreichbarkeit. Die Anforderungen an Mobilität und Flexibilität steigen.

Die Summe dieser Entwicklungen führt zu einem veränderten Krankheitspanorama in den Unternehmen. Zum einen passieren schwere oder tödliche Arbeitsunfälle in westlichen Ländern immer seltener und zum anderen nehmen die Fehlzeiten aufgrund psychischer Belastungen seit Jahren kontinuierlich zu.

Der finanzielle Schaden für Unternehmen ist enorm: Mit jedem Ausfalltag entstehen Kosten von durchschnittlich 400 EUR. Dazu gehören die direkten Ausfallkosten (Personalkosten) ebenso wie die Kosten zur Kompensation des Ausfalls (Überstunden, Leiharbeit), außerdem wurden zusätzliche Kosten (Qualitätsverlust, Verzögerungen, Auftragsausfälle) hinzugerechnet.

Psychische Belastungen auf dem Vormarsch

Fehltage wegen psychischer Erkrankungen sind laut AOK von 1996 bis 2007 um ganze 58% gestiegen. Laut dem BKK Gesundheitsreport 2011 haben sich die Arbeitsunfähigkeitstage bei psychischen Diagnosen von 1976 bis 2010 fast vervierfacht.

Im Jahr 2009 befragte TÜV SÜD erfahrene Arbeitsmediziner nach ihrer – subjektiven – Einschätzung zu psychischen Belastungen in mittelständischen Unternehmen. An der Erhebung beteiligten sich 28 Betriebsärzte, die mehrere hundert Unternehmen mit 20 bis 1.000 Beschäftigten betreuen.

Mehr als zwei Drittel der Befragten geben an, bereits mit psychischen Belastungsfaktoren in den Unternehmen konfrontiert worden zu sein. Am häufigsten klagen Arbeitnehmer dabei über steigenden Zeitdruck und damit einhergehend über zu enge Terminvorgaben, Konflikte mit Führungskräften oder Kollegen und Mobbing. Über 80% der befragten Ärzte sind der Meinung, dass psychische Störungen am Arbeitsplatz zunehmen – 15% sprechen sogar von einer stark zunehmenden Tendenz.

Im Vergleich dazu bleibt das Bewusstsein der Unternehmenslenker hinter dieser Entwicklung zurück. Denn nach Auffassung der Betriebsärzte haben zwei Drittel (67%) der Unternehmer nur ein schwaches Bewusstsein für psychische Belastungen und Erkrankungen in ihren Betrieben.

Psychische Erkrankungen müssten für Unternehmen aber besondere Relevanz haben, weil es sich meist um komplexe Erkrankungen mit langen Ausfallzeiten handelt, die gleichzeitig eine hohe Dunkelziffer mit sich bringen und Auswirkungen auf das gesamte Team haben.

Vor dem Hintergrund der Verschiebung hin zu komplexen psychischen Erkrankungen reichen Einzelmaßnahmen im Sinne der Arbeitssicherheit und Gesundheitsförderung auf lange Sicht nicht aus. Nur ein umfassender Ansatz im Sinne eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements schafft die Voraussetzung für gesunde Mitarbeiter und für wirtschaftlich gesunde Unternehmen. So wird sichergestellt, dass alle Funktionseinheiten und Ebenen eines Unternehmens umfasst und alle relevanten Aspekte und Prozesse berücksichtigt werden und aufeinander abgestimmt sind.

Qualitätskriterien eines BGM-Systems

Bei der Umsetzung eines BGM-Systems gibt es viele Erfolgsfaktoren, die den Erfolg eines Engagements entscheidend beeinflussen. Die drei wichtigsten Faktoren sind folgende:

  • Das wichtigste Kriterium ist das Bekenntnis der Unternehmensführung: BGM ist dann erfolgreich, wenn die Unternehmensführung es als wichtige Aufgabe erkennt und entsprechend behandelt.
  • Die Integration in ein vorhandenes Managementsystem. Damit wird gewährleistet, dass alle Funktionsebenen in einem Unternehmen und alle relevanten Prozesse berücksichtigt werden.
  • Die Partizipation der Mitarbeiter: Je mehr Mitarbeiter sich aktiv an der Gestaltung und Umsetzung eines BGM-Systems beteiligen, desto effektiver wirkt es.

Die konzeptionell saubere Umsetzung erfordert außerdem umfassendes Fachwissen über BGM, um es optimal an die Anforderungen eines Unternehmens anzupassen. Ein Dienstleistungsunternehmen hat dabei natürlich ganz andere Ansprüche als eine Firma aus der Produktion. Gerade aber die genaue Analyse der Anforderungen und die individuelle Umsetzung entscheiden über den Erfolg eines BGMs.

Nutzen BGM

Nach anfänglicher Zurückhaltung und vielen Vorurteilen setzt sich am Markt doch die Erkenntnis durch, dass ein wirksames BGM zahlreiche Vorteile mit sich bringt:

  • Niedrigerer Krankenstand und sinkende Abwesenheiten und damit geringere Kosten
  • Höhere Mitarbeitermotivation und ein verbessertes Betriebsklima
  • Größere Produktivität und Arbeitsqualität
  • Verringerte Fluktuationsrate
  • Positiver Return-On-Invest (ROI)
  • Unternehmen profitieren von einem Imagegewinn

Gerade für kleine und mittelständische Unternehmen bietet sich hier die Chance, sich zu profilieren. Im immer härter werdenden Kampf um qualifizierte Fachkräfte bietet die „Achillesferse Arbeitsbedingungen“ einen Ansatzpunkt, um sich gegen renommierte Großunternehmen zu behaupten.

Fazit

Das Thema BGM wird in Zukunft noch deutlich an Relevanz gewinnen. Wenn ein entsprechendes System erst einmal im Betrieb verankert ist, wird es zumeist als effektiv, effizient und unverzichtbar angesehen – und zwar unabhängig von der jeweiligen wirtschaftlichen Lage.

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