Braucht der „normale Mensch“ einen Computer? 1983 lautet die Antwort auf diese Frage: nein! Dennoch entsteht in dieser Zeit einer der erfolgreichsten internationalen IT-Infrastruktur-Dienstleister. Bechtle beschäftigt heute rund 6.000 Mitarbeiter an 65 Standorten in 14 europäischen Ländern. Das Familienunternehmen kommt zudem auf eine Marktkapitalisierung von knapp 800 Mio. EUR. Und alles begann mit einem Schokoriegel.

Im Jahr 1983 wendet sich Gerhard Schick an die Fachhochschule Heilbronn mit der Bitte, für Filmtheaterbetriebe in der Region ein Programm zur Verwaltung der Schokoladenriegelbestände zu entwickeln. Die bisherige Karteikartensammlung wird von einer neuartigen Software abgelöst, entwickelt von Ralf Klenk, Maschinenbaustudent und Computerfanatiker. Mit der Verwaltungssoftware ist die Idee geboren – allein der Name fehlt. Das Gründerteam wird kreativ: Klenk, Schick. Zu wenig regional, zu weit hinten im Alphabet. Ein schwäbischer Urtyp muss her: Hans-Joachim Bechtle, ein Mitarbeiter von Schick, wird zum Namenspaten und die Bechtle GmbH EDV-Technik nach ihm benannt.

Aufbruch ins digitale Zeitalter
Bechtle arbeitet mit Visionen. 1983 ist es die Vision, das aufkommende digitale Zeitalter maßgeblich mitzubestimmen. Hierfür spezialisiert sich das Unternehmen auf die Erstellung und Vermarktung von Berechnungssoftware im technischen Bereich sowie auf den Verkauf von Hardware. Die IT-Schmiede mausert sich zum regionalen Marktführer, 1985 wird Bechtle Vertragshändler von IBM. Das Portfolio wächst: Ende der 1980er Jahre ergänzen Installationen und Dienstleistungen im Bereich Computer Aided Design und Desktop Publishing das Programm, 1990 wird das Angebot um EDV-Beratung erweitert, 1991 legt der erste Bechtle-Katalog den Grundstein der Handelssparte „Bechtle direkt“, das Bechtle-Schulungszentrum wird eröffnet. In dieser Zeit erzielt das Unternehmen mit 80 Mitarbeitern einen Umsatz von knapp 21 Mio. DM.

Ende 1992 kündigen IBM und weitere große Kunden aus der Maschinenbau- und Automobilindustrie einen immensen Abbau von Arbeitsplätzen an. Auch Bechtle muss daraufhin 17 Mitarbeiter entlassen. Nach der personellen Schmälerung profitiert Bechtle vom Konkurs von Konkurrenten und beginnt mit überregionalen Akquisitionen. Das Unternehmen wächst wieder, startet erste Schritte auf internationalem Boden. Standorte in der Schweiz sowie in Großbritannien kommen hinzu. Die weitere Expansion soll durch frisches Kapital sichergestellt werden – das inhabergeführte Unternehmen zieht es an die Börse.

Börsengang
Bereits im Jahr 1993 wird die „Vision 2000“ verabschiedet: Bis zum Jahrtausendwechsel sollen 100 Mio. DM Umsatz generiert und der Gang aufs Börsenparkett gemeistert werden. Beides gelingt problemlos, das Umsatzziel wird siebenfach übertroffen, die Aktie ist beim IPO am 30. März 2000 zwölffach überzeichnet. Das Unternehmen profitiert vom Hype am Neuen Markt. „Die Entwicklung, die Bechtle vor allem in den letzten zehn Jahren genommen hat, wäre ohne den Börsengang im Jahr 2000 zwar nicht unmöglich, aber sicherlich um einiges schwieriger zu realisieren gewesen“, bestätigt Dr. Thomas Olemotz, seit Juni 2010 Vorstandsvorsitzender. Zum Ausgabekurs von 27 EUR erwirbt die Gründerfamilie Schick 32,6% der Aktien, heute hält sie rund 35%.

Wachstumsschübe
Der Emissionserlös ermöglicht Gründungen in Frankreich und Belgien sowie im deutschsprachigen Raum. „Bechtle ist ein Unternehmen, das dezentral aufgestellt ist, schnelle und pragmatische Entscheidungsstrukturen hat und über starke gemeinsame Werte verfügt. Eine Basis, die wir im nationalen wie internationalen Kontext leben und die uns von den beiden Gründern gewissermaßen aus der Zeit des klassischen Familienunternehmens in die Wiege gelegt wurde“, beschreibt Olemotz den Erfolg der Expansionsstrategie. Mit dem Erwerb der Aktien der PSB AG soll im September 2003 die Flächendeckung in Deutschland vervollständigt und das Netz der Servicetechniker ausgebaut werden. Seit dem Squeeze-out im August 2008 gehört das zehntgrößte Systemhaus im deutschen Markt komplett zu Bechtle.

Währenddessen geht das Wachstum weiter. 2004 knackt das IT-Unternehmen die Umsatzmarke von 1 Mrd. EUR. Die Bechtle-Aktie wird im selben Jahr in den TecDAX aufgenommen. Die Unternehmenszentrale zieht nach Neckarsulm und mit der Übernahme der Schweizer ARP-Datacon-Gruppe, einem der größten europäischen IT-E-Commerce-Anbieter, beginnt Bechtle eine Mehrmarkenstrategie im Direktgeschäft. „Die Liquidität, die dem Unternehmen aus dem Börsengang zugeflossen ist, hat es uns ermöglicht, nicht nur schneller als der Markt zu wachsen, sondern auch die Branchenkonsolidierung aktiv mitzugestalten“, erklärt Olemotz.

Vision 2020
2008 zieht sich Klenk aus dem operativen Geschäft zurück. Kurz darauf wird Bechtle von der Wirtschaftskrise getroffen. Doch trotz rückläufiger Umsatz- und Mitarbeiterzahlen hält der IT-Dienstleister an seiner Wachstumsstrategie fest: „Wir haben uns als Unternehmen mit unserer Vision 2020 ambitionierte Ziele gesetzt. Sie sieht einen Umsatz von 5 Mrd. EUR und 10.000 Mitarbeiter vor“, verdeutlicht Olemotz. Die aktuellen Geschäftszahlen zeigen jedoch die Problematik dieser hochgesteckten Ziele. Der starke Personalaufbau im Jahr 2012 um rund 500 Mitarbeiter äußert sich im ersten Quartal 2013 auf der Ergebnisebene des Unternehmens: Trotz eines Umsatzanstiegs um gut 5% ging das EBIT um 16% auf 14,5 Mio. EUR zurück und wird voraussichtlich auch im zweiten Quartal noch unter dem Vorjahreswert liegen.

Ausblick
Für das Gesamtjahr geht Bechtle dennoch sowohl von einem Umsatzanstieg wie auch von einer Verbesserung auf der Ergebnisebene aus. Und mit der Vision 2020 blickt Bechtle optimistisch in die Zukunft. „Wir gehen fest davon aus, dass uns die Familie Schick als verlässlicher Ankeraktionär auch auf unserem Weg durch die nächsten 30 Jahre Erfolgsgeschichte begleitet“, bestätigt Olemotz.

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