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Seit dem Inkrafttreten der Shareholder Rights Directive II (SRD II) am 3. September 2020 ist mehr als ein Jahr vergangen. Ziel der Gesetzgeber auf nationaler und europäischer Ebene war unter anderem, mehr Transparenz für Emittenten durch die neuen Regeln zur Aktionärsidentifikation zu schaffen sowie die Ausübung der Aktionärsrechte vor allem grenzüberschreitend zu erleichtern.

Einheitliche, verständliche Formate wie auch deren automatisierte digitale Übermittlung und Verarbeitung waren und sind klarer Regelungszweck der Neufassung. Brüssel und Berlin sind davon ausgegangen, dass diese Vorgaben fristgerecht umgesetzt und am 3. September 2020 die technischen Voraussetzungen vorhanden wären. Die Idee hinter der Durchführungsverordnung (DFVO) ist, dass Medienbrüche vermieden werden und die Datenübermittlung durchgehend digital auf der Basis des „Straight-Through Processing“ (STP) erfolgt. Voraussetzung für das STP ist ein einheitliches Datenformat. Das bis dato verwendete ISO 15022 sollte durch das neue Format ISO 20022 ersetzt werden. So weit zur Theorie.

In der Praxis, also der Umsetzungsphase, stellten Intermediäre und Emittenten allerdings einige Lücken fest, die nicht auf die Schnelle zu beheben waren.

Internationalität birgt Zielkonflikte

Internationale Intermediäre benötigen die vollständige Übermittlung der Mitteilung über die Hauptversammlung (Tabelle drei) inklusive aller Tagesordnungspunkte (Abschnitt E) – dies steht im Widerspruch zur gesetzlich ausreichenden Übermittlung der Abschnitte A bis C. Computershare hat sich daher frühzeitig entschlossen, den Abschnitt E zum festen Bestandteil der Kommunikation zu machen und damit den Nutzwert für die internationalen Intermediäre zu erhöhen, ja überhaupt erst herzustellen. Ein nun vor seiner Lösung stehendes Problem stellte im internationalen Kontext auch das Format der Nachrichten dar, das bisher keine Zweisprachigkeit unterstützte. Wissend, dass die Empfänger Englisch bevorzugen würden, hat man zumeist in der aktienrechtlich bindenden Sprache auf Deutsch kommuniziert.

Dieser Zielkonflikt wurde aber erkannt und nachgebessert; nun ist auch die Zweisprachigkeit hergestellt. Zu guter Letzt passt das ISO-Format in Abschnitt F auch nicht zu den deutschen Marktgepflogenheiten für die verschiedenen und zu unterschiedlichen Zeitpunkten befristeten Kommunikationswege für die Vollmachts- und Weisungserteilung. Dies führt dazu, dass die Einladung nicht vollständig in der bestehenden Tabelle drei abgebildet werden kann.

„Die Digitalisierung benötigt einheitliche Datenformate, doch ob und wann diese zur Verfügung stehen werden, ist aktuell völlig unklar.“

Unternehmen, Intermediäre und Dienstleiter hatten statt der eigentlich zur Prozessvereinfachung gedachten Kommunikationsform in der abgelaufenen HV-Saison erheblichen Mehraufwand. Die Anzahl der Schnittstellen und Formate, übrigens nicht nur betreffend die Tabelle drei, hat zu- und nicht abgenommen. Apropos alles digital: ARUG II bietet nun die gute Gelegenheit, das Telefax als Übermittlungskanal aus der HV-Einladung zu verbannen, denn die Übermittlung von Aktionärsdaten per Fax ist weder elektronisch verarbeitbar noch entspricht sie den datenschutztechnischen Ansprüchen unserer Zeit.

ISO 20022 als Voraussetzung für eine erfolgreiche ARUG-II Implementierung

Die „Neue Welt“ der ISO 20022 sollte bereits bei Inkrafttreten des ARUG II zur Verfügung stehen. Hier spielen die Zentralverwahrer (Central Securities Depositories, CSDs) eine wichtige Rolle. Clearstream hatte ursprünglich angekündigt, das Format im Herbst 2021 zu unterstützen. Im Oktober 2021 wurde der Termin nochmals ohne konkrete Zeitvorgabe verschoben. Vermutlich auch, weil zu wenige Marktteilnehmer bereits zur Nutzung in der Lage waren. Die Digitalisierung benötigt einheitliche Datenformate, doch ob und wann diese zur Verfügung stehen werden, ist aktuell völlig unklar.

HV-Einladungsversand nur noch elektronisch?

Die rechtliche Voraussetzung, nur noch elektronisch zur Hauptversammlung einzuladen, bestand theoretisch schon vor ARUG II, wurde aber aus unterschiedlichen Gründen nicht genutzt. Ein Ziel des ARUG II ist die stärkere Digitalisierung, und in der HV-Saison 2021 gab es anfangs bereits erste Schritte in diese Richtung. Ab dem zweiten Quartal nahm der Trend hin zur ausschließlichen Bereitstellung der Einberufung auf der Homepage deutlich zu und er dürfte sich 2022 zum Standard entwickeln.

Vor diesem Hintergrund sind die Wertpapiermitteilungen, die hauptsächlich zur Ermittlung der Druckauflage dienten, entbehrlich geworden. Allenfalls aus Servicegründen für inländische Banken wird der eine oder andere Emittent diese weiter aufrechterhalten. Eine (zusätzliche) Wiedergabe der Tabelle-drei-Informationen in den Wertpapiermitteilungen würde das Digitalisierungsstreben ad absurdum führen.

„Die neue digitale HV-Welt ist doch in der Gesamtheit ihrer Details komplexer, als es viele Marktteilnehmer erwartet haben.“

Zur nächsten HV-Saison stellt sich eine weitere „analoge“ Herausforderung: Die aktuelle Papierknappheit wird wohl weiter andauern. Da in Deutschland verglichen mit anderen europäischen Ländern am wenigsten für Papier gezahlt wurde und wird, bekommen deutsche Kunden dies nun besonders deutlich zu spüren. Die Papierhersteller beliefern die Länder mit den höchsten Papierpreisen bevorzugt. Aktuell planen sie keine Aufstockung der Kapazitäten. Hauptgrund für die Verknappung ist die Stilllegung zweier großer Papierfabriken.

Auch dies spricht dafür, auf die gedruckte HV-Einladung zu verzichten sowie den Umfang der Anmeldeunterlagen möglichst zu reduzieren. Der Verzicht auf Rückkuverts hätte sogar noch den Nebeneffekt, digitale Kommunikation zu befördern, verbunden mit der Chance auf eine niedrigere Portostufe.

Übermittlung der E-Mail-Adresse durch die Verwahrbanken

Wenn man bedenkt, dass z.B. bei einer großen Namensaktiengesellschaft selbst bei einer schlanken Einladung mal eben 50 Tonnen Papier benötigt werden, stellt sich die Frage, warum die E-Mail-Adressen, soweit bei den Banken vorhanden, nur lückenhaft an die Registerführer gemeldet werden. Wenn die Emittenten nach den Ursachen fragen, erhalten sie unterschiedliche Antworten.

Auffällig ist, dass bei Registern von Spin-offs deutlich mehr E-Mail-Adressen übermittelt werden als bei „Altregistern“. Diese Tatsache legt nahe, dass weit mehr Daten vorhanden sind, als gemeldet werden. Für die Meldung der E-Mail-Adresse fallen die üblichen Bank- und Clearstream-Gebühren an; diese haben sich aber schnell amortisiert. Die Steigerungsmöglichkeit der Digitalisierung hängt also nicht nur von der Einführung von ISO 20022 ab.

Aktionärsidentifikation – „Know your Shareholder“

Auch Offenlegungen nach ARUG zeigen, dass mehr E-Mail-Adressen von Privataktionären vorhanden sind, als gemeldet werden. Und nicht nur E-Mail-Adressen, sondern auch der Legal Entity Identifier (LEI), der wohl wesentlich häufiger in den Stammdaten geführt als gemeldet wird. Die Auskunftsverlangen liefern nach Anlaufschwierigkeiten mittlerweile ausgezeichnete Ergebnisse. Während man anfänglich teilweise weniger als 60% der Endaktionäre zurückgemeldet bekam, werden mittlerweile im Schnitt mehr als 85% der Endaktionäre identifiziert. Auch Banken aus Nicht-EU-Ländern legen Aktionäre offen. Rückmeldungen kommen auch aus Ländern wie Russland und China.

Kostenerstattung bei Inhaberaktien

Die Abrechnungen der Depotbanken bei Inhaberaktien überraschten auch einige Emittenten. Die Rechnungen sollten durch den Wegfall der HV-Broschüre und eine zu erwartende Zunahme des elektronischen Versands eigentlich geringer ausfallen. Dies war nicht immer der Fall. Auffällig waren auch die Gebührenrechnungen einiger ausländischer Banken. Diese sind oft schwer nachvollziehbar, da die Abrechnung auf der Basis-Gebührenordnung der jeweiligen Länder erfolgt. Eine Kontrolle der Rechnung aufgrund vorher eingereichter Bankenanforderung ist auch nicht mehr möglich. Der Grund ist, dass viele große Depotbanken auf eine formelle Anforderung verzichten und sich die Unterlagen dort holen, wo sie in der neuen HV-Welt aufzufinden sind: der Website der Emittenten.

Fazit

Die neue digitale HV-Welt ist doch in der Gesamtheit ihrer Details komplexer, als es viele Marktteilnehmer erwartet haben. Die Anfänge sind gemacht, Medienbrüche werden uns aber wohl noch länger begleiten.

Autor/Autorin

Ingo Wolfarth

Ingo Wolfarth ist Key Account Manager und Senior Consultant bei Computershare Deutschland.

Ralf Pickert

Ralf Pickert ist Key Account Manager bei Computershare Deutschland.