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Plant ein in Deutschland ansässiges Unternehmen eine Notierungsaufnahme an einem der US-Börsenplätze, gibt es im Wesentlichen zwei Wege zur Umsetzung.

Die erste Möglichkeit ist, das Listing indirekt über eine ausländische Holding zu organisieren, d.h. in der Praxis häufig über eine niederländische NV oder über eine luxemburgische SA. Beide Rechtsformen erlauben es, ihre Aktien direkt an den US-Börsen notieren zu lassen. Jüngere Beispiele hierfür sind die Sono Group oder ATAI Life Sciences, die ihre Börseneinführungen an der NASDAQ über eine niederländische N.V. vollzogen haben.

Die Alternative dazu ermöglicht das US-Listing direkt über eine in Deutschland börsenfähige Rechtsform (AG, SE oder eine KGaA-Struktur). Da aus juristischen und abwicklungstechnischen Gründen eine US-Notierungsaufnahme von Aktien einer deutschen Rechtsform aber nur schwerlich möglich ist1 , werden als Ersatzinstrument „American Depositary Shares“ (ADS) zugelassen. ADS sind auf US-Dollar lautende, von US-Depotbanken in den USA ausgegebene Hinterlegungsscheine, die eine bestimmte Anzahl hinterlegter Aktien eines ausländischen Unternehmens verkörpern und nach US-Marktkonventionen gehandelt, abgerechnet und abgewickelt werden können. Als Beispiele aus dem Jahr 2021 können Mynaric AG oder Evotec SE genannt werden. Beide haben ihr Zweitlisting an der NASDAQ über ADSs vorgenommen.

Lesen Sie hier den Artikel „2021: Ein vielseitiges IPO-Jahr“ von Prof. Dr. Wolfgang Blättchen & Uwe Nespethal.

ADSs verbriefen somit hinterlegte Aktien. Für die Hinterlegung der ADSs, den Umtausch mit Aktien, das regemäßige Reporting, die Erfüllung typischer Zahlstellenaufgaben (Dividendenzahlungen, Steuerabrechnung, Bezugsrechte) oder die Weiterleitung von Anlegerinformationen (z.B. Einladungsdokumente zur Hauptversammlung, Stimmenabgaben) muss eine darauf zugelassene US-Depotbank, die zugleich als Verwahrstelle fungiert, eingeschaltet werden. Die beauftragte Verwahrstelle wird Inhaber der über die ADSs verbrieften Aktien und somit juristisch gesehen der eigentliche Aktionär des Emittenten. Dagegen erhält ein ADS-Inhaber nur Rechte als ADS-Inhaber. Um ihm die Aktionärsrechte zu ermöglichen, wird zwischen der Verwahrstelle und dem Emittenten ein Hinterlegungsvertrag abgeschlossen.

Aus dieser Konstellation ergeben sich in der Praxis oftmals Einschränkungen für ADS-Inhaber, die nicht über ein US-Wertpapierdepot verfügen, der Regelfall unter deutschen Anlegern. Insbesondere entstehen Probleme bei der Umsetzung von Aktionärsrechten auf Hauptversammlungen (Stimmenabgabe, Auskunftsrechte), da die dafür erforderlichen Unterlagen gar nicht oder nicht rechtzeitig von der US-Verwahrstelle mangels Zugangs zu ausländischen Depots an die ADS-Inhaber weitergeleitet werden. Dies führt dazu, dass dem Nicht-US-ADS-Inhaber faktisch das Stimmrecht entzogen wird und das Papier für den Emittenten allenfalls als deutsche „Vorzugsaktie“ für diese Aktionärsgruppe interpretiert werden kann. Das gleiche Abwicklungsproblem tritt bei Bezugsrechtskapitalerhöhungen auf, mit der Folge, dass die Bezugsquote aus der Gruppe von ADS-Inhabern gegen Null geht. Für Emittenten mit einer hohen Anzahl von Nicht-US-ADS-Inhabern kann das entscheidend für strategische Abstimmungsfragen auf Hauptversammlungen oder in der Organisation von Kapitalmaßnahmen (bspw. „back-stop“ Strategien) sein. Weniger problematisch, da nicht zeitkritisch, ist die Auszahlung von Dividenden. Dieses „Grundrecht“ wird für alle ADS-Inhaber sichergestellt, jedoch haben sie die zusätzlichen Kosten von bis zu 0,05 USD je ADS zu tragen. Ein ADS-Inhaber hat das Recht, jederzeit das Papier in Aktien umwandeln und ausliefern zu lassen. Dieser Umtausch ist vor allem für Privatanleger keine reale Option, da zum einen hohe Kosten anfallen können und zum anderen die erhaltenen Aktien (sofern sie nicht an einer Börse zugelassen sind und gehandelt werden) nicht fungibel sind.

Die bekannteste ADS Notierung ist die BioNTech SE, die zwar nur an der NASDAQ gelistet ist, aber einen erheblichen Privatanlegerkreis über die deutschen Regionalbörsen adressiert. In den ersten drei Monaten dieses Jahres lag der durchschnittliche deutsche Anteil am gesamten täglichen Handelsvolumen bei rd. 30%2 . Mit dem Instrument werden eine deutsche Rechtsform und der besonders attraktive US-amerikanische Kapitalmarkt verbunden. Aus Sicht des Anlegers ist es wünschenswert, ebenfalls im Heimatmarkt eine Aktiennotierung zu haben.

1Deutsche Bank AG hat dafür aufwendige „Global Registered Shares“ eingerichtet
2Quelle: lt. Refinitiv Datenbank

Autor/Autorin

Prof. Dr. Wolfgang Blättchen

Prof. Dr. Wolfgang Blättchen ist geschäftsführender Gesellschafter der BLÄTTCHEN FINANCIAL ADVISORY GmbH und seit drei Jahrzehnten als unabhängiger Berater für Kapitalmarktstrategien aktiv. In dieser Zeit konnte er über 100 Pre-IPOs, IPOs und Follow-on-Mandate begleiten. Er ist aktives Mitglied in Aufsichts- und Beiräten sowie Ansprechpartner der Börsen.

Uwe Nespethal

Uwe Nespethal ist ebenfalls geschäftsführender Gesellschafter der BLÄTTCHEN FINANCIAL ADVISORY GmbH und seit über 20 Jahren als unabhängiger Berater in Kapitalmarktstrategien sowie in der Auflegung von kapitalmarktorientierten Incentivierungsprogrammen für Führungskräfte und Mitarbeiter tätig.