Acousia Therapeutics hat eine Folgefinanzierung von zehn Mio. EUR verkündet, um damit Medikamente zur Behandlung von Schwerhörigkeit weiterzuentwickeln. Die Tübinger Forscher haben Medikamentenkandidaten identifiziert, die die Haarsinneszellen im Ohr so stimulieren können, dass sie vor Schäden geschützt werden. Gleichzeitig wird ihre sensorische Empfindlichkeit erhöht. Damit gehört Acousia zu den wenigen Teams weltweit, die pharmazeutische Therapien zur Behandlung von Erkrankungen des Innenohrs entwickeln. Neben den bisherigen Investoren beteiligen sich nun, unter Führung der Venture Capital Tochter der Landesbank Baden-Württemberg LBBW Venture, die Creathor Ventures sowie die Bregua Corporation. Die Venture Capital Tochter von Boehringer Ingelheim ist als Gründungsinvestor und Gesellschafter ebenso an der Finanzierungsrunde beteiligt wie die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Die neuen Mittel ermöglichen, erste Testungen der Arzneimittelkandidaten am Patienten in den nächsten Jahren voranzutreiben.

Noch immer keine anerkannte medikamentöse Therapie

Wer etwas nicht richtig versteht, gehört vielleicht zu den 15% der Bevölkerung in Industrienationen, die unter leichter bis mittelgradiger Schwerhörigkeit leiden. Umso erstaunlicher ist, dass es für eine so weit verbreitete Sinneserkrankung noch immer keine anerkannte medikamentöse Therapie gibt. Eine geringgradige Schwerhörigkeit beginnt bereits bei einer Abweichung von der Normalhörigkeit von mehr als 26 Dezibel. Ab 41 bis 60 Dezibel Hörschwellenverlust können Patienten einem Gespräch nur noch mit Mühe oder gar nicht mehr folgen und erhalten in der Regel ein Hörgerät oder, bei hochgradiger Schwerhörigkeit (ab 61 bis 80 Dezibel) und Taubheit (ab 81 Dezibel), ein sogenanntes Cochlea-Implantat. Aber den vielen Menschen, allein in Deutschland etwa zwölf Mio., die im Laufe ihres Lebens immer weniger hören, kann noch nicht wirksam mit einem Medikament geholfen werden.

Gründung aus der Wissenschaft

Damit wollte sich ein Forscherteam um Prof. Dr. Hubert Löwenheim, Ärztlicher Direktor der Universitätsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde in Tübingen, nicht abfinden. Im Jahr 2012 gründeten Prof. Löwenheim und Kollegen gemeinsam mit dem Boehringer Ingelheim Venture Fund (BIVF) und dem Tübinger Biotechunternehmen EMC microcollections GmbH die Acousia Therapeutics GmbH, um eine medikamentöse Behandlung von Erkrankungen des Innenohrs zu entwickeln. Acousia arbeitet dabei im Rahmen eines Dienstleistungsvertrages eng mit der Uniklinik zusammen.

Hörschnecke im Mittelpunkt der Forschung

Im Mittelpunkt der Forschung bei Acousia steht die sogenannte Hörschnecke. Dieser winzige schneckenförmige Hohlraum im Ohr ist mit einer Membran ausgekleidet, die mit Haarsinneszellen bedeckt ist. Diese Sinneszellen sind für die Reizweiterleitung und damit für das Hören unbedingt notwendig. Sind sie zerstört, wachsen sie bei Säugetieren, anders als bei Vögeln, nicht wieder nach. Durch Lärm, giftige Substanzen, wie sie beispielsweise im Rahmen einer Chemotherapie eingesetzt werden, durch Entzündungen oder Alterungsprozesse fallen geschädigte Haarsinneszellen bisher unwiederbringlich aus.

Das Team von Acousia hat eine Anzahl pharmazeutischer Substanzen identifiziert, die verbliebene Sinneszellen so stimulieren, dass sie vor Schaden geschützt werden und die Empfindlichkeit erhöht wird. „Sollte die weitere Entwicklung erfolgreich sein, können die Substanzen als Medikament im Vorfeld bestimmter, Gehör schädigenden, Chemotherapien Patienten verabreicht werden, und so helfen, eine Gehörschädigung zu minimieren“, erklärt Dr. Christoph Antz, der seit 2017 die Acousia Therapeutic als Geschäftsführer leitet. „Der medizinische Bedarf ist schon jetzt enorm, und wir erwarten im Zuge der demografischen Entwicklung eine weitere Zunahme.“

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