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Am 27. Dezember 2022 hat die Europäische Union eine neue Richtlinie „zur Gewährleistung einer ausgewogenen Vertretung von Frauen und Männern unter den Direktoren börsennotierter Gesellschaften“ beschlossen, mit der die Gleichberechtigung von Frauen europaweit gestärkt werden soll. Das Ziel der Richtlinie, die bis 28. Dezember 2024 in nationales Recht umgesetzt werden muss, ist klar: Es soll mehr Frauen in Führungspositionen geben. Der Weg dahin könnte sich jedoch auch für Unternehmen in Deutschland noch länger ziehen. 

Die Führungspositionen-Richtlinie sieht u.a. zwei Umsetzungsvarianten für Frauenquoten vor, zwischen denen die Mitgliedstaaten wählen können: Sie sollen für Regelungen sorgen, die sicherstellen, dass in börsennotierten Gesellschaften entweder 40% der Aufsichtsratspositionen oder aber 33% der Positionen sowohl des Aufsichtsrats als auch des Vorstands an das sogenannte unterrepräsentierte Geschlecht zu vergeben sind. Faktisch meint das in allen Ländern der Europäischen Union Frauen. Die von den Mitgliedstaaten zu ergreifenden Maßnahmen sollen diese Ziele bis zum 30. Juni 2026 erreichen.

Transparente Auswahlverfahren und Berichtspflichten

Unternehmen, die die neuen europäischen Quotenvorgaben nicht erfüllen, sollen transparente Auswahlverfahren zur Besetzung einführen müssen. Diese Verfahren sollen insbesondere klare Auswahlkriterien wie Erfahrung mit Management- oder Aufsichtsaufgaben, internationale Erfahrung, Interdisziplinarität, Leitungsqualitäten, Kommunikationsfähigkeit und einschlägige Kenntnisse im Bereich Finanzen, Finanzaufsicht oder Personalverwaltung vorsehen.

Zudem sollen die Unternehmen den zuständigen Behörden jährlich Bericht über den Anteil von Frauen und Männern in ihren Leitungsorganen erstatten. Dies umfasst auch Maßnahmen zur Erreichung der Quotenvorgaben. Die Angaben sind in der Erklärung zur Unternehmensführung aufzunehmen und auf der Website zu veröffentlichen.

Nach wie vor geringer Anteil von Frauen in Führungspositionen

Hintergrund für die neue Richtlinie ist, dass aus Sicht der EU nach wie vor zu wenig Frauen in Leitungspositionen tätig sind. Dabei bestehen erhebliche Unterschiede: Während in Lettland, Polen und Schweden fast die Hälfte der Führungspositionen von Frauen besetzt sind, liegt der Frauenanteil etwa in Luxemburg und den Niederlanden nur bei knapp über 20%. Auch Deutschland liegt nur etwa im unteren Drittel der betrachteten Mitgliedstaaten.

Quelle: Eurostat

Langwieriger Weg zur politischen Einigung

Bemerkenswert ist, dass die jetzt beschlossene Richtlinie bereits im Jahr 2012 im Europäischen Parlament behandelt wurde. Über ein Jahrzehnt fand sie jedoch nicht die erforderliche Mehrheit – nicht zuletzt, weil sich u.a. Deutschland mit der damals zuständigen Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen maßgeblich gegen die Richtlinie ausgesprochen hatte. Umso überraschender scheint es, dass die Führungspositionen-Richtlinie nun von der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wieder aufgegriffen wurde – und diesmal auch eine Einigung im Rat der Europäischen Union herbeigeführt werden konnte.

Wirkung in Deutschland: Viel Lärm um nichts?

Laut Ex-Bundesfrauenministerin Anne Spiegel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ist die Richtlinie ein „Meilenstein für die Gleichberechtigung in Europa“. Allerdings ist noch nicht klar, welche Auswirkungen sich gerade in Deutschland ergeben werden.

Brisanter als die eigentlichen Ziele der Richtlinie könnte dabei die in ihr enthaltene Ausnahmeregelung sein: Länder, die durch den Erlass nationaler Regelungen bereits (mehr oder weniger erfolgreich) einen Beitrag zur Gleichberechtigung geleistet haben, müssen die Quotenvorgaben sowie die Regelungen zum Auswahlverfahren nicht in nationales Recht umsetzen, sodass es auch für die Unternehmen insofern keiner Einhaltung bedarf. Nach Ansicht der Bundesregierung trifft dies auch für Deutschland zu. Doch welche Maßnahmen wurden bisher in Deutschland ergriffen?

Aktuelle deutsche Rechtslage

2015 wurde in Deutschland erstmals eine Frauenquote mit dem sogenannten Gesetz zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst (FüPoG) verabschiedet. Sechs ­Jahre später wurde in Deutschland das FüPoG II verabschiedet, weil die Politik mit der Geschwindigkeit der voranschreitenden Gleichberechtigung von Frauen nicht zufrieden war.

Seit dem FüPoG II unterliegt die nicht selten festgesetzte Zielgröße von null für den Frauenanteil einem Begründungszwang. Zugleich wurde auch ein Mindestbeteiligungsgebot von einer Frau im Vorstand von bestimmten Gesellschaften vorgesehen. Ernennungen von Vorstandsmitgliedern, die gegen diese Quote verstoßen, sind nichtig. Jedoch ist der Anwendungsbereich dieser Vorgabe für den Vorstand denkbar gering: Umgesetzt werden muss sie nur in Unternehmen, die sowohl börsennotiert als auch paritätisch mitbestimmt sind und deren Vorstand aus mindestens vier Personen besteht.

Diese besonders strengen Voraussetzungen trafen in Deutschland zum Zeitpunkt der Verabschiedung des FüPoG II nur 66 Unternehmen – von denen wiederum lediglich 21 noch keine Frau im Vorstand hatten. Soweit Unternehmen börsennotiert und paritätisch mitbestimmt sind, gilt für den Aufsichtsrat weiterhin eine fixe Geschlechterquote von 30%. Unternehmen, die aber nur entweder börsennotiert oder aber mitbestimmt sind, müssen nur selbst festzulegende Zielgrößen für den Anteil von Frauen vorgeben. Eine Missachtung der Zielgröße berührt die Wirksamkeit der Bestellung nicht. Solche Zielgrößen müssen in Deutschland auch bereits seit 2015 für die beiden Führungsebenen unterhalb des Leitungsorgans festgelegt werden.

Fazit

Abschließend bleibt daher offen, ob die Richtlinie auch in Deutschland – oder, soweit sich auch weitere Mitgliedstaaten mit entsprechenden nationalen Regelungen auf die Ausnahmeklausel berufen, sogar in wesentlichen Teilen von Europa – tatsächlich einen „Meilenstein“ darstellt. Mit Blick auf das ursprüngliche Ziel des Richtliniengebers, dass der Aufsichtsrat einer Gesellschaft zu 40% oder aber Vorstand und Aufsichtsrat insgesamt zu 33% aus Frauen bestehen sollen, scheint die „Ausnahmeklausel“ schon eher ein „Schlupfloch“ zu sein. Auch scheint fraglich, ob die bestehenden Regelungen in Deutschland wirklich bereits die neuen europäischen Vorgaben für die Quoten erfüllen.

Autor/Autorin

Dr. Katharina Stüber

Dr. Katharina Stüber ist Partnerin bei Baker McKenzie, Frankfurt am Main, im Bereich Corporate/M&A. Sie berät insbesondere börsennotierte Gesellschaften zum Aktien- und Kapitalmarktrecht, zur Corporate Governance und zum Konzernrecht.