Mit AUSTRIACARD HOLDINGS und der EuroTeleSites sind gleich zwei neue Titel in den primemarket gekommen. Im Anleihenbereich setzt sich der starke Wachstumskurs fort. Deutlich mehr Listings verzeichnen auch grüne Bonds. 

Zu Herbstbeginn klingelte gleich die Börsenglocke in Wien für einen vielbeachteten Newcomer: Die abgespaltene Funkturmschwester der Telekom Austria ging am 22. September an die Börse. Die ­Aktien der neuen Infrastrukturgesellschaft Euro­TeleSites notieren im prime market. Der ­Referenzpreis wurde auf 4,95 EUR festgelegt. Beim IPO betrug die Marktkapitalisierung rund 716 Mio. EUR. Die Abspaltung ­befreite den Konzern auf einen Schlag von 1 Mrd. EUR Schulden, die auf EuroTeleSites übertragen wurden. Seit dem 18. September ist Telekom Austria auch im ­Nationalindex ATX vertreten, der die 20 größten und meistgehandelten börsen­notierten Titel abbildet.

ATX mit Seitwärtsbewegung

Der Leitindex der Wiener Börse ATX verbesserte sich seit Jahres­beginn allerdings kaum und ist weit vom Höchststand im ­Oktober 2007 entfernt. Die im ersten Quartal aufgetretenen Unsicherheiten im Bankensektor wirkten sich negativ aus. Aber auch die allgemein eingetrübte Konjunkturlage hinterlässt am Aktienmarkt europaweit ihre ­Spuren. Seit März pendelt der ATX (ohne ­Dividenden) in einem engen Korridor ­zwischen 3.000 und 3.250 Punkten. Etwas besser verhält es sich, wenn man statt des Kurs­index analog zum DAX den Per­for­mance-­Index ATX Total Return Index (also inklusive Dividenden) ansieht. Im Jahresverlauf gewann der ATX TR immerhin 6,2% und beendete den September mit 7.006,02 Punkten.

Stärkere Schwankungen

Schwankungen machen sich im 20 Werte umfassenden ATX stärker bemerkbar als im breiter aufgestellten DAX-40. Dafür sorgt auch die starke Gewichtung der Finanzbranche und Energiekonzernen.

So ist der ATX historisch günstig bewertet, mit einem von der Erste Group Bank geschätzten Kurs-­Gewinn-Verhältnis (KGV) von 7,4 für dieses Jahr. „Selbst unter der Annahme ­eines Liqui­ditäts­abschlags ist der Markt attraktiv bewertet“, urteilt Erste-Chefanalyst Friedrich Mostböck. Aufgrund der geringen Marktkapitalisierung sei ein Diskont zu berücksichtigen.

Viele österreichische Unternehmen sind für ihre kontinuierlichen Dividendenzahlungen bekannt Die durchschnittliche Dividendenrendite im ATX beträgt aktuell 4,8%, für 2023 werden 6,1% erwartet.

Aktienumsätze hinter ­Vorpandemiezahlen

Die Pandemie und der russische Angriffskrieg verursachten in den vergangenen drei Jahren eine außergewöhnlich hohe Handelsaktivität. Nach den ersten drei Quartalen 2023 lagen die Aktienumsätze mit 41,1 Mrd. EUR rund 10% hinter den Vorpandemiezahlen 2019 zurück. Die stärksten Handelstage bis Ende September waren der 17. März (640 Mio. EUR), der 16. Juni (504 Mio. EUR) sowie der 15. September (618 Mio. EUR) – also die ­gewohnten Verfallstage von Futures und Optionen.

Institutionelle Investoren vorne

Der Großteil des Umsatzes (86%) entfiel wie üblich auf internationale Handelsteilnehmer. Österreichische Aktien sind für inter­nationale Großanleger hochinteressant – das bestätigt auch eine neue S&P-Global-Market-Intelligence-Studie zur Eigen­tümerstruktur des institutionellen Streu­besitzes im Jahr 2022. Weltweit agierende institutionelle Anleger wie Fondsgesellschaften oder Staatsfonds halten 91% (22,1 Mrd. EUR) der frei handelbaren Aktien. Mit einem Anteil von einem Drittel am Gesamtvolumen liegen US-Investoren auf Platz eins, gefolgt von britischen Investoren mit knapp einem Fünftel. Den dritten Platz erreichten österreichische Großanleger mit 9%; deren Anteil hatte 2020 allerdings noch bei 16,6% gelegen.

Weitere Initiativen notwendig

„Die Ergebnisse dieser Studie unterstreichen die Bedeutung der Wiener Börse als internationaler Handelsplatz“, erläutert CEO Christoph Boschan. Anderseits braucht es zur Stärkung des heimischen Finanzmarkts und der österreichischen Investorenbasis Initiativen und Pläne. „Die Wiedereinführung der Behaltefrist, wie sie auch im Regierungsprogramm festgehalten ist, wäre ein wichtiger Schritt“, schlägt Boschan vor.

Börsenkandidaten bereiten sich vor

 Mittlerweile verharrt die Handelsaktivität – wie quasi europaweit – auf niedrigem Niveau. Hohe Zinsen, Inflation und die anhalte Verun­sicherung ob der geostrategischen Spannungen lassen Anleger zögern. Bei Börsengängen herrscht ­europaweit noch Zurückhaltung, das Interesse an der Unternehmensfinanzierung über die Börse ist hoch. „Das ­bemerken wir am stärkeren ­Interesse an unseren IPO-Workshops“, so Boschan. Zweimal hat die Wiener Börse ­bereits die Glocken für ein Going Public ­geläutet: Mit der AUSTRIA­CARD HOLDINGS und EuroTele­Sites gibt es ­Zuwachs im Topsegment prime market, in dem sich jetzt 42 Werte befinden (siehe Interviews S. 64 und 70).

Die Krisen der vergangenen drei Jahre ­haben zwischenzeitlich große Volatilität in die Märkte gebracht. In diesem Frühjahr kehrte wieder Beruhigung ein.

15.400 Anleihen aus 38 Ländern

Der Anleihebereich der Wiener Börse setzte in diesem Jahr indes seinen starken Wachstumskurs fort: Im ersten Halbjahr kamen mehr als 5.600 neue Listings im ­Vienna MTF hinzu – mit diesem börsen­regulierten Segment hat sich Wien als führender Anleihenlistingplatz in Europa etabliert. Mittlerweile sind an der Wiener Börse mehr als 15.400 Anleihen (erstes Halbjahr 2022: 12.300) mit einem Gesamt­volumen von 740 Mrd. EUR von fast 900 Emittenten aus 38 Ländern gelistet (zum Interview: „Mehr als 20 Mrd. EUR für nachhaltige Projekte“).

Boom bei ESG-Bonds

Mit dem steigenden Zinsniveau freut sich die Wiener Börse auch über einen deutlichen Anstieg bei begebenen Nachhaltigkeitsanleihen oder Green Bonds. Im August haben Emittenten im ESG-Segment die Marke von 100 durchbrochen. Das ­Kontingent von nachhaltigen und an internationalen Standards ausgerichteten Anleihen am Wiener Handelsplatz hat sich damit seit 2022 beinahe verdoppelt. Die Republik Österreich begab mit einem Volumen von 3 Mrd. EUR ihren zweiten Green Bond. Ins­gesamt wurden mehr als 20 Mrd. EUR auf­genommen, die nachhaltigen Projekten ­zugutekommen (siehe Interview mit Silvia Stenitzer, Senior Manager Debt Listings, Wiener Börse AG, auf S. 16).

Fazit

Trotz anhaltender Krisen und unsicherer Marktbedingungen hat sich die Wiener Börse in den ersten neun Monaten gut behauptet. Mit dem Börsengang der abgespaltenen Funkturmgesellschaft der A1 konnte diese ihre internationalen Ansprüche unterstreichen. Für Börsekandidaten ist eine gute Vorbereitung essenziell um Zeitfenster für IPOs schnell nutzen zu können.

Wertpapierinvestments sind längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen – das verdeutlicht das Aktienbarometer 2023 – eine Umfrage von Aktienforum, Industriellenvereinigung und Wiener Börse: Jede vierte Person in Österreich besitzt bereits solche, 20 Prozent würden gerne Wertpapiere investieren (siehe Artikel hier).

 

Autor/Autorin

Thomas Müncher

Thomas Müncher ist Wirtschafts- und Finanzjournalist und freier Autor beim GoingPublic Magazin.