Für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) ergeben sich besondere Anforderungen im Rahmen der Neuordnung der europäischen Kapitalmarktunion. Es geht dabei um rechtliche Erleichterungen u.a. bei der Prospekterstellung und bei den Folgepflichten aus dem Börsenlisting. Der Interessenverband kapitalmarktorientierter KMU e.V. hat sich in die Konsultation der Europäischen Kommission zur europäischen Börsengesetzgebung (Listing Act) mit einer Stellungnahme eingebracht.

GoingPublic: Eine europäische Kapitalmarktunion zu schaffen ist für die einen eine Vision, um börsennotierten Unternehmen das Leben zu erleichtern, für andere ist es die Sorge, dass noch mehr Regeln auf sie zukommen. Zu welchem Lager gehören Sie?

Ingo Wegerich: Ich gehöre in das Lager, das sich für eine Verbesserung der maßgeblichen Rahmenbedingungen für KMU bei der Kapitalmarktfinanzierung einsetzt. Unser Interessenverband gibt dem kapitalmarktorientierten Mittelstand eine Stimme, damit dieser sich erfolgreich auf sein Tagesgeschäft konzentrieren kann. Grundsätzlich ist die Gesetzgebung mittlerweile europäisch und nicht mehr national. Es gibt europäische Richtlinien und Verordnungen. Der nationale Gesetzgeber hat nur noch geringen Gestaltungsspielraum.

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Ich verstehe …

Wegerich: Wir bringen uns sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene für den kapitalmarktorientierten Mittelstand ein, sind im Dialog mit Politik, Gesetzgebungsorganen und Finanzaufsicht, haben hierbei schon viel erreicht und auch bereits Einfluss auf die Gesetzgebung im Interesse des Mittelstands genommen. Jüngst haben wir uns an der öffentlichen Konsultation der Europäischen Kommission zum Listing Act beteiligt.

Ingo Wegerich ist Präsident des Interessenverbandes kapitalmarktorientierter kleiner und mittlerer Unternehmen e.V. („Kapitalmarkt KMU“) sowie Partner der Luther Rechtsanwaltsgesellschaft., Foto: ©Jörg Modrow/laif

Der EU-Listing Act soll ja dazu dienen, die europäischen Börsen im Vergleich etwa mit US-Börsen oder auch zunehmend asiatischen Wachstumsmärkten wieder attraktiver zu gestalten. Was genau müsste die EU-Kommission berücksichtigen, damit dies auch für KMU der Fall ist?

Wegerich: Sie haben vollkommen recht. Im Vergleich zu den USA und Asien sind die europäischen Kapitalmärkte geradezu unterentwickelt. Während sich in Europa nur rund 25% der Unternehmen über den Kapitalmarkt finanzieren, sind es in den USA demgegenüber rund 75%, in Asien immer noch über 50%. Ziel der Konsultation zum Listing Act ist es ja auch deshalb, die öffentlichen Kapitalmärkte in der Europäischen Union für Unternehmen attraktiver zu gestalten und insbesondere KMU den Zugang zum Kapitalmarkt zu erleichtern. Viele Regelungen der Prospektverordnung und der Marktmissbrauchsverordnung werden hinterfragt.

Was wünschen Sie sich konkret für die KMU?

Wegerich: Aus Sicht des Verbandes sind die wesentlichen Faktoren, warum Investoren bisher immer noch in nur verhältnismäßig geringem Umfang in Aktien und Anleihen von KMU investieren, vor allem der Mangel an steuerlichen Anreizen sowie an KMU-Indizes und eine nur geringe KMU-Researchabdeckung. Hierauf haben wir eindringlich hingewiesen. Wenn man die Kapitalmärkte für KMU attraktiver machen möchte, muss sich insbesondere hieran etwas ändern, unabhängig von der Debatte um die notwendigen rechtlichen Erleichterungen.

Da sprechen Sie den börsengelisteten Mittelständlern sicherlich aus dem Herzen. Wo sehen Sie rechtlichen Anpassungsbedarf?

Wegerich: Wo soll ich anfangen? Die Liste ist lang. Grundsätzlich halten wir das Konstrukt des KMU-Wachstumsmarkts für verfehlt.

Können Sie das erläutern?

Wegerich: Marktmissbrauchsverordnung und Prospektverordnung knüpfen gewisse Erleichterungen für KMU an ein Listing in einem sogenannten KMU-Wachstumsmarkt. So sind beispielsweise Emittenten, die an einem KMU-Wachstumsmarkt gelistet sind, von der Pflicht befreit, Insiderlisten zu führen, müssen aber gleichwohl auf Anfrage der BaFin eine Insiderliste übermitteln. In Deutschland ist allein das Segment Scale der Deutschen Börse als KMUWachstumsmarkt zugelassen. Dort sind gerade einmal 48 Aktienemittenten gelistet. Das heißt, dass in Deutschland weniger als 50 Unternehmen von den Erleichterungen für KMU von der Marktmissbrauchsverordnung und der Prospektverordnung Gebrauch machen können. Damit wären in Deutschland etliche KMU-Unternehmen von notwendigen Erleichterungen ausgeschlossen.

Wie lässt sich das ändern?

Wegerich: Unser Interessenverband fordert, dass die Erleichterungen an die KMU-Eigenschaft selbst anknüpfen, also an die Größe des Unternehmens und nicht an ein irgendwie geartetes rechtliches Konstrukt. Unternehmen, die von ihrer Größe her KMU sind, müssen von den Erleichterungen zwingend profitieren können. Die Erleichterungen sind notwendig, weil die Unternehmen klein sind, übermäßige Kosten und Verwaltungsanforderungen aus der Prospekterstellung und dem Listing unverhältnismäßig im Hinblick auf die Größe des Unternehmens sind und die Unternehmen vom Gang an den Kapitalmarkt abhalten. Dies betrifft alle KMU und nicht nur die, die an einem KMU-Wachstumsmarkt gelistet sind.

Wie lange dauert es eigentlich, bis ein Wertpapierprospekt gebilligt wird?

Wegerich: Das hängt insbesondere von dem jeweiligen Prüfer ab. Im Hinblick auf die sehr unterschiedliche Verfahrensdauer und Art der Kommentierung haben wir angeregt, dass auf anonymer Basis Informationen über die Verfahrensdauer und die Anzahl und Art der gegebenen Kommentare veröffentlicht werden. In diesem Zusammenhang haben wir weiter gefordert, dass auch bei Aktienemissionen die Unternehmen ein Wahlrecht im Hinblick auf die zu prüfende Behörde haben sollen. Gegenwärtig besteht dieses Wahlrecht nur bei Anleihen. Der Verband hat sich im Übrigen generell dafür ausgesprochen, den Umfang von Wertpapierprospekten seitenmäßig zu begrenzen. Kein Investor liest Wertpapierprospekte von mehreren Hundert Seiten. Das Seitenlimit sollte sich an der Größe des Unternehmens orientieren.

Wann rechnen Sie frühestens mit der Umsetzung des EU-Listing Act?

Wegerich: Es ist vorgesehen, dass noch 2022 ein Vorschlag für eine neue Börsengesetzgebung veröffentlicht wird. Wir gehen davon aus, dass weitere Erleichterungen für KMU kommen werden. Das reicht aber nicht aus – wir brauchen von der Politik darüber hinaus weitere Fördermaßnahmen, beispielsweise steuerliche Anreize für ein Investment in KMU-Aktien.

Herr Wegerich, herzlichen Dank für diese Einblicke und viel Elan bei den weiteren Verhandlungen zu den Anliegen der KMU.

Das Interview führte Simone Boehringer.

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