Ralf Frank, Geschäftsführer DVFA
Ralf Frank, Geschäftsführer DVFA

Es gibt einen Sketch von Monty Python, in dem Mitarbeiter für eine Kilimanjaro-Expedition angeheuert werden sollen. Der Expeditionsleiter antwortet auf die Frage, über welche Strecke man denn auf den Gipfel kommen wolle, man nehme die A1 nach Süden, dann werde man London östlich umgehen und auf direktem Wege zur Fähre nach Dover usw. Auf die Frage, „wie kommen wir denn auf den Berg?“, antwortet er, „das finden wir heraus, wenn wir da unten sind“.

So ähnlich verhält es sich mit der ganzen Integrated Reporting-Bewegung: Alle sprechen vom Gipfel, dem integrierten Bericht, alle haben konkrete Vorstellungen von der Umgebung am Ausgangsort (schau, da nimmst du den Finanzbericht, und den Nachhaltigkeitsbericht und fängst mal an). Wenn es aber darum geht, einen kritischen Pfad zu definieren, der zum Gipfel führt, dann wird es vage, oder man bekommt die Antwort, das werde man schon klären, wenn es soweit ist. Visions where details are called for. Details where vision is called for.

Was heißt ‘integriert’ eigentlich?

Ich halte das für ausgemachten Unsinn. Der Beratungsmarkt für integriertes Reporting wächst. Was wird verkauft? Welches Baumuster? Wer legt eigentlich die Kriterien für einen integrierten Bericht fest? Die Grundlage ist meist die Behauptung vom Unternehmen, man veröffentliche nun auch einen integrierten Bericht. Dabei ist es bislang meines Wissens nur einem einzigen Unternehmen wirklich gelungen, einen Quantensprung erreicht zu haben: SAP. Die Walldorfer versuchen, den Zusammenhang herzustellen und zu berechnen zwischen ökonomischen Kennzahlen und eher weicheren Aspekten wie z.B. Employee Engagement. SAP ist bescheiden und nimmt den Mund nicht so voll, etwa einen direkten linearen Zusammenhang darzustellen nach dem Muster „1% mehr Mitarbeiterzufriedenheit = xx Mio. EUR mehr Umsatz“ oder dergleichen. In jedem Falle erfüllt der integrierte Bericht von SAP die wirklich wesentliche Bedingung, nämlich die der Integration, d.h., dass zunächst disparate Aspekte der unternehmerischen Performance miteinander verknüpft werden. Diese Bedingung erfüllen aber die wenigsten Berichte, die von ihren Herausgebern als integrierte Berichte bezeichnet werden.

Dass es heute kein einheitliches Baumuster für einen Integrated Report gibt, das liegt u.a. an der konzeptionellen Schwäche des Rahmenwerkes der IIRC. Was heißt „Integrated“? Statt einer Antwort kommt immer das Mantra „this is a journey“. Ein Trip, so könnte man sagen, bei dem nicht einmal der Reiseveranstalter weiß, wo es hingehen soll. Nichts gegen Experimente und meinetwegen auch gegen eine Lernkurve, aber befreit das den Standardsetzer davor, Orientierung zu geben, Vorgaben, Vorschriften, Regeln zu treffen? Allerdings machen ihn Festlegungen als Standardsetzer angreifbar. Dann bräche ja das Kartenhaus der Einstimmigkeit und Eintracht unter den Stakeholdern der IIRC zusammen. Ist es doch genau dieser Punkt, der auf der politischen Ebene am meisten Eindruck schindet: Ja wenn so viele renommierte Standardsetzer und Organisationen bei der IIRC mitmachen, dann muss sie ja wichtig sein.

Besser ‚in‘ als nur dabei?

Ach ja, und dann noch der zweite Grund: „Integrated Thinking“. Ich habe mich an anderer Stelle darüber ausgelassen. Nur so viel: Einen Terminus zu kreieren, der sich elegant und überzeugend anhört (integriert ist doch besser als separat, oder?), der dann von intelligenten und ernstzunehmenden Menschen unhinterfragt und unkritisch übernommen wird – das könnte man schon als grandiosen Marketing-Coup bezeichnen. So in etwa wie bei den Jod S11-Körnchen im Vogelfutter oder den Additiven im Benzin. Eine neue Variante von „Des Kaisers neue Kleider“. Integrated Thinking zu propagieren, ist hip, sozusagen der Hot Shit in der Finanzkommunikation, zeigt der Gebrauch doch, dass der Sprecher ein Teil jener In-Group ist, die schon das Licht gesehen hat. Aber gut, dass integriertes Denken einfach nur ein dämlicher Platzhalter ist für etwas, das ungleich schwerer zu beschreiben ist, das erkennt jeder, der genauer hinschaut. Die anderen integrieren schon mal ihr Denken.

Wenn integrierte Berichte die Antwort auf die Frage sind, wie man Unternehmensberichterstattung verbessern könnte, dann müssen zunächst Festlegungen, Definitionen getroffen werden: Was heißt integriert? Was sind die Kriterien für einen integrierten Bericht? Das müssten ja demnach auch genau die Punkte sein, an denen ein Finanzanalyst oder ein Investor bemerken kann, dass sich die Berichtsqualität eines Unternehmens verbessert. Ich behaupte an dieser Stelle, dass die meisten Investoren wie auch Berater, Accounting Experten ohnehin, mit der Beantwortung dieser Fragen überfordert sind. Von vielen Investment Professionals kommt gebetsmühlenartig die Forderung nach mehr Daten, mehr Granularität, also Detaillierungsgrad. Sicher? Mehr Daten sind einfach nur mehr Daten. „Wir brauchen mehr Daten“ ist Finanzanalysten-Folklore.

Put your money where your mouth is

Eine intuitive Herangehensweise, die jeder Investor praktiziert, heißt wissenschaftlich gesprochen Induktion. Damit ist gemeint, dass ich aus einem spezifischen Phänomen eine allgemeine Erkenntnis schlussfolgere. Beispiel: Das Unternehmen hat ein hohes Mitarbeiter-Engagement (spezifisch), woraus ich schließe, dass das Management viele Aspekte der Mitarbeiterführung und -entlohnung (allgemein) gut bewerkstelligt. Induktives Herangehen ist sparsam, denn ich schaue mir nur einige wenige Aspekte an, während das z.B. von Ratingagenturen praktizierte akribische Sammeln von Daten (deduktiv) aufwändig ist und die Wesentlichkeit gerne verloren geht.

Hier liegt Potential für die Integration. Warum sollten Unternehmen nicht einfach hingehen, und Posten wie F&E oder Capex disaggregieren und aufzeigen, wieviel Geld in nachhaltige Projekte geflossen ist? Put your money where your mouth is. Dann könnten Investoren aus den Kennzahlen herauslesen, wieviel das Unternehmen z.B. in Energieeffizienz investiert, anstatt mühsam Kwh-Ziffern aus dem Nachhaltigkeitsbericht herauszulesen (was dann ohnehin niemand mehr macht).

Fazit

ist aktuell der Hot Shit der Beratungsszene. Solange der Standard aber Antworten schuldig bleibt auf die eine wesentliche Frage, solange bleibt Integrated Reporting wie Herr Turtur aus Jim Knopf & Co ein Scheinriese: Aus der Ferne ein Gigant wird er mit jedem Schritt näher kleiner.

Der Artikel erschien zuerst im GoingPublic Magazin Special „Geschäftsberichte & Trends 2015/16“

Ralf Frank ist seit 2002 bei der DVFA, seit 2004 als Geschäftsführer der DVFA GmbH und seit 2011 als Generalsekretär des Verbands. Frank adressiert regelmäßig strittige Kapitalmarktthemen. Die DVFA ist seit Jahren ein Gremium zur Festsetzung von Industriestandards, wie beispielsweise den DGFR (Deutsche Grundsätze für Finanz-Research), den Grundsätzen für effektive Finanzkommunikation oder auch der Rating- und Validierungsstandards.

Autor/Autorin