In der deutschen Life Sciences-Szene wächst die Hoffnung auf weitere Börsengänge. Nachdem im letzten Jahr erstmals seit 2007 wieder drei deutsche Biotech-Start-ups den Sprung auf das Parkett gewagt haben, sollen die kommenden Monate weitere Börsendebüts bringen. Kandidaten gibt es, doch ob deren Kür dann allerdings in heimischen Gefilden stattfindt, bleibt fraglich.

Dabei hatte die europäische Biotech-Branche im Jahr 2014 einen regelrechten Boom erlebt: So konnten europäische Biotech-Firmen im vergangenen Jahr an der Börse rund 2,4 Mrd. EUR Kapital einsammeln. Das entspricht einem Zuwachs von 25% im Vergleich zum Jahr 2013. Die Zahl der Börsengänge auf dem Kontinent hat sich mit 15 IPOs sogar verdreifacht. Insgesamt sind nun rund 150 Biotech-Firmen an den verschiedenen Börsenplätzen in Europa gelistet mit einer Marktkapitalisierung von insgesamt 66 Mrd. EUR.

Zu oft haben die deutschen Börsen das Nachsehen
Doch keine Studie ohne Wehrmutstropfen: Denn eindeutig führend im Wettstreit um die attraktivsten „Biotech-Börsen“ sind die Handelsplätze in London und Paris mit 33 bzw. 32 Listings. Es folgen die Mehrländerbörse Nasdaq OMX sowie die Schweizer Börse in Zürich. Die Deutsche Börse in Frankfurt wird in diesem Zusammenhang lediglich erwähnt, wenn es festzuhalten gilt, dass die Metropole am Main seit 2007 kein Biotech-IPO mehr erlebt hat. Zwar konnte die deutsche Szene zuletzt drei Börsengänge verzeichnen. Doch entschieden sich die Verantwortlichen von Probiodrug für die Amsterdamer Nasdaq, während es die Macher von Affimed und Pieris gleich über den Großen Teich zog. Was sollte deutsche Firmen also künftig ermutigen, ihren Börsenstart nach Frankfurt zu verlegen? Gesetzliche Regelungen oder die Klärung steuerlicher Fragen sind sind nur die eine Seite des altbekannten Problems. „Das Kapital der großen Kapitalsammelstellen, wie Versicherungen oder Pensionskassen, geht einfach nicht in die Aktienmärkte“, urteilt Hubertus Leonhardt, Partner und Geschäftsführer bei SHS, der derzeit mit dem neuen Fonds SHS IV nach Investitionsmöglichkeiten im Bereich Medizintechnik und Life Science sucht. „Und erst recht nicht in Small Caps.“

Vor allem die Regulierung von Versicherungen, Rentenkassen oder Pensionsfonds sei viel zu hoch, erklärt Leonhardt. Wolle man etwas an den Börsenaussichten für deutsche Life Science-Firmen ändern, müsse man bei der Aktienkultur ansetzen. „Ein höherer Aktienanteil bei Lebensversicherungen und Privatanlegern würde auch höhere Volumen für Small Caps nach sich ziehen“, ist sich der SHS-Partner sicher. Generell würde ein Weniger an Regulierung ein Mehr an Venture Capital – auch in der Biotechnologie – bewirken. „Dann gäbe es auch mehr  Erfolgsgeschichten“, so Hubertus Leonhardt.

Deutsche Firmen sind zu leicht
Doch macht das den deutschen Börsenplatz automatisch interessanter? Vielmehr müsste doch auf Anlegerseite ein Faible für Biotechnologie oder Medizintechnik geweckt werden. Und vor allem die Bereitschaft für Investments in Industriesegmente, die von langen und kapitalintensiven Entwicklungszeiten sowie hohen Ausfallquoten gekennzeichnet sind. Wer auf gute Renditen ohne allzu großes Risiko setzt, sollte um Life Science-Investments an der Börse vielleicht lieber einen Bogen machen.

Und noch einen großen Unterschied zum Biotech-Boom in den USA gibt es: Lediglich knapp 10% der europäischen Firmen liegen über der Schwelle von 1 Mrd. USD Marktkapitalisierung. Das drückt nicht nur die Renditeaussichten, dieser Umstand weist auf ein weiteres Defizit: Je kleiner das Unternehmen, desto geringer gestalten sich die Chancen, überhaupt erfolgreich an der Börse gelistet zu werden. „Das Umfeld war in den vergangenen Jahren von wenig IPO-Tätigkeit in Deutschland geprägt“, fasst Roger Peeters, Head of Research bei der Oddo Seydler Bank AG die Entwicklung zusammen. „Allerdings sehen wir gute Chancen für eine Verbesserung. Insbesondere Börsenkandidaten, welche über Produkte in fortgeschrittenen Entwicklungsphasen verfügen, sollten gefragt sein“ so Peeters. „Auch ist zu unterstreichen, dass IPOs aus Sicht der Unternehmen sinnvolle Projekte sind, weil es in Deutschland weniger industrierelevante Wagniskapitalfinanzierung gibt als etwa in den USA.“

Zur Kandidatenkür
Derweil werden seit Jahresbeginn die Namen verschiedener deutscher (oder deutschsprachiger) Life Science-Firmen mit einem möglichen Börsengang in Verbindung gebracht. Zuletzt sorgte das gemeinsame Investment der Bill & Melinda Gates-Stiftung und der Dievini Beteiligungsgesellschaft von Dietmar Hopp für Aufsehen. In diesem Zusammenhang äußerte der SAP-Gründer die Hoffnung,  dass der Name „Gates“ die Möglichkeiten eines zukünftigen Börsenganges von Curevac beflügeln könnte. Freilich, noch verfügt das Unternehmen, welches Impfstoffe gegen Krebs oder Virus-Erkrankungen entwickelt, über keinen zugelassenen Wirkstoff. Sollte dieser jedoch nach erfolgreichem Abschluss der notwendigen klinischen Studien zugelassen werden, könnte das Engagement des Ehepaares Gates ein entscheidendes Zünglein an der Waage für ein Börsendebüt spielen.  Ob in Frankfurt ist die Frage.

Auch der Medizintechnikkonzern Otto Bock hegt Gedanken an einen Börsengang. In der Vergangenheit mit dreistelligen Millionenumsätzen noch ein relatives Leichtgewicht, wurde im vergangenen Jahr erstmals ein Umsatz von über 1 Mrd. Euro erzielt. Und schon werden die Beschränkungen eines Familienbetriebs spürbar. Über einen Börsengang könnte zusätzliches Wachstumskapital eingespielt werden. 2017 oder 2018 soll es soweit sein, allerdings– so die aktuellen Pläne – soll dann nur die größte Sparte „Health Care“ als KGaA an die Börse gebracht werden.

Als ein weiterer potenzieller Börsenkandidat gilt der Wiener Herzspezialist Miracor Medical Systems, an dem unter anderem auch Earlybird und SHS beteiligt sind. Die Miracor-Technologie bietet neuartige Behandlungsoptionen für kardiovaskuläre Erkrankungen, einer der größten Märkte in der Medizintechnik. Im Januar konnte eine Serie B-Finanzierungsrunde über 4,5 Mio.EUR erfolgreich abgeschlossen werden. Laut Aussagen des Firmengründers soll das Unternehmen im kommenden Jahr in Europa oder in den USA aufs Parkett. „Wir sehen gute Aussichten für Unternehmen sowie Chancen für Investoren, auch vor dem Hintergrund der zuletzt sehr guten Kursentwicklung des Sektors“, fasst Roger Peeters zusammen. „Somit müssen am Ende nur Angebot und Nachfrage zusammengeführt werden. Hier können fokussierte Investmentbanken sicherlich positiv einwirken.“ Die Hoffnung bleibt und wird sogar noch genährt: Der positive Trend des vergangenen Jahres könnte endlich in ein IPO hierzulande münden.

 

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